SGL-Chef Köhler: "Der große Durchbruch kommt jetzt"
Die Zeitenwende beim Diesel beschleunigt den Wandel bei SGL Carbon. Der Firmenchef über die Perspektiven des Herstellers von Graphit und carbonverstärkten Kunststoffen.
Werte in diesem Artikel
von Klaus Schachinger, Euro am Sonntag
Schwere, tiefgrau abgedunkelte Glastüren wehren Einblicke ins Innere der Hightechfirma SGL Carbon ab. Erst nach Prüfung per Videokamera wird die Tür auf dem Anwesen von Söhnlein Rheingold im Wiesbadener Vorort Schierstein geöffnet. Der kleine Park, die vielen hohen Fenster mit weißen Holzrahmen und grünen Jalousien aus Holz vermitteln noch etwas von der Atmosphäre der ehemaligen Sektkellerei.
Am Donnerstag wird der Hersteller von Spezialgraphit und carbonverstärkten Kunststoffen, der inzwischen als SGL Group firmiert, die Zahlen für das erste Halbjahr vorlegen. Fast eine halbe Milliarde Euro Schulden lasten noch auf der Bilanz der Gruppe, die 2016 knapp 770 Millionen Euro Umsatz gebucht hat.
Die Eigner, darunter Skion, die Investmentholding der Quant-Erbin Susanne Klatten, setzen auf die Zukunft von Carbon im Leichtbau von Karosserien und Graphit bei Spezialanwendungen, etwa in Lithium- Ionen-Akkus. Leichtere Autos, auch mit Elektro- oder Hybridmotoren, sind ein Teil der großen Perspektive. Chef Jürgen Köhler, seit Anfang 2014 an der Spitze, organisiert den Befreiungsschlag.
€uro am Sonntag: Herr Köhler, mit dem Verkauf der Graphitelektroden für die Stahlindustrie und Kathoden für Aluminiumhersteller gibt SGL das Geschäft für Massenmärkte auf. Wie kam es dazu?
Jürgen Köhler: Die Strategie, alles, was mit dem Werkstoff Carbon zu tun hat, abzudecken - Carbonfasern, Spezialgraphite, Graphitelektroden für die Stahlindustrie und Kathoden für die Aluminiumhersteller -, war unter den veränderten Marktbedingungen nicht mehr realistisch und für uns auch nicht mehr finanzierbar. Wir mussten uns entscheiden, entweder die Massenmärkte Stahl und Aluminium zu beliefern oder uns auf kundenspezifische Produkte für viele spezialisierte Industrien zu fokussieren.
Wann werden alle Veräußerungen unter Dach und Fach sein? Der Verkauf des Graphitelektrodengeschäfts sollte zeitnah abgeschlossen werden. Bei dem Geschäft mit Kathoden für die Aluminiumindustrie haben wir den Kreis der Bieter auf eine Handvoll verkleinert. Wir erwarten, dass wir hier den Verkaufsvertrag spätestens bis Jahresende unterschreiben werden.
Aus den Verkäufen könnte SGL über 400 Millionen Euro einnehmen. Wie soll das Geld investiert werden?
Wir werden Schulden tilgen. Wir haben drei Finanzierungsinstrumente, davon eine Unternehmensanleihe, die bis 2021 läuft, und eine Wandelschuldverschreibung, die im Januar 2018 fällig wird. Mit den Erlösen zahlen wir die beiden Anleihen zurück, die für 2021 vorzeitig.
Ende 2016 lagen SGLs Nettoschulden bei 466 Millionen Euro. Damit wäre die Firma nach Abschluss der Veräußerungen fast schuldenfrei. Wird jetzt ein Investment-Grade-Rating angepeilt, um sich künftig günstiger zu refinanzieren?
Wir haben uns kein explizites Ratingziel gesetzt, sondern orientieren uns an anderen Zielgrößen. So gilt bei der Verschuldung das Zweieinhalbfache des operativen Gewinns als Obergrenze. Bei der Rendite auf das eingesetzte Kapital (ROCE) wollen wir 2020 mindestens 15 Prozent erreichen. Damit wird sich auch das Rating verbessern.
Nach Schätzungen von Analysten reicht der operative Gewinn gerade so aus, um die Investitionen in die Produktentwicklung zu decken.
Wir arbeiten intensiv daran, unsere Kapitalrendite zu verbessern. Wenn wir 2020 die 15-Prozent-Marke erreichen, haben wir natürlich die finanzielle Kraft, noch mehr zu tun. Aktuell ist die Profitabilität dafür noch zu gering. Unsere Produktentwicklung als strategisches Ziel leidet darunter jedoch nicht.
Mit drei Milliarden Euro Umsatz mit Werkstoffen aus Carbonfasern wurde das Potenzial des ultraleichten Materials offensichtlich deutlich überschätzt. Was lief falsch?
