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DAX: Das China-Dilemma

20.05.22 06:37 Uhr

DAX: Das China-Dilemma | finanzen.net

Bis zu 29 Prozent ihrer Umsätze erwirtschaften Deutschlands Top-Konzerne auf dem Boden der asiatischen Supermacht. Das wird zum Problem. Es gibt aber eine Lösung.

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von Sven Parplies, Euro am Sonntag

Diese Krise hat keine Gesichter, dafür eine Farbe: Vermummte Gestalten in weißen Schutzanzügen hämmern an Haustüren, führen infizierte Menschen ab. Mit drakonischen Methoden will Chinas Staatsführung die neue COVID-Welle brechen. Auch Kontaktpersonen kommen umgehend in Quarantäne. Massenhaft müssen die Menschen zum Virustest antreten. Die Staatsführung hat angekündigt, gegen jede Äußerung zu kämpfen, die die COVID-Kontrollpolitik des Landes "verzerrt, infrage stellt oder ablehnt".

Zumindest kurzfristig hat Chinas Kampf gegen das Virus Erfolge vorzuweisen: Die Zahl der Neuinfektionen ist zuletzt wieder gesunken. Der ökonomische Kollateralschaden der Null-COVID-Politik aber ist schon jetzt erheblich. 45 chinesische Städte waren nach Schätzung der japanischen Nomura-Bank Mitte April von Lockdowns betroffen, was 40 Prozent der chinesischen Wirtschaftsleistung entspricht. Mehr als 180 Millionen Menschen dürften direkt durch Lockdowns beeinträchtigt sein.

Reihenweise schlagen Konjunkturindikatoren Alarm. Der Einkaufsmanagerindex für die Industrie rutsche im April weiter ab und lag erneut unter 50 Punkten. Diese Schwelle markiert den Übergang von Wachstum zu einer schrumpfenden Aktivität. Der Einkaufsmanagerindex für den Servicesektor liegt sogar deutlich unter der Wachstumsschwelle.

Damit wird es für China immer schwieriger, die von der Staatsführung angestrebten Wirtschaftsziele zu erreichen. 5,5 Prozent Wachstum hat Präsident Xi Jinping für das laufende Jahr in Aussicht gestellt. Der Internationale Währungsfonds sieht das Land in seiner jüngsten Prognose lediglich bei 4,4 Prozent. Nach chinesischen Maßstäben wäre das ein schlechter Wert, schließlich lagen die Wachstumsraten noch vor wenigen Jahren regelmäßig bei sieben Prozent und höher.

Die Wellen des chinesischen COVID-Kampfes sind rund um den Globus zu spüren und treffen auch die stark auf den Export ausgerichtete deutsche Wirtschaft und den Aktienmarkt. Laut Daten der Investmentbank Goldman Sachs erzielten die DAX-Konzerne zuletzt etwa 19 Prozent ihrer Umsätze in Deutschland und 20 Prozent in der Region Asien-Pazifik. Dort wiederum spielt China als zweitgrößte Wirtschaftsmacht der Welt eine zentrale Rolle.

Eine Analyse der einzelnen Geschäftsberichte zeigt, dass unter den DAX-Mitgliedern vor allem drei Branchen stark von China abhängen: die Automobilindustrie, die Sportartikelhersteller und die Chemie.

Ein Sonderfall im DAX ist Infineon. Mit knapp 29 Prozent weist der Chiphersteller den höchsten Umsatzanteil in China aus. Abnehmer sind aber meist Fertiger, die Produkte wie Computer und Mobiltelefone für westliche Auftraggeber produzieren. Ein Großteil der nach China gelieferten Halbleiter wird als Teil des Endprodukts wieder exportiert. Damit hängt Infineons China-Geschäft nicht so sehr an der Wirtschaftslage des asiatischen Riesenreichs, sondern am Konsumklima in Europa und Nordamerika.

