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Präsident Macri: Jetzt droht die Stimmung zu kippen

21.11.16 03:00 Uhr

Präsident Macri: Jetzt droht die Stimmung zu kippen | finanzen.net

Vor einem Jahr hat Argentiniens Präsident Mauricio Macri sein Amt angetreten und Hoffnungen auf einen Aufschwung geweckt. Nun steht er am Scheideweg.

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von Andreas Fink, Euro am Sonntag

Vorigen Montag bekam Argentiniens Präsident den wohl wichtigsten Anruf seiner Amtszeit. "Hi, this is Donald", tönte es aus der Leitung, und schon die ersten Sätze ließen Mauricio Macris Anspannung weichen: Nachdem er Donald Trump vor einem Jahr als "chiflado" bezeichnet hatte, als "durchgeknallt", wurde im Land Schlimmes befürchtet.

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Doch der designierte US-Präsident versprach, das beste Verhältnis aufzubauen, das zwischen den Ländern je bestanden habe. Die Chemie stimmt offenbar. Zum Glück für Macri. Zum Glück für Argentinien?

An einem kritischen Punkt

Der südamerikanische Staat hat wieder mal Probleme mit seinen Finanzen. Macris 2015 so hoffnungsvoll begonnene Präsidentschaft steht am Scheideweg: Im kommenden Jahr sind Parlamentswahlen. Wenn es seiner Koalition, die derzeit weder Kongress noch Senat kontrolliert, nicht gelingt, eine Mehrheit zu gewinnen, könnten die Investoren Argentinien fallen lassen wie eine heiße Kartoffel. Und Macris Rückhalt in der Bevölkerung droht zu schwinden, weil er bisher weder Wirtschaft noch Inflation in den Griff bekommen hat.

Die bisherige US-Regierung war fraglos der wichtigste Förderer von Macris Mission. Obamas Finanzminister Jack Lew drängte im Frühjahr die Gläubiger zum Einlenken, sodass Argentinien die Rückkehr an die internationalen Finanzmärkte offenstand. Dann kam Obama nach Buenos Aires und ließ sich gar auf einen Tango ein, das Foto ging um die Welt.
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Solche Signale bewirkten, dass im September 1.600 CEOs nach Buenos Aires reisten, zum Argentina Business & Investment Forum. Ein Davos in der Pampa sollte das werden, nur ohne Berge und Schnee.

Leider blieb es vorerst auch ohne Wirkung. Argentinien präsentiert sich der Welt als Dornröschen, das sich danach sehnt, aufgeweckt zu werden - als Riesenland mit enormem Potenzial an Energie, Bergbau, Landwirtschaft sowie einem erheblichen Nachholbedarf an Infrastruktur. Doch nur wenige Unternehmer möchten bisher darauf wetten, dass der Millionär Mauricio Macri, ein mäßiger Redner ohne politische Wurzeln, die Prinzessin wachküssen kann.

Schwere Fehler

Zugegeben, er trat ein schweres Erbe an: vier Jahre ohne Wachstum, ein aufgeblähter Staat, der 40 Prozent des Bruttoinlandsprodukts verschlingt, Währungskontrollen, die zweithöchste Inflationsrate der Welt und ein Rekorddefizit von sieben Prozent. Wo immer Macri den Teppich anhob, schlug ihm Fäulnis entgegen.
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Macri wollte Aufbruchstimmung, nicht Abrechnung. Darum folgte er dem Rat seines Imageberaters und ließ den Morast in Ruhe. Ein Riesenfehler, der sich allmählich zu einem Bumerang auswächst. Jetzt, wo der Aufschwung immer noch auf sich warten lässt, geben immer mehr Bürger Macri die Schuld.

Denn sein erstes Amtsjahr funktionierte nach dem Versuch-und-Irrtum-Schema. Mehrfach musste die Regierung Entscheidungen revidieren. Insbesondere verunglückte der Versuch, die aberwitzigen Energiesubventionen seiner Vorgängerin Cristina Kirchner zu kürzen. Weil der gesetzlich vorgeschriebene Weg nicht eingehalten wurde, musste die Regierung nach fünf Monaten von vorn anfangen und die Heizkosten eines kalten Winters zurückerstatten. "Macris Team ist fürchterlich primitiv in seiner Regierungsführung", kritisierte unlängst der Expräsident Eduardo Duhalde, ein rechter Peronist und einstiger Fürsprecher Macris.

