VTG-Chef Fischer: "Gigantische Neuerung"
Heiko Fischer, der VTG-Chef, äußert sich zu Wachstums-Chancen des größten privaten Vermieters von Güterwaggons in Europa, autonomem Fahren auf der Schiene und dem Einfluss von Großaktionären.
von Oliver Ristau, €uro am Sonntag
Es ist nur ein Zufall, dass an dem Balkon eines Wohnhauses in der in die Jahre gekommenen Hamburger City-Süd eine Fahne des größten Fußballklubs der Stadt flattert. Und doch ist sie von Bedeutung für Europas größten Waggonvermieter VTG, der direkt gegenüber seine Zentrale hat. Nicht wegen des Sports, sondern weil der größte Mäzen des Vereins, der Unternehmer Klaus-Michael Kühne, zugleich Großaktionär des Hamburger Logistikkonzerns ist. Zur Zukunft der VTG in diesem Aktionärskreis äußert sich Firmenchef Heiko Fischer, der im siebten Stock des funktionalen 1990er-Bürokomplexes residiert, und auch dazu, warum das autonome Fahren auf der Schiene eine große Rolle spielt.
€uro am Sonntag: Herr Fischer, die geplante Fusion der Bahnsparten von Alstom und Siemens elektrisiert die Schienenbranche. Sie auch?
Heiko Fischer: Wir vermieten ja vor allem Waggons und haben kaum eigene Lokomotiven. Insofern berührt uns das nicht direkt. Aber es zeigt, dass in einem immer globaleren Wettbewerb selbst so große Spieler wie Siemens und Alstom zusammengehen müssen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Es sind reife Märkte, die nach Konsolidierung rufen. Zugleich muss jeder große Ausgaben in Richtung Digitalisierung stemmen.
Das Letztere trifft auch auf Ihr Unternehmen zu.
Wir haben eine eigene Digitalbox entwickelt und rollen die seit letztem November auf unsere gesamte Flotte von derzeit rund 60.000 Waggons in Europa aus - rund 500 pro Woche. Das ist eine kompakte Box mit Solarzellen, Sensoren und Mobilfunkelement, um Daten zu übertragen über Schocks auf der Strecke, den Zustand des Ladeguts und weitere Informationen in der Zukunft. Bis heute ist das noch eine Blackbox.
Wo liegen die konkreten Vorteile?
Eisenbahn ist nichts anderes als ein Netzwerk, aber bisher sind die Parteien sehr analog miteinander verbunden oder gar nicht. Heute werden Probleme auf der Strecke, wie zum Beispiel der Ausfall eines Waggons, immer noch per Fax versendet. Das ist ganz weit weg von einer Überwachung des Streckennetzes in Echtzeit.
Und was kostet das?
Die Investitionen in die Digitalisierung sind im ersten Schritt überschaubare Beträge im einstelligen Millionenbereich, die sich über das, was Kunden dafür bezahlen, zum Teil wieder amortisieren werden. Die Budgets erreichen bei Weitem nicht die Größenordnung von Investitionen in neue Waggonflotten, die bei externen Zukäufen im Bereich von mehreren Hundert Millionen Euro liegen können.
Generieren die digitalen Dienstleistungen schon Umsätze?
Wir bieten unseren Kunden an, die Box für einen geringen Preis zu nutzen - 20 Cent je Waggon und Tag. Derzeit werten wir die Daten aber noch vor allem für uns selbst aus. Künftig können etwa die Instandhaltungskosten gesenkt werden, wenn wir dank der Datenauswertung die notwendigen Wartungsintervalle wirklich verschleißabhängig vornehmen können. Wir erwarten aus den gesamten Möglichkeiten, die das autonome Fahren bietet, über die Zeit einen erheblichen Einsparungsbetrag. Das ist für unser Haus eine Art Kulturrevolution, und wir sehen das als die Chance für das System Eisenbahn, aus dem 19. direkt ins 21. Jahrhundert zu springen. Dass man den Zustand der Flotte live sehen kann, ist eine gigantische Neuerung.
Autonomes Fahren klingt noch sehr futuristisch.
Ist es aber nicht. Die Eisenbahn verfügt über ein spurgeführtes System, das weitgehend elektrifiziert ist. Dies ist prädestiniert für eine automatisierte Steuerung: schneller und einfacher als auf der Straße. So ließen sich auch die Abstände zwischen den Zügen erheblich verringern. Oft heißt es, die Strecken seien voll, aber dort befindet sich vor allem Luft, denn zwischen zwei Zügen ist wegen der analogen Welt bisher extrem viel Platz. In Zukunft werden die Züge miteinander kommunizieren, sodass der eine weiß, was der andere gerade tut. Das ist alles jetzt schon technologisch weitgehend möglich und kann zu einer echten Renaissance der Schiene führen.
Sie haben aber heute schon eine Auslastung Ihrer Flotte von über 90 Prozent. Da ist nicht mehr viel Luft nach oben, oder?
