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Astronaut Gerst: "Es ist nicht eine Nummer zu groß für mich"

03.06.18 01:00 Uhr

Astronaut Gerst: "Es ist nicht eine Nummer zu groß für mich" | finanzen.net
Alexander Gerst ­ im Nachbau ­ des Columbus-­Forschungsmoduls der Weltraum­station ISS in Köln

Am Mittwoch startet der Astronaut zu seiner zweiten Mission ins All. Als erster Deutscher soll er dann die Weltraums­tation ISS kommandieren. Wie tickt der Vulkanologe, Abenteurer und gewissenhafte Tüftler?

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von Elisabeth Schönert, €uro am Sonntag

Im Blaumann und mit schnellen, festen Schritten durchquert Alexander Gerst den Hangar in Köln-Wahn. Flinke, kleine Augen, durchtrainierter Körper, kein Gramm Fett zu viel. Gerst wirkt wie einer, der anpacken kann und will. Hätte der Mann nicht dieses Logo mit den Fahnen europäischer Staaten auf der rechten Brust des Overalls, dann ginge er als selbstbewusster Automechaniker durch, vielleicht einer von Lamborghini oder Maserati.



Doch irdische Gefährte sind langsam. Gerst hat einen höheren Anspruch, er ist ein Abenteurer, ein Entdecker mit Tüftlerseele, dazu blitzgescheit. Aus 8407 Bewerbern erwählte die Europäische Weltraumagentur ESA den Geophysiker, um aus ihm einen Astronauten zu machen.

Das Training in Köln hat Gerst bereits absolviert. Am 6. Juni soll er vom kasachischen Weltraumbahnhof Baikonur zum zweiten Mal ins All aufbrechen. 190 Tage wird der Deutsche auf der internationalen Raumstation ISS leben und arbeiten - und mit einem Tempo von über sieben Kilometern pro Sekunde in 400 Kilometern Höhe um die Erde fliegen. Er wird 300 Experimente durchführen - und ab Oktober der erste deutsche Kommandant der ISS sein. "Was für eine Ehre", schreibt "Astro_Alex", wie sein Twitter-Name lautet, in seinem Blog: "Die größten Raumfahrt­agenturen der Erde vertrauen mir die komplexeste und wertvollste Maschine an, die Menschen jemals gebaut haben!"


Glücksfall im All
Der 42-Jährige ist ein Glücksfall für die ESA und das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt DLR. Weltraumfans, Politiker, Kinder - alle lieben Gerst, seine Tweets und Fotos aus dem All. Gute Öffentlichkeitsarbeit hat die Raumfahrt auch nötig. Während Russen, Amerikaner und Japaner eine Finanzierungszusage für die ISS bis 2028 gegeben haben, rangen sich die Europäer mühsam eine Zusage für ihren 8,3-prozentigen Anteil bis 2024 ab.

Die Deutschen als aktivste Nutzer tragen hiervon gut 40 Prozent. "Deutschland stellt für die gesamte Astronautik jährlich knapp 170 Millionen Euro bereit", so Volker Schmid, leitender Missionsmanager des DLR. Im Gegenzug werden die Nutzung der ISS, Training und Ausbildung der Astronauten, Experimente und Bodenbegleitprogramme gewährt - ein All-inklusive-Paket, um bei zukunftsweisenden Entwicklungen mitmischen zu können. Einer Investition in Höhe von gerade mal einer Tasse Kaffee pro Deutschem im Jahr entspreche das, rechnet Gerst vor.


Vor zehn Jahren begann der Aufbau der Großforschungsanstalt im All, seit 2011 ist sie permanent mit sechs Personen besetzt. Die ISS ist ein Langzeitprojekt, nichts für ein schnelles Return on Investment. Sie ist eine Geldanlage für die übernächste Generation. Seit 2016 hat die ESA etwa ein Drittel ihrer ISS-Ressourcen für die nationale und kommerzielle Nutzung geöffnet, doch noch immer lässt sich die Arbeit nur sehr begrenzt vermarkten. "Da die ISS mit öffentlichen Geldern finanziert wird, dürfen kommerzielle Unternehmen mit Experimenten, die für sie auf der Station durchgeführt werden, keine Werbung machen", beschreibt Schmid das Dilemma.

