Euro am Sonntag-Interview

MTU-Chef Winkler: "Verkraftbares Minus"

14.02.21 16:22 Uhr

MTU-Chef Winkler: "Verkraftbares Minus" | finanzen.net
MTU-Vorstandschef Reiner Winkler

Wie MTU-Vorstandschef Reiner Winkler den Konzern durch die Krise steuert - und wie Corona die Luftfahrtbranche verändert. Das exklusive Interview mit der Redaktion von €uro am Sonntag.

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von Wolfgang Ehrensberger und Klaus Schachinger, Euro am Sonntag

Im Corona-Jahr 2020 hat der Einbruch des weltweiten Luftverkehrs Airlines, Flugzeughersteller und Zulieferer tief in die Krise gestürzt. Auch der Triebwerksspezialist MTU wurde heftig getroffen. "Wir mussten schnell harte Entscheidungen fällen", sagt Vorstandschef Reiner Winkler. "Unsere Geschäftspartner haben das teils noch kritisiert, weil sie eine rasche Erholung erwarteten." Im Interview erläutert Winkler, wie MTU gegengesteuert hat und wie sich der DAX-Konzern in der Corona-Welt aufstellen will.

€uro am Sonntag: Wann haben Sie den Ernst der Lage erkannt?

Reiner Winkler: Wir hatten in der Tat noch ein extrem starkes erstes Quartal 2020. Bis in den März war die vorherrschende Ansicht, dass sich Corona zwar über China hinaus ausweitet, die Krise aber in Form einer V-Kurve mit schneller Erholung verläuft. Dann sind wir in Europa Ende März mit voller Wucht von Corona getroffen worden.

Wie haben Sie reagiert?

Liquiditätssicherung stand für uns wegen der extremen Unsicherheit an vorderster Stelle. Wir haben massiv Investitionen eingebremst, Personal- und Sachkosten heruntergefahren und früh Kurzarbeit eingeführt. Wir rechneten zu diesem Zeitpunkt bereits damit, dass Corona unsere Branche heftig treffen wird und dass die Prognosen für den Luftverkehr von Monat zu Monat düsterer werden - was auch eintrat.

Am 18. Februar folgt die Bilanz für das dramatische Jahr. Wie fällt sie aus?

Wir erwarten wie angekündigt für das Geschäftsjahr 2020 einen Umsatzrückgang von zehn bis 13 Prozent auf vier bis 4,2 Milliarden Euro. Das ist ein verkraftbares Minus. Die operative Ergebnismarge (Ebit) dürfte von 16 auf zehn Prozent zurückgehen, damit aber immer noch deutlich positiv sein. Wir gehen auch von einem deutlich positiven Cashflow aus.

Warum sind die Folgen überschaubar?

Das hat drei Gründe: Das Militärgeschäft ist von der Corona-Krise überhaupt nicht betroffen. Es ist 2020 sogar leicht gewachsen. Im zivilen Bereich haben wir glücklicherweise zwei Triebwerksprogramme im Produktportfolio, die sehr stark auf Frachtflugzeuge fokussiert sind. Der Frachtbereich hat 2020 einen regelrechten Boom erlebt, weil viele Passagiermaschinen für den Frachttransport ausgefallen sind. Der für uns sehr wichtige Instandsetzungsbereich wiederum wurde von der Krise zwar hart getroffen, hier konnten wir über Sondereffekte aber zumindest die Auslastung sicherstellen.

Dennoch mussten Sie auch Kapazitäten abbauen und 1.200 Stellen streichen.

Zur Klarstellung: Der Rückgang ist kein Stellenabbau, sondern umfasst den Kapazitätsabbau. Wir haben unseren Personaleinsatz insgesamt um zehn bis 15 Prozent gekürzt und dabei Instrumente wie die Rückführung von 40- auf 35-Stunden-Verträge, Altersteilzeit und ein Freiwilligenprogramm genutzt. Außerdem haben wir befristete und Leiharbeitsverträge zurückgefahren, haben noch einen Tag pro Woche Kurzarbeit eingeführt und konnten uns so relativ schonend an den Nachfragerückgang anpassen.

Reichen die Maßnahmen aus?

Aus heutiger Sicht ja. Zum Jahresende 2020 waren etwa 80 bis 85 Prozent der Kapazitätsanpassung umgesetzt, der Rest verteilt sich auf 2021.