Auslastung bei uns heißt, der Wagen ist vermietet. Ob er fährt, ist eine andere Frage. Wir könnten damit kurzfristig zufrieden sein, wollen aber die stärkere Nutzung voranbringen, also mehr Transporte pro Waggon. Davon müssen wir aber ökonomisch auch profitieren, sonst sind wir die Dummen. Wir sehen die Chance, dadurch mehr Verkehr auf die Schiene zu bekommen. Das alles geht in Richtung Internet der Dinge, wenn kurz vor dem Eintreffen des Zuges der Gabelstapler zur Entladung losfährt. Das sind sensationelle Möglichkeiten.
Aber das Streckennetz ist für solche Visionen nicht im besten Zustand, wie das Beispiel Rastatt zeigt, wo auf der Rheintalstrecke wochenlang Stillstand herrschte.
Wir brauchen viel mehr Ausweichstrecken und Koordination in Europa. Der Ausbau muss auch in die Nebenstrecken gehen, damit ein Ausfall wie in Rastatt kein Problem mehr darstellt. Ein gesunder Mensch braucht nicht nur die großen Schlagadern, sondern auch die vielen kleinen Kapillaren und Verästelungen. Das gilt auch für die Leistungsfähigkeit der Bahn. Netzsteuerung und Zustandsüberwachung in Echtzeit sind weitere Themen.
Warum profitiert der Schienenverkehr nicht von der Energiewende?
Es fokussiert sich alles auf Elektromobilität, aber auf der Straße. Sehen Sie nur die Tests mit Lkws und Oberleitungen. Ich halte es für aberwitzig, die Straßen mit Fahrdraht zu überbauen. Das wird teurer, als die Bahn zu digitalisieren, die ja bereits elektrifiziert ist. Aber ein mögliches Regierungsbündnis in den Farben Jamaikas stimmt mich durchaus hoffnungsvoll, und auch die neue Regierung in Frankreich könnte helfen. Die EU will bis 2030 erreichen, dass 30 Prozent des lang laufenden Güterverkehrs auf die Schiene kommen. Derzeit sind wir bei 17 bis 18 Prozent.
Zuletzt lief die Nachfrage nach Ihren Waggons ja schon wie geschmiert - so gut, dass Sie wegen Extrakosten Ihre Prognose zurücknehmen mussten.
Das lässt sich nicht vermeiden. Das sind Ingangsetzungskosten für Waggons, bevor sie in den Verkehr gehen. Diese Kosten laufen nur am Anfang der Mietzeit auf, die ja in der Regel drei bis fünf Jahre beträgt. Dafür kommen wir ins Jahr 2018 mit einer höheren Grundauslastung hinein und haben diese Anlaufkosten nicht mehr. Das sind für das nächste Jahr keine schlechten Aussichten.
Das heißt, der Gewinn sollte 2018 wieder ansteigen?
Dazu kann ich momentan nichts sagen. Das nächste Jahr ist von vielen Faktoren beeinflusst, unter anderem davon, wann die Kartellbehörden grünes Licht für die Übernahme der Nacco geben. Erst danach werden die Erträge aus der Übernahme auch gewinnwirksam.
Sie sprechen den angekündigten Kauf der CIT Rail Holdings und damit der dazugehörigen Nacco-Gruppe an. Der Kaufpreis für den viertgrößten privaten Vermieter von Güterwagen in Europa beträgt rund 780 Millionen Euro, außerdem sind Investitionen von bis zu 140 Millionen nötig. Wann erwarten Sie die Entscheidung der Kartellbehörden?
Aktuell läuft das Verfahren der Kartellfreigabe, und wir als VTG streben eine Entscheidung in diesem Jahr an.
Müssen Sie noch einmal an die Prognose für 2017 ran, sollte das noch länger auf sich warten lassen?
Nein. Die Prognose ist nach wie vor richtig. Deshalb haben wir ja einen Korridor von 330 bis 360 Millionen Euro angegeben.
Wollen Sie über die Nacco hinaus in Zukunft weiter expandieren?
Natürlich wollen wir auch in Zukunft weiter gesund wachsen. Neben unseren eigenen Initiativen wie der Digitalisierung können dafür auch weitere externe Zukäufe eine Option sein. Aber es muss passen. Derzeit planen wir konkret keine weiteren Akquisitionen. Wir müssen erst einmal die Nacco-Übernahme abschließen und dann integrieren. Erst wenn das alles abgeschlossen ist, können neue Ziele anvisiert werden. Und dann gilt auch: Cashflow und Bilanz müssen es hergeben.
Sie hatten zur Finanzierung der Nacco bereits Kapitalmaßnahmen angekündigt. Wie sehen die aus?
Wir wollen im Falle der Zustimmung durch die Kartellbehörden sowohl Fremd- als auch Eigenkapital aufnehmen.
Eine Kapitalerhöhung?
