Frankreich: Grande Nation in Aufruhr
Streiks und Proteste gegen eine Arbeitsmarktreform legen das Land lahm. Die Börse in Paris belastet das aber nicht.
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von Andreas Höß, Euro am Sonntag
Der Machtkampf um die Reform des französischen Arbeitsrechts eskaliert weiter. Nachdem Blockaden von Raffinerien und Arbeitsniederlegungen bei Energieversorgern zu Engpässen an Tankstellen und im Stromnetz führten, legten Streiks nun auch Teile des Eisenbahnnetzes und der Pariser Metro lahm. Ein Ende scheint nicht in Sicht: Die Gewerkschaft CGT, die an der Spitze der Proteste steht, hat weitere Aktionen angekündigt, am 14. Juni soll es zudem in Paris große Kundgebungen geben.
Während man sich in Teilen Europas sorgt, der reibungslose Ablauf der am 10. Juni beginnenden Fußball-Europameisterschaft in Frankreich sei gefährdet, gibt man sich an der Börse in Paris betont gelassen. Einen Absturz gab es jedenfalls nicht (siehe Investor-Info).
Der Grund: Streiks sind in Frankreich Alltag. Sie bringen weder das politische System ins Wanken noch verängstigen sie Anleger. "Lassen Sie mich eines klarstellen: Es gibt keine Revolution in Frankreich", sagt Bruno Cavalier, Chefvolkswirt des Pariser Vermögensverwalters Oddo. "Das ist nicht 1968, das ist nicht Venezuela und das ist auch nicht Griechenland. Für die Börse ist der zyklische Aufschwung der französischen Wirtschaft viel wichtiger als der Streik."
Wirtschaft zieht endlich an
Diesen Aufschwung konnte man zuletzt an verschiedenen Wirtschaftsdaten ablesen. Die Wirtschaftsleistung wuchs im ersten Quartal mit 1,4 Prozent zum Vorjahr stärker als erwartet, gestützt wurde sie durch die wiederentdeckte Konsumfreude der Franzosen und anziehende Investitionen der Unternehmen. Im laufenden Jahr könnte das Wachstum mit rund 1,5 Prozent ähnlich hoch wie in Spanien oder Deutschland sein, wo die Wirtschaft in Europa derzeit am stärksten zulegt. Auch die Zahl der Arbeitslosen ist erstmals seit 2008 zwei Monate in Folge gesunken.Kritiker machen dafür externe Faktoren wie das billige Öl und den schwachen Euro verantwortlich. Frankreichs Präsident François Hollande sieht den Aufschwung hingegen als Verdienst seiner Regierung. Diese hilft Konzernen seit einem Jahr mit milliardenschweren Steuererleichterungen. Allerdings meckern EU und IWF, Hollande scheue echte Reformen und stütze die Wirtschaft allein mit Staatsgeld, weshalb Paris ein chronischer Defizitsünder ist. Seit 1999 hat Frankreich die EU-Grenze von jährlich drei Prozent Neuverschuldung zwölfmal überschritten - fast so oft wie Griechenland und Portugal.
Nicht zuletzt deshalb will Hollande nun mit seiner Reform des knapp 4.000 Seiten dicken Arbeitsrechts nachlegen, an der sich der Konflikt mit der CGT entzündet hat. Kernpunkt ist, dass der Kündigungsschutz bei kleineren und mittleren Unternehmen gelockert wird, was für Neueinstellungen sorgen soll. Außerdem sollen Unternehmen direkt mit Arbeitnehmern über Arbeitszeiten, Urlaubsgelder oder Boni verhandeln können. Das untergrabe branchenweite Tarifverträge, so die Gewerkschafter.