Carbonfaserverstärkte Kunststoffe, kurz CFK, sind im Vergleich zu Stahl und Aluminium eine sehr junge und neue Werkstoffklasse. Das Potenzial wird während der nächsten Jahre deutlich werden. Der große Durchbruch kommt gerade jetzt.
Womit?
Neben den Rotorblättern für Windkraftanlagen mit dem Dreamliner 787 von Boeing, dem Airbus A 350 und im Automobilbereich mit der neuen 7er-Reihe von BMW. In unserem Gemeinschaftsunternehmen mit den Bayern haben wir die Materialien für Carbonfasern so modifiziert, dass sie erstmals in großtechnischen, also in voll automatisierten Serienfertigungen eingesetzt werden können. Diese Entwicklung war aufwendiger als gedacht.
Können Sie das an einem Beispiel erläutern?
Bei den Bremsscheiben aus Carbon-Keramik, die wir in einem Joint Venture mit dem Bremsenspezialisten Brembo entwickeln und produzieren, wurde mehr als zehn Jahre investiert, bis wir damit Geld verdienen konnten. Neue Werkstoffe setzen sich trotz ihrer erheblichen Vorteile zunächst nur langsam durch.
Haben alternative Werkstoffe wie Leichtbaustahl oder Aluminium gegenüber der Carbonfaser schneller aufgeholt als angenommen?
Es geht nicht darum, Stahl oder Aluminium komplett zu ersetzen. Unsere carbonfaser- und glasfaserverstärkten Kunststoffe werden aber aufgrund ihrer einzigartigen Eigenschaften einen höheren Anteil an der Materialmischung in Fahrzeugen erreichen. Weil diese speziellen Kunststoffe die absolut jüngste Werkstoffklasse im Mix sind, wird das noch einige Jahre dauern.
Wie läuft diese Entwicklung ab?
Das zeigt BMW mit dem Leichtbaukonzept des neuen 7er. Der Anteil des kohlefaserverstärkten Kunststoffs pro Fahrzeug ist niedriger als beim Elektroauto i3, weil das Material nur dort eingesetzt wird, wo es seine besonderen Festigkeitseigenschaften ausspielt: bei langen Dachholmen, bei Querstreben im Dach oder auch als Verstärkung der A-, B- und C-Säulen. Der Trend zu Hybridkonstruktionen, über die im Autobau und in der Stahlindustrie viel die Rede ist, wird in der Produktion des 7er großtechnisch umgesetzt.
Viele sehen den sparsamen Einsatz des carbonverstärkten Kunststoffs als Rückschlag in der ursprünglichen Begeisterung für Carbon.
Das Gegenteil ist richtig. Viele Automobilhersteller, die zuvor zurückhaltend waren, beschäftigen sich nunmehr mit unserem Werkstoff. SGL hat derzeit mehr Leichtbauprojekte vor der Brust als je zuvor.
Ist das Carbonfaser-Joint-Venture mit BMW nicht ein Handicap für Projekte mit anderen Herstellern?
Nein. In der Anfangsphase war die Zurückhaltung bei einigen Konkurrenten der Münchner groß. Inzwischen hat sich das gewandelt. Die Exklusivitätsvereinbarung mit BMW ist ausgelaufen. Wir können die Carbonfaser-Materialien in gleicher Ausprägung oder modifiziert jedem anderen Automobilhersteller weltweit anbieten. Das tun wir.
SGL könnte das Joint Venture mit BMW auch ganz übernehmen.
Ich gehe davon aus, dass BMW kein Hersteller von Carbonfasern werden möchte. Für uns sind Carbonfasern ein Kernelement der Strategie und essenzieller Bestandteil der Wertschöpfungskette. Die Übernahme könnte eine Option sein.
Könnte SGL nach der Entwicklung eines Produkts für einen Kunden auch die Herstellung übernehmen?
Wir fertigen mit Autozulieferer Benteler Bauteile für BMW, Audi und für verschiedene Modelle von Porsche. Wir können aber statt der fertigen CFK-Komponenten auch alle Vormaterialien aus Carbonfasern liefern. Aus der vollständigen Wertschöpfungskette bieten wir von der Carbonfaser bis zum fertigen Bauteil alles auch einzeln an. Das unterscheidet uns von Wettbewerbern.
Diese Spanne decken auch die zwölf Projekte mit der Autoindustrie ab, die bei SGL aktuell geprüft werden?
Ja. Diese Projekte befinden sich in unterschiedlichen Stadien: von der Analyse der Bauteilkosten über die Auslegung der Fahrzeugkomponenten und Materialauswahl bis hin zur Prototypenfertigung.
Sind die Projekte groß genug, um 2020 wie geplant 1,1 Milliarden Euro Gesamtumsatz zu erreichen?