PS und Turnschuhe

Zu den klaren Gewinnern des jahrzehntelangen China-Booms gehören die Hersteller von Konsumgütern. Die stetig wachsende Wirtschaft des Landes hat eine immer größer werdende Mittelschicht und damit einen lukrativen Absatzmarkt für westliche Marken geschaffen. Davon profitierten insbesondere die deutschen Autokonzerne, die im Land oft über Gemeinschaftsunternehmen mit lokalen Firmen aktiv sind. Mit den Absatzzahlen ist aber auch die Abhängigkeit gewachsen.

Der Volkswagen-Konzern lieferte im vergangenen Jahr weltweit 8,6 Millionen Fahrzeuge aus. Mit 3,3 Millionen Stück beziehungsweise 38 Prozent des Gesamtvolumen ist China der mit Abstand größte Einzelmarkt der Wolfsburger. Ähnlich sind die Proportionen bei dem stärker auf das Luxussegment ausgerichteten Konkurrenten Mercedes-Benz, bei BMW liegt der Anteil bei rund einem Drittel.

Wie stark die Autoindustrie jetzt unter dem Lockdown leidet, zeigt die Statistik für den April: Um knapp 36 Prozent ist der Autoabsatz in China eingebrochen. Das wird kräftige Bremsspuren auch in den Quartalsberichten der deutschen Hersteller hinterlassen.

Als adidas-Chef Kasper Rorsted im März vergangenen Jahr die neue Strategie des Sportartikelkonzerns für die Jahre bis 2025 ("Own the game") vorstellte, spielte Fernost eine wichtige Rolle. Mehr als ein Fünftel des Konzernumsatzes entfiel bei den Franken 2021 auf China. Der einstige Wachstumsmarkt ist rasend schnell zum Problemfall geworden: Im ersten Quartal 2022 schrumpfte der China-Umsatz von adidas um 35 Prozent. Sogar in nicht unmittelbar von COVID-Beschränkungen betroffenen Landesteilen seien zahlreichen Läden geschlossen worden und das Kundenaufkommen rückläufig, heißt es bei adidas. Der Schmerz dürfte trotz sinkender Infektionszahlen noch eine Weile anhalten: Erst im vierten Quartal werde man in China wieder wachsen, so die Hoffnung. Mit ähnlichen Problemen kämpft PUMA. Bei dem kleineren adidas-Rivalen brach das China-Geschäft im ersten Quartal sogar um 37 Prozent ein.

Gerade bei den Sportartikelherstellern zeigt sich, dass die Probleme in China nicht einfach nur durch die harte COVID-Agenda zu erklären sind. Schon im vergangenen Jahr ging Schwung verloren. Analysten sehen einen wichtigen Einschnitt im März 2021, als die westlichen Sportartikelkonzerne zwischen die Fronten eines politischen Schlagabtauschs gerieten. Als Reaktion auf die Kritik am Umgang mit der uigurischen Minderheit in der Provinz Xinjiang wurde in den sozialen Medien von chinesischer Seite zum Boykott westlicher Marken aufgerufen.

Ähnliche Kontroversen hatte es schon früher gegeben, dieses Mal aber scheint der Effekt nachhaltiger zu sein. Von einem Wendepunkt für das Geschäft mit Sportartikeln sprechen die Analysten des Finanzdienstes Bloomberg. Innerhalb eines Jahres sei der Sportschuhabsatz heimischer Hersteller wie Anta und Li Ning in China um 17 Prozent gestiegen, die ausländischen Marken hätten dagegen 24 Prozent verloren.

Ein neues Zeitalter

Unternehmen halten sich bei politischen Fragen mit öffentlichen Kommentaren meist zurück, um das Geschäft nicht zu gefährden. Die Zeit der unbeschwerten Globalisierung aber dürfte vorüber sein. Der Zollstreit zwischen Trump-Amerika und China hat unter dem neuen US-Präsident Joe Biden zwar an Schärfe verloren - die neuen Konflikte aber sind noch explosiver. Spätestens mit dem russischen Angriffskrieg erscheinen geopolitische Risiken in einem ganz neuen und grellen Licht.