Und es schmälert ihre Macht. Die CGT will die Proteste deshalb nur beenden, sofern die Regierung die Reform komplett kippt. Das ist unwahrscheinlich, Finanzminister Michel Sapin bezeichnete das Vorhaben bereits als Symbol der Reformfähigkeit Frankreichs. Die Streiks könnten also andauern. Wirtschaftlich halten das nur wenige Beobachter für problematisch, selbst der einen Monat lange Generalstreik im Jahr 1995 hat nicht einmal 0,1 Prozent Wirtschaftswachstum gekostet. Und auch die Auswirkungen auf die französische Börse schätzen Frankreichs Großanleger bisher als gering ein. Die Großbank Société Générale erwartet den französischen Leitindex CAC 40 zu Jahresende nach wie vor bei 4.800 Punkten und damit etwa sieben Prozent höher als heute.
Spekulation um Regierungswechsel
Gleichwohl birgt der Konflikt erhebliche politische Sprengkraft. Nur noch fünf Prozent der Franzosen sind mit ihrem Präsidenten zufrieden. Selbst in seiner eigenen Partei fehlt ihm der Rückhalt. Die Arbeitsmarktreform musste er deshalb per Dekret an der Nationalversammlung vorbeimogeln, was ein Misstrauensvotum der Opposition zur Folge hatte, das jedoch scheiterte. Mitte Juni wird der Gesetzesvorschlag im Senat diskutiert, danach folgt eine zweite Lesung in der Nationalversammlung. Dort wird Hollande wohl wieder zum Dekret greifen müssen, was wohl ein weiteres Misstrauensvotum provoziert.Hollandes Tage als Präsident könnten jedoch ohnehin spätestens bei den Wahlen im April 2017 gezählt sein. Laut Umfragen wollen ihn nur noch 14 Prozent der Franzosen als Regierungschef. Alain Juppé von den Konservativen liegt derzeit bei 41 Prozent, die Rechtspopulistin Marine Le Pen von der Front National, die für einen Euro-Austritt Frankreichs wirbt, bei 28 Prozent. Damit würde sie statt Hollande in die Stichwahl der zweiten Runde einziehen - für politische Beobachter ein Albtraum.
Bruno Cavalier von Oddo warnt dennoch vor überzogener Panik: "Le Pen wird in der zweiten Wahlrunde eine Niederlage erleiden. Wahrscheinlich wird dort eine konservative Regierung mit ausgewogenem Reformprogramm gewählt." Die Wahlen seien deshalb "keine Gefahr, sondern eine Chance".
Investor-Info
Arbeitslosigkeit
Erste Erfolge
2012 begann François Hollande seine Präsidentschaft mit dem Versprechen, die Zahl der Arbeitslosen zu senken. Diese stieg jedoch immer weiter. Erst in den vergangenen beiden Monaten besserte sich die Lage, und die Arbeitslosenzahl ging spürbar auf 3,5 Millionen zurück. Betrachtet man die Arbeitslosenquote, ist sie mit rund zehn Prozent aber noch doppelt so hoch wie in Deutschland.
Aktienmarkt
Zuletzt stabiler als der DAX
Frankreichs Aktienmarkt lief seit Jahresbeginn minimal besser als der deutsche DAX. Die Gründe: die sich aufhellenden Wirtschaftsdaten in Frankreich, aber auch der relativ geringe Exportanteil der Franzosen nach China, wo die Wirtschaft derzeit schwächelt.
Fidelity France Fund
Aktienfonds Frankreich
Mit gut 40 Prozent Plus in fünf Jahren hat sich der 1990 gegründete Fidelity France Fund besser entwickelt als ETFs auf den CAC 40 (33 Prozent Plus). Fondsmanager Vincent Durel hat Industrieunternehmen wie Airbus derzeit höher gewichtet als im Index, Finanzunternehmen sind dagegen untergewichtet. Gutes Langfristinvestment. Wer eher kurzfristig auf mögliche Profiteure der Fußball-EM in Frankreich setzen will, kann sich das entsprechende EM-Zertifikat auf Seite 28 ansehen.Weitere News
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