Der Tod der Taube

USA: Das Ende des billigen Geldes

25.06.13 03:00 Uhr

Die US-Notenbank stellt ein Ende der Anleihekäufe in Aussicht. Darauf steigen die Zinsen, die Aktienkurse brechen ein. Gleichzeitig wackelt Chinas Bankensystem. Was Anleger jetzt wissen müssen.

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von Lucas Vogel, Euro am Sonntag

Niemand hatte geschossen, niemand hatte Gift verwendet, und doch war die Taube tot. Ben Bernanke, Chef der US-Notenbank Federal Reserve (Fed), brachte sie am vergan­genen Mittwoch mit leisen, bedäch­tigen Worten um: „Sollten unsere Prognosen tatsächlich eintreffen, enden die Anleihekäufe Mitte kommenden Jahres.“

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Was der mächtigste Geldpolitiker der Welt meinte: Sollten sich die konjunkturellen Daten der USA weiter erholen, werde er noch in diesem Jahr beginnen, die unter dem Namen „Quantitative Easing“ (QE) bekannten Kaufprogramme zurückzufahren. Derzeit kauft die Fed noch jeden Monat für 85 Milliarden Dollar Staatsanleihen, Hypothekenkredite und andere Wertpapiere auf. Mit dem 2009 begonnenen QE war die Fed lange Zeit die expansivste Notenbank der Welt — ein echter Taubenschlag. „Tauben“ werden die Befürworter einer lockeren Geldpolitik genannt.

Mit den QE-Programmen senkte die Fed die Zinsen für Hypothekenkredite und half so dem Häusermarkt auf die Beine. Das niedrige Zinsniveau sorgte für günstige Finanzierungskonditionen für Unternehmen und Banken.

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Bernanke läutete mit seinen Worten den Einstieg in den Ausstieg ein. Zwar kauft die Fed auch in den kommenden Monaten Anleihen für Milliarden Dollar pro Monat. Aber eben nicht mehr so viele wie zuvor. Profi-Anleger rechnen laut Umfragen ab September mit einer Verringerung des Programms auf 65 Milliarden Dollar pro Monat. Seit Ben Bernanke vor vier Wochen andeutete, dass das Programm langsam auslaufen könnte, rätselten Börsianer rund um den Globus, wie genau Bernanke den Ausstieg aus dem sogenannten QE plant.

Nun bekamen sie die Antwort — und was für eine. Bernankes Worte wurden wie ein fester Plan interpretiert, die über viereinhalb Jahre aufgebauten Programme, die die Weltbörsen maßgeblich bestimmten, innerhalb von zwölf Monaten zu beenden. Viel Interpretation, wie immer bei Notenbank-Reden. Aber die Kommentatoren waren sich einig.

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Der Markt reagierte geschockt. Sowohl in den USA als auch am darauffolgenden Tag in Asien und Europa erlitten die Aktienmärkte starke Verluste. Der DAX sackte am Donnerstag um 3,3 Prozent ab. Die Börsianer müssen das Ende von QE erst einmal verdauen. Die niedrigen Finanzierungskosten für Banken und Unternehmen waren der Nährboden der Aktienrally seit März 2009. Nun müssen die liquiditätssüchtigen Aktionäre herausfinden, wie sie ohne Bernankes Geld auskommen.

Wackliger Aufschwung
Dabei ist das Ende von QE eigentlich ein gutes Zeichen. Die US-Notenbank glaubt die Konjunktur auf einem so stabilen Erholungspfad, dass sie keine Notwendigkeit mehr für ­extreme Maßnahmen sieht. Positiv ist die Fed vor allem den für die US-Konjunktur so wichtigen Häusermarkt gestimmt.

So steigt die Anzahl der verkauften Häuser seit Ende 2011 steil an. Die Zahl der insolventen Hausbesitzer geht kontinuierlich zurück. Seit 2011 fiel die Arbeitslosenrate von 9,8 auf zuletzt 7,6 Prozent im März. Das erklärte Ziel von Bernankes Geldpolitik ist eine Rate von sieben Prozent. Bleibt der aktuelle Trend intakt, würde dieses Ziel tatsächlich in der ersten Jahreshälfte 2014 erreicht.

