Die gelbe Gefahr

Chinas Wirtschaft: Gute Miene zum bösen Spiel

01.10.13 12:30 Uhr

Den jüngsten Horrorszenarien bis hin zum drohenden Kollaps des chinesischen Finanzsystems zum Trotz überrascht das Land nun mit guten Wirtschaftsdaten. Doch für eine Entwarnung ist es zu früh.

von Sabine Gusbeth, Euro am Sonntag

Nirgendwo liegen die Extreme zwischen Weltuntergangsstimmung und himmelhoch jauchzender Euphorie so nahe beieinander wie in China. Noch vor wenigen Wochen war vom drohenden Kollaps der zweitgrößten Wirtschaftsmacht der Welt die Rede. Nun ist der Pessimismus dem Optimismus gewichen: China exportiert wieder mehr, die Bevölkerung konsumiert, und die Stimmung bei den Unternehmen hellt sich auf. Alle Aufregung umsonst also?

Weit gefehlt. Leland Miller, Heraus­geber des „China Beige Book“, einer viel beachteten Umfrage unter chinesischen Unternehmen, bezeichnete die vermeintliche Erholung jüngst als „Fiktion“. Der Studie zufolge steht die Wirtschaft des Landes schlechter da, als die jüngsten Daten glauben machen.

Zeichen der Schwäche
Der Grund für die Diskrepanz ist so einfach wie fatal: Chinas Regierung pumpt heimlich Hunderte Milliarden in die Wirtschaft, um sie zu stützen. Das Projekt ist so geheim, dass Premier Li Keqiang Mitte August noch betonte, China habe sich gegen ein Konjunkturpaket entschieden, weil das nur kurzfristig Abhilfe schaffe. Es helfe nicht, die grundlegenden Probleme der chinesischen Wirtschaft anzupacken, sagte er auf dem Sommer-Weltwirtschaftsforum in der nordostchinesischen Hafenstadt Dalian. Experten gehen jedoch davon aus, dass die Stützungsmaßnahmen mindestens schon seit Juli laufen.

Für die Heimlichtuerei gibt es einen guten Grund: Anders als das 500 Milliarden Euro schwere Konjunkturpaket 2008 ist die neuerliche Geldspritze kein Zeichen der Stärke, sondern eines der Hilflosigkeit. Denn China wächst nur noch, weil die Regierung immer größere Summen in die Wirtschaft pumpt. Die Hälfte des Wirtschaftswachstums von zuletzt 7,6 Prozent geht auf staatliche Investitionen zurück. Einige Analysten bezeichnen China deshalb als Kredit-Junkie.

Viele hatten gehofft, dass die neue Führung unter Staatschef Xi Jinping und Premier Li das Land auf Entzug setzt und endlich dringend notwendige Reformen anpackt. So sollte der staatliche Anteil zurückgefahren und die private Nachfrage gestärkt werden.

Doch offenbar haben die Parteioberen kalte Füße bekommen, nachdem sich das Wirtschaftswachstum zuletzt stark abgekühlt hatte. Sie fürchten soziale Unruhen.
Zuletzt kursierte eine weitere Erklärung, warum das Konjunkturprogramm geheim gehalten wird. Demnach wächst die Wirtschaft langsamer, als die offiziellen Zahlen suggerieren. Der Vorwurf ist nicht neu. Immer wieder wird China bezichtigt, seine Daten zu schönen.

Der Wissenschaftler Christopher Balding etwa schätzt, dass das chinesische Bruttoinlandsprodukt zwischen acht und zwölf Prozent kleiner ist als offiziell angegeben. Zu diesem Ergebnis kam der Honorarprofessor der Peking Universität in der südchinesischen Stadt Shen­zhen in einer Studie. „Wenn man Wirtschaftsdaten einfach erfindet, sehen sie natürlich immer gut aus“, kommentierte er dazu in seinem Blog.