Sie sind die Grundlage für den Zuwachs bei Verbundwerkstoffen. Gemessen an der Stückzahl der Bauteile wissen wir heute schon, dass Volvo über unser Joint Venture Benteler-SGL unser größter Kunde bei Verbundwerkstoffen sein wird.
Womit?
Geländegängige Autos (SUVs) von Volvo haben heute schon große Blattfedern aus Glasfaserverbundwerkstoff. Bis 2020 wird die jährliche Auslieferung auf über 500.000 Stück erhöht werden. Daran gemessen ist der Volvo-Auftrag unserer Erkenntnis nach weltweit das größte Projekt für Verbundwerkstoffe aus Kunststoff in der Autobranche.
Werden wir bis 2020 Werkstoffe von SGL auch in weiteren Modellen der Oberklasse sehen, etwa in den 5er- Modellen von BMW mit mehr als 300.000 Fahrzeugen pro Jahr?
Wir sehen großes Interesse an Verbundwerkstoffen in der Oberklasse, sei es von Audi, BMW, Volvo oder jetzt auch Jaguar Land Rover. Hohe Stückzahlen sind für uns auch dann interessant, wenn pro Fahrzeug weniger Carbonfaser-Material verbaut wird. Das Beispiel Volvo zeigt, dass wir die Technologie für große Stückzahlen bereits beherrschen.
Wie läuft die Produktion der Blattfedern für Volvos SUVs ab?
Die Herstellung von jährlich mehr als 500.000 Verbundwerkstoff-Federn entspricht etwa 1.500 pro Tag. Die Fertigung ist ein voll automatisierter Prozess mit computergesteuerten Pressen, automatischer Nachbearbeitung, Robotern, die Teile an die verschiedenen Arbeitsstationen weitergeben, und einer automatisierten Qualitätskontrolle.
Was wäre ein Gegenbeispiel dazu?
Zum Beispiel Karosserien für Formel-1-Rennwagen. Das ist Maßanfertigung in geringen Stückzahlen und zu einem sehr erheblichen Teil noch manuell. Das ist nicht unser Zielmarkt.
Wird SGL die gesamte Fertigung seiner Werkstoffe automatisieren?
Wir beschleunigen den Prozess. Die Carbonfasermaterialien haben mit den Projekten in der Luftfahrt und insbesondere den BMW-Entwicklungen inzwischen die nötige industrielle Reife dafür erreicht. Für uns ist die Industrialisierung der Carbonfaserbranche der Schlüssel zu einer besseren Qualitätssicherung und deutlichen Kostensenkungen.
Die Herstellung von Komponenten wie Ablagen für das Handgepäck oder Böden in Flugzeugen wäre relativ einfach zu automatisieren.
Die Bereiche sind schon relativ gut automatisiert. Unsere Carbonfaser eignet sich sehr gut für Böden und Ablagen, Trennwände und Abdeckungen. Gegenwärtig laufen bei Airbus und Boeing Tests und erste Qualifizierungen für unsere Faser. Die Vorprodukte für die Bodenplatten des Airbus 350 liefern wir schon.
Und bei Tragflächen und Rümpfen?
Dafür werden Carbonfasern von japanischen und einem US-Konzern geliefert. Diese Unternehmen haben über 40 Jahre Geduld, Geld und Energie gehabt, um hochwertiges Material dafür zu entwickeln. Sie werden es deshalb wohl auch während der nächsten Dekaden liefern. Für Anwendungen bei nicht strukturrelevanten Komponenten sind ihre Fasern jedoch zu teuer. Für uns ist das der Weg, um Anteile im Flugzeugmarkt zu gewinnen.
Für Graphit und Carbon besitzt SGL weltweit 33 Produktionsstandorte. Werden es mit der stärkeren Automatisierung mittelfristig weniger Fabriken sein?
Das hängt nicht an der Automatisierung. Es wird eine moderate Konsolidierung geben, allerdings sind etliche der SGL-Produktionsstandorte klein: relativ wenige Maschinen und einige Dutzend Mitarbeiter, um das Produkt vor Ort für den Kunden maßzuschneidern. Diese Struktur passt zu unseren kundennahen und spezifischen Projekten und zum Entwicklungsstand der Industrien bei Verbundwerkstoffen und Graphiten.
Im Gegensatz zu SGLs Verbundwerkstoffen aus Carbon und Glasfaser, wo der Gesamtzuwachs von Projekten bestimmt wird und deshalb schwanken kann, legen Spezialgraphite eher beständig zu. Weshalb?
Spezialgraphite sind Hochleistungswerkstoffe und deshalb in vielen Anwendungen nicht ersetzbar. SGL ist in diesen Nischen Weltmarktführer. Graphit steckt in jedem Lithium-Ionen-Akku, es wird zur Herstellung von Halbleitern, Solarzellen, LEDs verwendet und als säure- und hitzebeständiger, wärmeleitender Werkstoff auch in den Produktionsanlagen der Chemiekonzerne.