Volkswagen kontert den Vorwurf einer zu hohen Abhängigkeit von China mit Investitionen in den USA. Dort hatten die Wolfsburger durch den Diesel-Skandal vor knapp sieben Jahren einen schweren Rückschlag hinnehmen müssen. Jetzt soll wieder der Vorwärtsgang eingelegt werden. Am Standort in Chattanooga im Bundesstaat Tennessee sei genug Fläche für ein zweites Werk vorhanden, berichtet die Nachrichtenagentur Reuters. Der Marktanteil von Volkswagen in den USA soll bis zum Jahr 2030 auf zehn Prozent gesteigert und damit mehr als verdoppelt werden.

Auch bei adidas deutet sich eine Neujustierung an. In einer Telefonkonferenz mit Finanzanalysten nach den jüngsten Quartalsergebnissen betonten Rorsted und Finanzchef Harm Ohlmeyer die Geschäftsentwicklung in den anderen Ländern und Regionen. Für mehr als 80 Prozent des Geschäfts erwarte man im laufenden Jahr ein Wachstum im zweistelligen Prozentbereich. Auch hier spielt Nordamerika eine immer wichtigere Rolle. Im größten Sportartikelmarkt der Welt wuchs adidas im ersten Quartal um 13 Prozent.

Die langfristigen Ziele gelten weiterhin: Durchschnittlich acht bis zehn Prozent Wachstum will Adidas bis zum Jahr 2025 erzielen. Unterstützt werde dieses Ziel durch weniger Abhängigkeit von ein oder zwei Märkten, sondern einem ausgewogeneren Beitrag aller Märkte. Rorsted: "Das macht uns weniger anfällig für lokale Herausforderungen wie die, die wir gerade in China erleben."

Das asiatische Riesenreich wird aber weiterhin eine zentrale Rolle für die deutsche Wirtschaft spielen. Das verdeutlicht eine Statistik von BASF: Der Konzern, der im vergangenen Jahr immerhin 15 Prozent seines Umsatzes in China erwirtschaftete, geht davon aus, dass der Anteil des Landes am weltweiten Chemiemarkt bis zum Jahr 2030 von 45 auf 50 Prozent steigen wird. Darum investiert BASF dort viel Geld, unter anderem in einen neuen Verbundstandort in der Provinz Guangdong. Der DAX braucht China.

INVESTOR-INFO

adidas

Suche nach der Bestform

Nach schwachem erstem Quartal bremst der Sportartikelkonzern die Erwartungen: Umsatz und Gewinn dürften 2022 am unteren Ende der angepeilten Spanne liegen. Eine Gewinnwarnung ist damit weiter möglich. Abgesehen von China läuft das Geschäft von Adidas aber gut. Das macht Hoffnung auf eine Tempoverschärfung im zweiten Halbjahr. Die Aktie hat sich mit dem Kursrutsch dem Fünfjahrestief angenähert. Da Sportartikel zu den defensiveren Konsumgütern gehören, sollten Anleger investiert bleiben.

BASF

Im Auge des Sturms

Der Chemiekonzern ist hart von der Russland-Krise getroffen. Die Energiekosten sind drastisch gestiegen. Das Geschäft ist sehr zyklisch und damit im Fall einer Rezession anfällig, der Börsengang der Tochter Wintershall DEA vorerst vom Tisch. Ein schneller Befreiungsschlag ist nicht in Sicht. Die inzwischen hohe Dividendenrendite der Aktie zeigt die Skepsis vieler Börsianer. Viele Risiken müssten inzwischen aber im Kurs verarbeitet sein. Investierte Anleger sollten dabeibleiben.

Volkswagen

Auf dem richtigen Weg

Trotz der vielen Turbulenzen hält sich das operative Geschäft von Volkswagen gut. Der Effekt von Produktionsrückgängen konnte durch höhere Preise aufgefangen werden. Aufgrund von Sondereffekten wurde der Quartalsgewinn nahezu verdoppelt. Die große Herausforderung bleibt der historische Umbruch zur Elektromobilität, der auch für den Erfolg in China der zentrale Faktor ist. Das niedrige KGV sollte der Aktie deutliches Kurspotenzial eröffnen.




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Bildquellen: My Life Graphic / Shutterstock.com, Bule Sky Studio / Shutterstock.com

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