Werden Standortprojekte wie das neue Werk in Serbien nun aufgegeben?

Unser Standortausbau ist von den Einsparungen nicht betroffen. Die zwei neuen Standorte in China und Serbien haben wir zeitlich um ein Jahr verschoben, aber nicht infrage gestellt. Wir glauben daran, dass sich die Luftfahrt von dieser Krise erholt und wir mittelfristig diese Kapazitäten brauchen.

Vor der Krise hatte MTU ein beträchtliches Auftragspolster von 20 Milliarden Euro. Welche Stornierungen gab es?

Die meisten Airlines haben ihre Aufträge auf der Zeitachse lediglich verschoben, es gab nur vereinzelte Stornierungen. Airbus hat beispielsweise die Produktionsrate beim Bestseller A320neo von 60 auf 40 Flugzeuge pro Monat gesenkt. Ende dieses Jahres könnte das schon wieder leicht nach oben gehen. Unser Auftragsbestand lag Ende September weiterhin bei knapp 20 Milliarden Euro. In der Instandsetzung konnten wir selbst in diesem schwierigen Jahr 2020 Neuaufträge im Volumen von fünf Milliarden Dollar akquirieren. Das zeigt, dass wir mit unserem Geschäftsmodell gut aufgestellt sind.

Sie haben China erwähnt. Der Markt hat sich dort schnell erholt. Sehen Sie die Gefahr von Rückschlägen?

Der chinesische Markt hat sich in der Tat schnell erholt. Unser bestehender Standort in China ist zu 100 Prozent ausgelastet, also auf Vorkrisenniveau. Auf Vorkrisenniveau ist auch der Inlandsverkehr, zumindest was die Anzahl der Flüge angeht. Durch Corona-Mutationen ist auch in China wieder Unsicherheit entstanden, aber die Chinesen bekämpfen das ja sehr rigoros.

Wie wird das Geschäftsjahr 2021?

Wir rechnen im zivilen Bereich mit stabilen Neuauslieferungen. Im zivilen Ersatzteil- und im Militärgeschäft erwarten wir leichtes Umsatzwachstum. Die zivile Instandsetzung dürfte mit über 20 Prozent das deutlichste Umsatzplus verzeichnen.

Zur weiterhin angespannten Lage der Airlines: Könnte es hier zu einer Konsolidierungswelle kommen?

Schwer zu beurteilen. In den USA ist die Konsolidierung ohnehin schon weit fortgeschritten. In Europa ist der Markt dagegen fragmentiert. Die Top-Fünf-Airlines in den USA haben rund 75 Prozent Marktanteil, in Europa etwa 50 Prozent. Politische Interessen dürften eine größere Konsolidierung in Europa erschweren. Das beste Beispiel dafür ist die italienische Airline Alitalia.

Wie verändert Corona den Luftverkehr?

Alle erwarten, dass sich die klassische Kurzstrecke, also mit Airbus A320 und Boeing 737, schneller erholen wird als die Langstrecke. Hier dürfte die Rückkehr zum alten Niveau länger dauern.

Und mit Ihrem Triebwerksprogramm sind Sie da richtig aufgestellt?

Ja. Das betrifft das V2500-Triebwerk für die A320 ebenso wie die neue treibstoffsparende Getriebefan-Triebwerksfamilie. Wir sind damit bei Jets für Kurz- und Mittelstrecken viel stärker positioniert als bei Fliegern für Langstrecken.
 


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MTU Aero Engines

Mehr Schub im neuen Jahr

Der Spezialist für Jet-Triebwerke und Wartungsdienstleistungen präsentiert am 18. Februar vorläufige Zahlen für das Geschäftsjahr 2020, das im Zeichen der bislang schwersten Branchenkrise steht. Doch die Münchner sind mit den beiden Triebwerken, dem V2500 für die begehrte Airbus-A320-Familie und der spritsparenden Getriebefan-Jeturbine, sehr gut in einem sich erholenden Markt positioniert. Das Geschäft mit Ersatzteilen und Service liefert hohe Zuflüsse und steht für mehr als 80 Prozent des Umsatzes. Aussichtsreich.










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Bildquellen: Andy Ridder, MTU Aero Engines AG, MTU Aero Engines

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