Verheerende Intransparenz
Diese Intransparenz — das geheime Konjunkturprogramm ist nur ein Beispiel dafür — führt dazu, dass die Einschätzungen über die Zukunft des Landes so stark schwanken. Dadurch werden sowohl Risiken als auch Chancen überschätzt.

Doch egal welche Gründe die Staatsführung für ihre Geheimniskrämerei hat, die neuerliche Geldspritze macht strukturelle Reformen unwahrscheinlicher. Damit droht das Land, in die sogenannte „Falle mittlerer Einkommen“ zu tappen, also den Sprung vom Schwellen- zum Industrieland zu verpassen. Ein immer langsameres Wachstum bis hin zur Stagnation wäre die Folge — mit negativen Auswirkungen auf die Weltwirtschaft.

Die letzte Hoffnung vieler Beobachter richtet sich nun auf das Dritte Plenum des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei im November. Auf dieser Tagung wird traditionell über die Ausrichtung der künftigen Wirtschaftspolitik entschieden. 1978 wurden dort die Weichen für die Reform- und Öffnungspolitik Deng Xiaopings gestellt. Nirgendwo liegen Hoffen und Bangen so nah zusammen wie in China. Auch weil keiner weiß, wohin seine mächtigen Funktionäre steuern.

Investor-Info

Chinas Börsen
Pulver verschossen

Seit August verbuchten die Börsen in Shanghai und Hongkong starke Zuwächse – auch weil Chinas Regierung die Wirtschaft heimlich stützt. Der Com­stage ETF HSCEI, den wir in Ausgabe 31/2013 vorgestellt hatten, stieg zeitweise über zehn Prozent. Wer investiert hat, sollte nun Gewinne sichern.

Chance und Gefahr zugleich

Hannes Stöhr: In seinem neuen Kinofilm stellt der ­
Regisseur die Frage, ob Deutschland China gewachsen ist

Im Film „Global Player“ (Kinostart: 3. Oktober) erzählt Regisseur Hannes Stöhr die fiktive ­Geschichte eines deutschen Mittelständlers, der an einen chinesischen Konkurrenten verkauft wird, um der Pleite zu entgehen. Im Interview berichtet Stöhr von seinen Erfahrungen in Schwaben und Shanghai.

€uro am Sonntag: Herr Stöhr, Ihr Film stellt die Frage, ob wir China gewachsen sind. Was glauben Sie?
Hannes Stöhr:
Ich denke, es ist zu früh für ein Fazit. Das 21. Jahrhundert wird, wie viele Experten sagen, das Jahrhundert der Chinesen. Wir stehen gerade erst am Anfang. Bei meiner Recherche habe ich Mittelständler in Baden-Württemberg und ihre Joint Ventures in China besucht. Sie betonten, wie wichtig es ist, innovativ zu sein. Nur so blieben sie den Chinesen einen Schritt voraus. Deshalb glaube ich, China ist Chance und Gefahr zugleich.

Was ist die größte Gefahr?
Eine große Gefahr ist sicher der ­Patentrechte-Klau. Denn was ­pas­siert, wenn die chinesischen ­Firmen genug wissen? Sie brauchen uns nicht mehr.

Aber viele deutsche Firmen sind in China doch sehr erfolgreich.
Das stimmt, und es ist, denke ich, einer der Hauptgründe, warum es den Deutschen — trotz Eurokrise — im Moment so gut geht. Trotzdem kann der Technologietransfer wie ein Bumerang zurückkommen, wenn die Chinesen selbst Hightechprodukte herstellen. Teilweise ist das ja schon heute so.

Warum kaufen immer mehr ­chinesische Investoren deutsche Firmen?
Die Gründe sind sicher vielfältig. Der Baumaschinenhersteller Sany etwa hat seinen deutschen Konkurrenten Putzmeister auch deshalb gekauft, um einen Brückenkopf nach Europa zu haben. Andere Investoren kaufen deutsche Firmen, bauen deren Fabrik hier ab und eins zu eins in China wieder auf. Und wieder andere wollen einfach nur Geld anlegen und sind gar nicht auf einen Wissenstransfer aus.