Hinzu kommt, dass die Weltraumforscher in anderen Zeitspannen denken. "Die chemische Industrie hat beispielsweise bei der Produktentwicklung Zyklen von ungefähr zwei bis drei Jahren. Die Realisierung eines Experiments bis zum Flug dauerte bislang durchschnittlich etwa fünf bis sieben Jahre", sagt Schmid. So ist die Nachfrage seitens der Industrie mäßig. Dabei müssen Unternehmen noch nicht einmal die Kosten für den Flug tragen, sondern nur die eigenen Entwicklungsaufwendungen.

65 europäische Versuche wird es geben, davon 48 rein deutsche oder solche mit deutscher Beteiligung. Granulate werden da etwa erforscht, die auf der Erde und im All zur Anwendung kommen sollen, um damit eines Tages per 3-D-Drucker auf Planeten Gegenstände erzeugen zu können. Medizinische Versuche der Krebs- oder Osteoporoseforschung stehen auch auf dem Programm.

Gerst wird ein Projekt betreuen, dessen Entwicklung nur zwei Jahre dauerte: Cimon ist der erste fliegende, autonom agierende, interaktive und sprachgesteuerte Astronautenassistent der Welt. Er hat einen Durchmesser von 32 Zentimetern, wiegt fünf Kilogramm und soll mit seiner künstlichen Intelligenz vor allem Routinearbeiten unterstützen. Ein 50-köpfiges Team von DLR, Airbus, IBM und der Universität München (LMU) hat ihn entwickelt. Schritt für Schritt gelangt so das Unternehmertum ins All.

Cimon soll dabei helfen, die menschliche Arbeit im Weltraum auf ein Minimum zu reduzieren. "Auf der ISS wird die Interaktion zwischen Mensch und Maschine optimiert. 98 Prozent der Arbeit wird robotisch erledigt. Aber die restlichen zwei Prozent können nur vom Menschen erfüllt werden", erklärt Gerst. Die ISS wird zum Zukunftsentwurf für das Arbeitsleben auf der Erde: Routinejobs werden von Computern erledigt, der Mensch wird nur noch für Unvorhersehbares, die Kür, eingesetzt.

Ist Kreativität gefragt, ist der Mensch unverzichtbar. So musste Gerst auf der ersten Mission improvisieren, als der Bolzen eines Schmelzofens klemmte. Stundenlang bastelte er herum. "Ich habe das Ding mit Sägeblatt und Rasierschaum bearbeitet, damit es wieder funktionierte. Auf einem unbemannten Satelliten wäre das Experiment gescheitert." Volker Schmid beschreibt Gersts Persönlichkeit so: "Er ist sehr gewissenhaft. Ein Wissenschaftler, der das absolute Maximum aus der Mission herausholen will. Er ist hochprofessionell und bewahrt immer einen kühlen Kopf." Er liebe es, selbst Hand anzulegen. Schon als Junge habe Gerst im metallverarbeitenden Betrieb der Eltern mitgeholfen.

Unternehmer im Weltraum
Mit der Kommerzialisierung des Alls steht die Raumfahrt vor einer Zeitenwende. Die Visionen sind groß, sie reichen von der Rohstoffgewinnung bis zum Weltraumtourismus. Unternehmer wie Elon Musk mit seiner Weltraumfirma SpaceX greifen ein. Ausgestattet mit starker Entschlusskraft und viel Geld kaufen sie sich Expertise. "Die Weltraumagenturen sehen diese Entwicklung positiv. Wir wollen an der vordersten Front der Technologie arbeiten. Wenn wir diese gezähmt haben, können wir unsere Erkenntnisse an die Privaten weitergeben, die dann dieses Feld bewirtschaften können", erklärt Gerst. "Wir konzentrieren uns auf die nächsten Schritte da draußen."

Schon heute transportieren die Raumschiffe privater Unternehmen Versorgungsgüter auf die ISS. Die Wege sind lang und teuer: Der Transport eines Kilogramms auf die ISS kostet rund 80.000 Dollar, zum Mond von 250.000 bis 300.000 Dollar. Die Wissenschaftler der ESA wollen dennoch Mond und Mars entdecken und eine permanente Forschungsplattform, das Moon Village, mit einem geschlossenen Lebenserhaltungssystem erschaffen. Und sie wollen existenzielle Fragen beantworten: Wie wirkt das Universum auf die Menschen ein? Welche Gefahren drohen von Asteroiden und dem Weltraumwetter? Auch die Sonne und Kometen wollen entschlüsselt werden.