Ben Bernanke, Chef der US-Notenbank Federal Reserve (Fed)
Doch die Konjunkturdaten sind zwiespältig. Zwar zeigen viele Indikatoren auf dem Häusermarkt starke Steigerungsraten (Bauausgaben für Wohnimmobilien legen derzeit um 20 Prozent pro Jahr zu). Doch das Niveau liegt immer noch weit unter dem historischen Durchschnitt. Und auch die Arbeitsmarktdaten sind nicht so positiv, wie es allein die Arbeitslosenrate suggeriert. So verringert sich zum Beispiel die Partizipationsrate stetig weiter. Obwohl die Rezession bereits Mitte 2009 beendet war, fiel sie seitdem von 66,7 auf 63,3 Prozent. Diese Rate zeigt an, wie viele Menschen arbeiten oder Arbeit suchen.

Fallen Partizipationsrate und Arbeitslosenrate gleichzeitig, heißt das: Immer mehr Menschen hören auf, nach Arbeit zu suchen. Diese Frus­trierten sorgen zwar für eine bessere Arbeitslosenstatistik, aber kaum für Konjunkturimpulse durch Konsum.

Ob die US-Wirtschaft tatsächlich schon ohne Fed-Käufe zurechtkommt, werden die nächsten Monate zeigen. Doch schon jetzt werden die Konsequenzen von Bernankes Entscheidung deutlich. Als Erster reagierte der Anleihemarkt. Kein Wunder: In vielen Segmenten ist die Fed mittlerweile der größte Nach­frager. Wenn sie erklärt, weniger zu kaufen, fallen die Kurse.

Umgekehrt steigen die Renditen. Bei zehnjährigen US-Staatsanleihen, an deren Renditen sich Millionen Anleger rund um die Welt orientieren, in vier Wochen von 1,96 auf 2,4 Prozent (siehe Investor-Info). Absolut kein hohes Niveau. Aber der Anstieg in so kurzer Zeit ist bemerkenswert.

Noch stärker fielen die Kursverluste bei risikoreicheren Papieren aus. So lag das Minus bei US-Hochzins-Unternehmensanleihen in den vergangenen vier Wochen bei 5,3 Prozent.

Große Reichweite
Doch Ben Bernankes Worte reichen weiter als bis zu den Grenzen der USA. In den vergangenen Jahren gingen US-Anleger wegen der niedrigen Zinsen auf Renditejagd im ­Ausland. Sie kauften auch im großen Stil Anleihen in den aufstrebenden Schwellenländern. Niedriger Verschuldungsgrad, höheres Wirtschaftswachstum und höhere Renditen — diese Argumente ließen die Anleihekurse in Kolumbien, Mexiko und Indonesien steigen. Umgekehrt fielen die Renditen.

Doch bei höheren Zinsen in den USA ist US-Anlegern der Renditeunterschied nicht mehr genug. Sie ziehen ihr Geld aus den Schwellenländern ab. So wirkt Bernankes Entscheidung in den Schwellenländern wie eine oktroyierte Geldbremse. Die Folge: Anleihen und Währungen rutschen ab. Zwar betrifft der Ausverkauf nahezu alle Länder, aber ­einige trifft es besonders hart. Dort fällt die geldpolitische Straffung von außen mit wachsenden eigenen Problemen zusammen.

In Brasilien protestieren am Donnerstag rund eine Million Menschen auf den Straßen gegen schwaches Wachstum, hohe Inflation und Korruption. Währung und Anleihen sind schon länger unter Druck, doch nun beschleunigt sich die Talfahrt. Ähnliches gilt für Südafrika, wo ständige Streiks und hohe Arbeitslosigkeit Anleger seit Jahresbeginn verkaufen lassen. Nun beschleunigt sich aber der Ausverkauf. Der dauert in der Türkei noch nicht so lange. Hier lösten die Proteste gegen Regierungschef Erdogan einen Kursrutsch aus.

Neben Anleihen und Währungen fielen auch die Aktien der Schwellenländer. Der MSCI-Emerging-Markets-Index, seit Jahresbeginn schon schwach, rutschte in einem Monat über 13,3 Prozent ins Minus. Die entwickelten Märkte verloren mit 6,4 Prozent wesentlich weniger. Der Ausverkauf in den Schwellenländern hat seinen Grund aber nicht nur in den USA. Während sich die Investoren am Mittwoch auf die Wortwahl Bernankes konzentrierten, kamen zwei schlechte Nachrichten aus China: Zum einen sackte der von der britischen Bank HSBC erhobene chinesische Einkaufsmanagerindex für Juni von 49,2 Punkten im Mai auf 48,3 Punkte ab. Er gilt als wichtiger Konjunkturindikator.

