Auch der "Schwarm" braucht klare Regeln
Der Crowdfunding-Markt wurde zuletzt durch das Kleinanleger-Schutzgesetz reguliert. Diese wirken unübersichtlich und sind deshalb kontraproduktiv für den Anlegerschutz.
von Andreas Oehler, Gastautor Euro am Sonntag
Die digitale Welt schafft neue Formen der Projektfinanzierung, entweder in einer eher eigenkapitalähnlichen oder in einer eher fremdkapitalähnlichen Struktur mit dem Fokus Crowdinvesting oder Crowdlending. Einige der rund 35 in Deutschland anbietenden Plattformen wie zum Beispiel Companisto, Seedmatch, Crosslend oder Lendico richten sich auch an nichtprofessionelle Investoren (keine Nachbarschaftsfinanzierung oder Bürgerprojekte).
Der Kern einer solchen Projektfinanzierung durch den Schwarm erscheint einfach: Meist wird im Vorfeld eine Mindestsumme definiert, die in einem vorher festlegten Zeitraum erreicht werden muss, damit das Projekt realisiert werden kann. Wird diese Summe nicht erreicht, erhalten die Schwarmfinanzierer ihr Geld zurück. Als Chancen solcher Modelle werden unter anderem die breitere Beteiligung vieler verschiedener Kleinanleger an der Projektfinanzierung ebenso hervorgehoben wie Kosten- und Effizienzvorteile für alle Beteiligten. Risiken werden unter anderem in der Intransparenz der Projektinformation bei gleichzeitiger unternehmerähnlicher Beteiligung genauso gesehen wie in der leichteren Zusage durch Kleinanleger aufgrund der meist recht kleinen absoluten Beträge.
Beim Crowdinvesting schließen sich also viele Personen (Crowd) zusammen, um sich gemeinsam an einem Projektunternehmen, meist einem Start-up, zu beteiligen. In der Regel können Investoren einen Betrag ihrer Wahl investieren und gewinnen dafür eine Beteiligung an den Erträgen und den Wertsteigerungen des Projekts.
Das über eine Crowdinvesting-Plattform finanzierte Start-up erhält neben den Finanzierungsmitteln insbesondere Öffentlichkeitswirkung, Marketinginstrumente und viele unterschiedlich aktive Unterstützer. Beim Crowdlending leiht der Schwarm oder die Crowd Finanzmittel an die Initiatoren eines Projekts, die diese grundsätzlich zurückzahlen müssen. Der Personenbezug führt dann auch zu der Bezeichnung Peer-to-Peer-Lending/-Kredit. Die Kreditvergabe erfolgt in der Regel online und setzt auf digitale Technologie, um Kosten und Nutzen für beide Seiten effizient zu gestalten, damit Unternehmen und Privatpersonen günstige Kredite und Anleger attraktive Renditen erreichen können (durch verbrieften Verkauf der Forderungen).
Durch Begünstigungen
werden Fehlanreize gesetzt
Der Crowdfunding-Markt wurde zuletzt durch das Kleinanlegerschutzgesetz reguliert. Die neuen Regelungen zur Schwarmfinanzierung sind weniger wegen der grundsätzlich begrüßenswerten Regulierung an sich umstritten (aus "dunkelgrau" wurde für viele Finanzprodukte zumindest "hellgrau") als aufgrund der getroffenen einseitigen, komplizierten und wettbewerbsverzerrenden Ausnahmereglungen. Die Ausnahmen für nachrangige und partiarische Darlehen scheinen ausschließlich kurzsichtig auf eine aktuelle Situation 2015 bezogen worden zu sein, in der - nach Prokon - Genussrechte als Gefahr gesehen wurden.
Alle eigenkapitalähnlichen Fremdfinanzierungsformen, früher auch als mezzanine Formen bezeichnet, weisen hohe Ähnlichkeiten hinsichtlich des Chance-Risiko-Profils als quasi-unternehmerische Beteiligung auf. Es gibt in der Konsequenz für nichtprofessionelle Investoren kaum Unterschiede etwa auch zu stillen Beteiligungen. Gleichzeitig werden durch die Begünstigung nur einer Form wie des Nachrangdarlehens Fehlanreize gesetzt, und es wird wettbewerbsverzerrend reguliert.