Selbst der Vulkanologe und Wissenschaftler Alexander Gerst gerät angesichts der Aufgaben ins Schwärmen. "Wenn die Menschen in 10.000 Jahren zurückblicken, dann werden sie mit unserer Zeit verbinden, dass der Mensch das erste Mal den Planeten Erde aktiv verlassen hat. Das wird so wichtig sein wie die Fische, die das erste Mal an Land gegangen sind. Jetzt sind wir zu nah dran, um zu realisieren, wie signifikant dies ist. Wir stehen in den ersten 50 Jahren der Weltraumfahrt, das ist ein Wimpernschlag. Aber die Entwicklung wird weitergehen, sie wird nicht aufhören, solange es Menschen gibt."

Der Astronaut verlässt nun zum zweiten Mal den Planeten - selbstsicherer als beim ersten Mal. "Jetzt weiß ich, ich kann das da oben. Es ist nicht eine Nummer zu groß für mich." Auf dem Flug wird er während der Horizons-Mission im Raumschiff Sojus MS-09 zum ersten Mal links vom russischen Piloten Platz nehmen - als Co-Pilot von Sergeij Prokopjew. Im zweiten Teil der Mission übernimmt er dann das Kommando auf der ISS. "Zuerst werde ich mich ins Team einfügen, schauen, wie es so läuft. Zwei, drei Tage bevor die alte Crew abdockt, wird die Übergabe der Leitung an mich auf die Sekunde genau definiert." So ist im Notfall klar, wer das Kommando hat.

Schlafsack an der Wand
Die Raumstation ist ein karges Heim. Das Herz ist woanders zu Hause. "Nirgendwo spüre ich so sehr, dass der Planet Erde meine Heimat ist", sagt Gerst. Es gibt nicht viel Zeit, um auf der ISS die Seele baumeln zu lassen. Ein Arbeitstag hat auch hier 8,5 Stunden, dazu kommen 2,5 Stunden Sport, damit der Körper nicht der Schwerelosigkeit erliegt.

Jeder Astronaut arbeitet tagsüber meist allein in seinem Modul. Da freut er sich aufs gemeinsame Essen. Abends wird das "Bonus Food" geteilt, das ­Verpflegungskontingent, das sich jeder Astronaut individuell wünschen kann. Alexander Gerst öffnet schon mal eine Dose Käsespätzle, Maultaschen oder Zwetschgendessert für den Ex-Kampf­piloten Prokopjew und die US-Amerikanerin Serena Auñón-Chancellor.

Für die Seele bleibt nur die Stunde vor dem Schlaf in der spindähnlichen Koje mit einer Grundfläche von 60 mal 60 Zentimeter. Der Schlafsack wird an die Wand geschnallt, damit man nicht durch den Raum fliegt, ein Kissen mit Klettverschluss an den Kopf gebunden. So ist das Leben an einem Ort, wo es weder oben noch unten gibt, an allen sechs Wänden Apparaturen befestigt sind und einem die Zahnpasta davonschwebt.

Am Abend - sofern man von Abend sprechen kann, denn die Crew sieht pro "Tag" 16 Sonnenauf- und untergänge -, wenn Gerst mit seiner Familie telefoniert, E-Mails verschickt, fotografiert, getwittert und vielleicht einen Film angeschaut hat, dann hat er auch mal Zeit für einen Blick aus dem Bullauge hinaus ins Universum und hinab zu dem kleinen blauen Punkt, dem Planeten Erde. "Dann denke ich, dort unten, da wohne ich. Hier draußen können wir Menschen nicht existieren." Eine starke Verbundenheit fühlt er dann. "Wir alle wollen wieder dorthin zurück. Die Erde ist der Ort, wo wir hingehören."

Kurzvita

Alexander Gerst wurde 1976 in Künzelsau geboren, studierte Geophysik und Vulkanologie. ­ Er begann 2009 die Grundausbildung zum Astronauten, flog 2014 zum ersten Mal ins All und verant­wortete als Bordinge­nieur die Wartung der ISS. ­Interesse für die Raumfahrt hatte sein Großvater in ihm geweckt, als Funkamateur nutzte er den Mond als Reflektor für Funkverbindungen.
Gerst mag herausfordernde Hobbys wie Fechten, Fallschirmspringen, Snowboardfahren oder Tauchen.



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