Zum anderen erlebt Chinas Bankenwelt derzeit eine Kreditkrise. Der Zinssatz, für den sich chinesische Banken untereinander Geld leihen (Shibor), schoss am Mittwoch auf über elf Prozent und lag damit über dem Wert der Krisenmonate vom Herbst 2008. Die chinesische Notenbank schritt zwar mit Liquiditätshilfen für Großbanken ein. Doch am Freitag blieb der Shibor bei rund 4,5 Prozent stehen — deutlich höher als im Schnitt der vergangenen Jahre. Man will offenbar ein Zeichen für eine restriktivere Geldpolitik setzen und kleinere Banken für übermäßige Kreditvergabe bestrafen.

Im Zuge gigantischer Investitionsprogramme war das Kreditwachstum rapide gestiegen. Charlene Chu, China-Chefin der Ratingagentur Fitch, schätzt Chinas Kredite, in­klusive der Schattenbanken, auf 198 Prozent des BIP. Vor vier Jahren waren es lediglich 125 Prozent.

Schwieriger Umbau
Doch Staatspräsident Xi Jinping hat angekündigt, das Wachstum von Investitionen hin zum Konsum zu lenken — mit Konsequenzen für die anderen Schwellenländer. Sie sind stärker abhängig von der chinesischen Konjunktur als Europa und die USA. Eisenerz aus Brasilien und Kupfer aus Peru befeuerten das von staatlichen Programmen angeheizte Wirtschaftswachstum. Immobilien und Infrastruktur verschlangen Unmengen an Rohstoffen.

Kein Wunder also, dass insbesondere Rohstoffnationen wie Brasilien und Südafrika zu den größten Verlierern der vergangenen Monate gehören. Konjunkturelle Bremsspuren durch den Strukturwandel in China treffen aber auch entwickelte Länder wie Australien und Neuseeland hart, die viel nach China exportieren. Deren Währungen fielen zuletzt fast ohne Pause.

Doch bei all den Turbulenzen sollten Anleger bedenken, dass der Auslöser der Kursbewegungen eigentlich ein positiver ist: Ben Bernanke hält die US-Konjunktur für so stabil, dass sie in Zukunft auch ohne QE zurechtkommt.

Behält er recht, wäre das ein ideales Szenario für Anleger. Schließlich bedeutet ein Ende von QE noch nicht das Ende niedriger Leitzinsen. Die blieben den Anlegern wohl länger erhalten. An den Zinsderivaten lässt sich ablesen, dass die meisten Marktteilnehmer auch nach den Worten Bernankes nicht mit einem höheren Leitzins vor 2015 rechnen. Düster sind die Aussichten für Anleger hingegen, wenn Bernanke falsch liegen sollte. Mohamed El-Erian, Vorstand eines der größten Vermögensverwalter der Welt, Pimco, kommentierte die Fed-Strategie so: „Die Märkte sind nun noch mehr ­abhängig von stichfesten Beweisen, dass die reale US-Wirtschaft tat­sächlich auf einem soliden Aufwärtstrend ist.“

Aber was macht der Fed-Chef, wenn schlechtere Konjunkturdaten kommen? Wird er dann einfach eine erneute Trendwende verkünden, die Kaufprogramme wiederbeleben und damit die Märkte retten? Das wird schwierig. Die Glaubwürdigkeit und das Vertrauen in die Fed wären beschädigt. Zweifelhaft, ob die gleichen Methoden wie vorher Anleger beruhigen. So einfach Bernanke das Töten der Taube von den Lippen ging, so schwierig dürfte eine Wiederbelebung werden.

Investor-Info

 Brennpunkt USA
Exportierte Geldpolitik
Seit Fed-Chef Ben Bernanke erstmals von einer Reduzierung des Kaufprogramms für Anleihen sprach, sind die Renditen für US-Staatsanleihen nach oben geschossen. Das macht den Dollar und US-Anlagen attraktiver. US-Anleger ziehen daher Geld aus den Schwellenländern ab. Die Währungen verzeichnen allesamt Einbrüche.

Brennpunkt China
Kreditschock
Chinas Interbankenmarkt zeigt eine Kreditkrise an. Der Zinssatz Shibor, zu dem sich Banken untereinander Geld leihen, stieg zeitweise auf über elf Prozent. Selbst im Herbst 2008, als das Weltfinanzsystem kurz stillstand, war er niedriger. Weil zuletzt auch Konjunkturindikatoren enttäuschten, fällt der Aus­tralische Dollar derzeit wie ein Stein. China ist der wichtigste Abnehmer für Australiens Rohstoffe.

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