Das Budgetdefizit wird auch 2016 mindestens sieben Prozent betragen. 45 Milliarden Dollar haben Bund und Provinzen in diesem Jahr aufgenommen, 2017 sollen 40 Milliarden dazukommen. Dabei nutzt Macri das so ziemlich einzige positive Erbe der zwölfeinhalb Jahre Kirchner: Das Land hatte kaum noch Schulden, weil niemand den Kirchners Kredit geben wollte.

Inzwischen weiß die Regierung nicht, wohin mit den Dollars, die aus allen Ecken ins Land strömen. Investoren fluten die Finanzmärkte, weil die Zentralbank 26 Prozent Zinsen für ihre Schatzbriefe (Lebacs) bezahlt. Die Hochzinswelle, nach dem Ende der Währungskontrollen vorigen Dezember begonnen, um die Peso-Schwemme zu absorbieren, hat geschickten Großanlegern Gewinne von bis zu 50 Prozent verschafft. Kein Wunder, dass viele argentinische Unternehmen lieber in Lebacs als in Arbeitsplätze investierten.

Darum ist offenbar ein heftiger Streit in Macris Mannschaft ausgebrochen. Finanzminister Alfonso Prat Gay will, dass die Zinsen sinken, damit die Konzerne Arbeit schaffen. Seit 2007 stelle die Privatindustrie kaum noch ein, im laufenden Jahr gingen 127.000 feste Jobs verloren. Doch Zentralbankchef Federico Sturzenegger bleibt hart: Die Inflation muss sinken.

Tatsächlich liegt die Teuerungsrate heute bei über 40 Prozent. Und weil die Preise ausgerechnet für Lebensmittel noch stärker gestiegen sind, rutschte seit Macris Amtsantritt eine Million Bürger zusätzlich unter die Armutsgrenze. Inzwischen ist laut katholischer Kirche fast ein Drittel der Argentinier arm. Jedes zweite Kind wächst in Armut auf.

Noch sind seine Umfragewerte gut, aber Macri weiß, dass er bald liefern muss. Seit Monaten spricht er vom "Licht am Ende des Tunnels", doch bis heute steckt das Land in der dunklen Röhre. Seine größten Fürsprecher hatte der Präsident bislang an der Börse. Unbeirrt von der Tagespolitik stieg Argentiniens Aktienindex Merval allein im laufenden Jahr um 46 Prozent. Gemeinsam mit São Paulo war Buenos Aires 2016 die Topbörse der ganzen Welt.

Bis Donald Trump gewählt wurde. Am 10. und 11. November stürzte der Index um 1.500 Punkte ab. Weil Trumps Infrastrukturinitiative die Zinsen treiben und Argentiniens Schulden verteuern dürfte und weil Argentiniens gerade erst gewonnene Marktzugänge in die USA verloren gehen könnten.

Dann kam der Anruf. Trump scherzte über die Golf-Matches in den 80er-Jahren, als er mit Macri Immobiliendeals in New York einfädelte. Und lud den Argentinier nach Washington ein. Die Chemie, sie stimmt vorerst. Tags darauf stieg der Merval wieder um 700 Punkte.

Mitglied der Oberschicht
Der Unternehmersohn Macri ist studierter Bauingenieur. In den 90er-Jahren war er Präsident des Autoherstellers Sevel und mehr als zwölf Jahre auch Chef des Fußballklubs Boca Juniors. 2007 wurde er Bürgermeister von Buenos Aires. Der 57-Jährige ist Mitglied der konservativen Partei Propuesta Republicana. Er ist zum zweiten Mal verheiratet und hat vier Kinder.

Bildquellen: Aleksey Klints / Shutterstock.com, Casa Rosada/CC BY 2.5 AR

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