Darüber hinaus wurden für Crowdfunding Ausnahmen für die Höhe der Anlagevolumina geschaffen, die allein durch einfache Selbsteinschätzung des Einkommens und Vermögens der Investoren erreicht werden dürfen. Warum werden nur bei Crowdfunding-Formen Restriktionen eingeführt, die für andere Anlageformen nicht bestehen? Wieso wird nicht wie bei anderen Anlageformen einheitlich reguliert, also durch eine individuelle Prüfung der Passung oder Eignung wie bei Fonds, Aktien oder Anleihen?
Auch bei der Produktinformation selbst bestehen deutliche Regulierungsdefizite. Einfache, klare, verständliche und vergleichbare Informationen zu Finanzprodukten haben gerade bei der digitalen Kundenbeziehung eine weiter zunehmende Bedeutung. Daran mangelt es in Deutschland besonders. Die aktuelle Regulierung trägt fortwährend zu noch mehr Regelungsdickicht bei, dabei ließe sich der Finanzdschungel anlegerfreundlich lichten: "Less is more!" Notwendig wäre eine Harmonisierung der Produktinformationen zu Anlageformen, die Anleger regelmäßig in gleichen oder ähnlichen Entscheidungssituationen nutzen.
Zudem bedarf es identischer und vorgegebener Mustertexte, jeweils mit Angabe der konkreten Chancen und Risiken, damit Anleger tatsächlich gleiche oder verwandte Produkte anhand des Informationsblatts einfach vergleichen können. Die Angaben zu Chancen und Risiken inklusive Kosten in Euro sollten dominant und nicht verklausuliert dargestellt sein. Das Kleinanlegerschutzgesetz mit seinen vielen Ausnahmen schafft nur ein Mehr (oder Meer) an Informationen, statt hauptsächlich auf die Qualität der Informationen zu setzen.
Crowdfunding wird über Internetplattformen angeboten, die selbst ein kommerzielles Geschäftsmodell darstellen. Gerade aufgrund der strategischen Position der Crowdfunding-Plattformen als Intermediär - vergleichbar mit Plattformen für Vergleiche und Tests für Finanzprodukte und verwandte Dienstleistungen (etwa Energie, Mobilfunk, Versicherungen, Girokonten, Kreditkarten, Geldanlagen, Vorsorgeprodukte) - sollten die Plattformen einfachen und strengen Mindeststandards von der Entstehung und Aufbereitung der Informationen und Angebote bis hin zu deren Publikation unterliegen, die laufend zu überprüfen sind, zum Beispiel Informationen über das Geschäftsmodell und finanzielle Beziehungen, insbesondere Provisionen oder über die Kriterien und Vergleichsmethoden.
Man könnte ja fragen, warum über Regulierung nachgedacht wird, wenn doch aktuell gar keine Finanzskandale zu Crowdfunding öffentlich geworden sind. Eine reparierende, aufräumende Regulierung mag unvermeidbar sein, jedoch wäre eine zusätzliche präven-tive Regulierung geeignet, zumindest die Wahrscheinlichkeit neuer Anlegerkatastrophen zu reduzieren. Wäre es nicht klug, Risiken zu begrenzen, um die vielen Chancen der "Digitization" im Finanzbereich zu erhalten und auszubauen?
Kurzvita
Professor an der
Universität Bamberg
Prof. Dr. Andreas Oehler ist seit 1994 Inhaber des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Finanzwirtschaft, an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg. Zudem ist er unter anderem Direktor der Forschungsstelle Verbraucherfinanzen und Verbraucherbildung, Vorsitzender des Verwaltungsrats der Stiftung Warentest, Mitglied des Sachverständigenrats für Verbraucherfragen und der Verbraucherkommission Baden-Württemberg.
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