Geplant ist eine Bezugsrechtsemission zur Erhöhung des Kapitals der VTG aus genehmigtem Kapital.
In welche Länder wollen Sie noch hineinsteuern?
Wir gehen immer sehr behutsam vor, haben Geschäfte in den USA und in Russland aufgebaut. In Europa haben wir eine vernünftige Größe erreicht. Nordamerika wäre darüber hinaus das lohnende Ziel. Das ist der größte Eisenbahnvermietmarkt der Welt. Dass dieser attraktiv und solide ist, zeigt das Milliardenengagement von Warren Buffetts Investmentgesellschaft Berkshire Hathaway in die US-Eisenbahnen und Vermietgesellschaften von Waggons und Tankcontainern.
Apropos Großinvestor: Großaktionär Kühne, der 20 Prozent an Ihrem Unternehmen hält, hat gerade angekündigt, sich bei VTG stärker engagieren zu wollen ebenso wie beim globalen Schiffslinienbetreiber Hapag- Lloyd, an dem er mit 19,9 Prozent beteiligt ist. Beide Unternehmen waren ja schon einmal unter dem Dach der TUI vereint. Bahnt sich da ein Zusammenschluss zu einem neuen großen Logistikkonzern an?
Das steht überhaupt nicht an. Die Aussage, dass die Kühne- Holding die geplanten Expansionsschritte bei VTG und Hapag- Lloyd mitträgt, ist schon ein Zeichen für dieses weitere Engagement. Ob, wie und wann etwas darüber hinausgeht, ist eine ganz andere Geschichte. Ich sehe im Übrigen auch nicht, wo die unmittelbaren Vorteile eines Zusammengehens mit Hapag- Lloyd lägen. Seeschifffahrt und Eisenbahnen sind etwas sehr Unterschiedliches.
Würde Ihnen aber ein Zusammenschluss mit einem anderen starken Unternehmen nicht die Finanzierung Ihrer Wachstumspläne erleichtern?
Wir fühlen uns allein wohl. Solange wir Zugang zum Kapitalmarkt und die Unterstützung unserer Aktionäre behalten, sehe ich hierfür keine Notwendigkeit.
Ein anderer Großaktionär ist seit einem Jahr mit 29 Prozent ein Infrastrukturfonds der Investmentgesellschaft Morgan Stanley. US-Finanzinvestoren sind bekannt für hohe Renditeforderungen. Müssen Sie jetzt mehr liefern?
Nein. Die Erwartungen sind nicht so aggressiv wie bei manchen Hedgefonds. Ich habe den Eindruck, unser neuer Aktionär ist sehr zufrieden mit der Geschäftsphilosophie von VTG. Wir sehen seine Unterstützung auch daran, dass er die geplante Nacco-Akquisition inklusive der notwendigen Finanzierung voll mitträgt. Und seitdem er bei uns ist, hat sich ja auch der Wert der VTG-Aktien sehr positiv entwickelt. Das dürfte ihm wie allen anderen Aktionären auch gut gefallen.
Vita
Der Lokführer
Seit 1995 ist Heiko Fischer in Hamburg bei der VTG beschäftigt, anfangs bei einer der Vorläufergesellschaften. Denn der Logistikkonzern gehörte damals noch zum Mischkonzern und DAX-Mitglied Preussag (heute TUI). Im Jahr 2004 wurde er mit Fischer als Vorstandschef abgespalten und ging schließlich 2007 an die Börse. Der 50-jährige gebürtige Würzburger hat alle Hände voll zu tun, das Old-Economy-Unternehmen in die neue digitale Welt zu steuern. Gleichwertige Priorität genießt sonst nur seine Familie. Mit seinen Kindern spielt der promovierte Wirtschaftswissenschaftler vor dem Haus zum Beispiel Basketball, eine Leidenschaft, für die er sonst keine Zeit mehr findet.
Unternehmen
Logistiker der Schiene
Die VTG ist mit weltweit 82.400 Waggons, davon 5.200 in den USA und 3.350 in Russland, sowie zusätzlichen 8.000 Tankcontainern der größte private Vermieter von Güterwagen in Europa. Das Geschäft profitiert von der anhaltend positiven Entwicklung der Konjunktur. Nach einem verhaltenen Start 2017 zog die Nachfrage an, was sich in guten Quartalsergebnissen niederschlug. Für das Gesamtjahr rechnet das Unternehmen mit einem operativen Gewinn in einer Spanne von 330 bis 360 Millionen Euro. Im Vorjahr verbuchten die Hamburger hier 345 Millionen Euro. Die Aktie ist über die Sommermonate stark gelaufen und hoch bewertet. Anleger sollten die laufende Konsolidierung vor einem Einstieg abwarten.
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25.02.2019 | VTG buy | Kepler Cheuvreux | |
16.11.2018 | VTG buy | Baader Bank | |
14.11.2018 | VTG kaufen | Norddeutsche Landesbank (Nord/LB) | |
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