Entwicklungen im Auftrag von Firmen sind oft ein nachhaltig profitables Geschäft mit soliden Margen. Ist SGL diesbezüglich der Vorreiter in seinen Marktnischen?
Einige unserer Wettbewerber orientieren sich in ähnliche Richtungen wie wir. Das zeigt uns, dass wir auf dem richtigen Weg sind.
Der Hoffnungsträger
Jürgen Köhler (57), promovierter Verfahrenstechniker, ist mit der Firmengruppe seit 30 Jahren vertraut. Seit Anfang 2014 steht der Ingenieur an der Spitze der SGL Group. Im Lauf seiner Karriere, die im Anlagenbau des Chemiekonzerns Hoechst begann, zu dem damals auch SGL gehörte, hat Köhler alle Bereiche der heutigen SGL Group geleitet, einschließlich der ausgegliederten Sparten Graphitelektroden und Kathoden. Der im bayrischen Ingolstadt geborene Manager ist verheiratet und Vater von drei Kindern. Sportlich fit bleibt Köhler als Läufer und Skifahrer.
Lohnendes Comeback
Mit den Erlösen aus den Verkäufen können die Nettoschulden von über 450 Millionen Euro nahezu getilgt werden. Für die Sparten der SGL Group, Graphite sowie glasfaser- und carbonverstärkte Kunststoffe (Verbundwerkstoffe), werden bis 2020 jährliche Wachstumsraten von jeweils knapp sieben und knapp neun Prozent prognostiziert. Der Gesamtumsatz soll dann von 770 Millionen auf 1,1 Milliarden Euro steigen, die Kapitalrendite (ROCE) von 1,7 auf 15 Prozent. Aussichtsreiche Aktie durch SGLs Führung in der Serienfertigung der neuen Werkstoffe.
Ausgewählte Hebelprodukte auf BMW
Mit Knock-outs können spekulative Anleger überproportional an Kursbewegungen partizipieren. Wählen Sie einfach den gewünschten Hebel und wir zeigen Ihnen passende Open-End Produkte auf BMW
Der Hebel muss zwischen 2 und 20 liegen
Name | Hebel | KO | Emittent |
---|
Name | Hebel | KO | Emittent |
---|
Weitere BMW News
Bildquellen: Frank Reinhold/SGL Carbon SE , 2010 © SGL Group
Nachrichten zu SGL Carbon SE
Analysen zu SGL Carbon SE
Datum | Rating | Analyst | |
---|---|---|---|
18.11.2024 | SGL Carbon SE Buy | Deutsche Bank AG | |
29.10.2024 | SGL Carbon SE Buy | Deutsche Bank AG | |
24.10.2024 | SGL Carbon SE Buy | Jefferies & Company Inc. | |
27.08.2024 | SGL Carbon SE Buy | Deutsche Bank AG | |
08.08.2024 | SGL Carbon SE Buy | Jefferies & Company Inc. |
Datum | Rating | Analyst | |
---|---|---|---|
18.11.2024 | SGL Carbon SE Buy | Deutsche Bank AG | |
29.10.2024 | SGL Carbon SE Buy | Deutsche Bank AG | |
24.10.2024 | SGL Carbon SE Buy | Jefferies & Company Inc. | |
27.08.2024 | SGL Carbon SE Buy | Deutsche Bank AG | |
08.08.2024 | SGL Carbon SE Buy | Jefferies & Company Inc. |
Datum | Rating | Analyst | |
---|---|---|---|
15.02.2023 | SGL Carbon SE Hold | Deutsche Bank AG | |
04.11.2022 | SGL Carbon SE Hold | Deutsche Bank AG | |
04.11.2022 | SGL Carbon SE Hold | Joh. Berenberg, Gossler & Co. KG (Berenberg Bank) | |
22.09.2022 | SGL Carbon SE Hold | Joh. Berenberg, Gossler & Co. KG (Berenberg Bank) | |
08.09.2022 | SGL Carbon SE Hold | Deutsche Bank AG |
Datum | Rating | Analyst | |
---|---|---|---|
15.11.2021 | SGL Carbon SE Sell | Baader Bank | |
12.11.2021 | SGL Carbon SE Reduce | Kepler Cheuvreux | |
11.11.2021 | SGL Carbon SE Reduce | Kepler Cheuvreux | |
14.07.2021 | SGL Carbon SE Reduce | Baader Bank | |
14.07.2021 | SGL Carbon SE Reduce | Baader Bank |
Um die Übersicht zu verbessern, haben Sie die Möglichkeit, die Analysen für SGL Carbon SE nach folgenden Kriterien zu filtern.
Alle: Alle Empfehlungen