Das nächste große Ding

Silicon Valley: Groß werden im kreativen Chaos

07.11.14 03:00 Uhr

Silicon Valley: Groß werden im kreativen Chaos | finanzen.net

Wer hier Erfolg hat, kann zum Milliardär werden. Doch der Wettkampf um die besten Ideen ist brutal. €uro am Sonntag hat drei Start-ups getroffen.

von Matthias B. Krause, Euro am Sonntag

Der Kulturschock ließ nicht lange auf sich warten. Falko Krause erinnert sich noch genau an seinen ersten Tag im neuen Büro in San Francisco: Eine schicke Fabriketage im Herzen der Stadt, mit Betonfußboden, kaum verkleideten Versorgungsrohren an den Decken und langen Schreibtischreihen - ohne Zwischenwände oder Rückzugsraum. Co-Working-Büros wie das Runway gibt es Dutzende in der Stadt an der kalifornischen Küste und im Silicon Valley sowieso.

Das Runway in San Francisco ist ein Ort für 220 junge Menschen, die alle am "Next Big Thing" arbeiten, der nächsten großen Sache, die die Welt verändern und sie zu Multi­millionären machen wird. Vielleicht. "Uns haben immer alle gesagt: Ihr arbeitet in einem superkompetitiven Markt", sagt Krause, Chief Technology Officer von Webpgr, einer Technologie, die Designern hilft, ohne Programmierer moderne, animierte Webseiten zu bauen. Richtig klar geworden sei ihm die Sache mit der Konkurrenz aber erst, als er den oben beschriebenen ersten Schritt in sein Büro für drei Wochen setzte: "Die Szene in Berlin ist ja doch eher beschaulich."

Ein Leben für die Idee
Philipp Seeser machte sich aus München auf ins gelobte Land der Risikokapitalgeber, um für sein Unternehmen CliqMeet zu werben, das Onlinekonferenzen ohne komplizierte Softwaredownloads ermöglicht. Auch er war von dem Klima im Silicon Valley überrascht: "Wir haben hier Start-ups gesehen, die zu zehnt in einem Haus wohnen, sich zu siebt ein Zimmer teilen und nur ihre Start-up-Idee leben." Als er seine Reise antrat, sei ihm das nicht bewusst gewesen. Aber wer die Herausforderung annimmt, kann auf eine große Belohnung hoffen. Auch wenn er am Anfang der Reise noch nicht weiß, wie sie enden wird.

Zunächst müssen die Neuankömmlinge im Tal der guten Hoffnung jedoch die Spielregeln verstehen. Das fängt damit an, wie man sein Unternehmen oder vielmehr seine Idee verkauft. Denn auf diese beiden Punkte kommt es an im Valley: dass man eine Vision hat, die Investoren mitreißt, und dass man in einem Markt agiert, der groß genug ist, um eine Vervielfachung der ursprünglich investierten Summe zu versprechen.

"Ich habe hier ein neues Wort gelernt", sagt Markus Goldbach, CEO von PlagScan, einem Unternehmen, das Software zum Aufspüren von Plagiaten anbietet. "Das neue Wort nennt sich ‚Evangelism‘: Bekehre die Leute mit deiner Idee, sei enthusiastisch. Ich bin nach deutschen Standards kein unenthusiastischer Mensch, aber hier war das ein Kritikpunkt. Hier sagen die Leute: ,Das ist doch super, Markus, verkauf das.‘" Dass ihre Technologie super ist, dass sie alte Märkte aufbrechen werden, dass ihre Idee die Welt erobert, das kommt US-amerikanischen Jung­unternehmern ohne Probleme flüssig über die Lippen. Die Deutschen, die hierherkommen, müssen das Mantra erst lernen: "disruptive technology, market domination, big vision."

Und ein Investoren-Pitch startet immer mit einer guten Story, je persönlicher, desto besser. Also erzählt Markus Goldbach davon, wie sein Freund eine Software für dessen Freundin schrieb, damit die Lehrerin schnell herausfinden konnte, ob ihre Schüler irgendwo abgekupfert hatten. PlagScan war geboren. Falko Krause beschreibt die Geschichte von seinen "study buddies", die auszogen, um die Welt von den statischen, schwierig zu programmierenden HTML-Kästen zu befreien, die Webseiten heute dominieren.

Philipp Seeser hat zwar keine mitreißende persönliche Story, dafür kann er in seinem Pitch mit einem "pain point" arbeiten, einem Schmerz, der so groß ist, dass Kunden für eine Lösung beherzt in die Tasche greifen und einen ordent­lichen Scheck ausstellen. 50 Prozent aller Onlinemeetings begännen mit Verspätung, sagt Seeser. Die Gründe: Irgendein Computer hakt, einer der Teilnehmer hat nicht verstanden, welchen Knopf er drücken muss. Oder jemand kann die Software nicht installieren, die man braucht, um mitzumachen. Als die Statistik auf der Leinwand aufleuchtet und Seeser die Details erklärt, nicken das Publikum und die drei Juroren übereinstimmend. Ja, diesen Schmerz, den kennen alle.

Statt Geld gibt es einen Mentor
Die drei präsentieren ihre Start-ups auf dem Abschlussabend der German Accelerators (GA) im Silicon Valley, einer von der Bundesregierung unterstützten Initiative, die deutschen Unternehmen seit 2011 in den USA Fuß zu fassen hilft. CliqMeet, PlagScan und Webpgr sind der elfte Jahrgang, alle drei Monate werden bis zu sechs Firmen aus 60 bis 80 Bewerbern pro Jahr für den Ac­celerator ausgewählt.

Geld gibt es nicht, dafür aber intensive Betreuung. "Der Kern unseres Programms ist das Mentoring", sagt GA Chief Operating Officer Oliver Hanisch. Jedes Start-up bekommt einen persönlichen Mentor zur Seite gestellt, der es in die Kultur des Silicon Valley einweist. Wird besonderes Wissen in Bereichen wie Technologie, Marketing oder Produktentwicklung benötigt, werden Spezialisten hinzugezogen.

Vor allem aber, sagt Hanisch, müssen die Unternehmen bereit sein, ihr Geschäftsmodell noch einmal einer kompletten Überholung zu unterziehen. Bloß weil etwas in Deutschland funktioniert, heiße das noch lange nicht, dass das auch in den USA ein gutes Geschäft ist. Statt also mit dem Bauen und Wachsen anzufangen, müssen die Start-ups raus aus dem Büro und mit ihren potenziellen Kunden sprechen. Als Maxime gilt das Sprichwort, das Steve Blank, Stanford-Wirtschaftsprofessor und allgemein anerkannter Start-up-Guru im Silicon Valley, geprägt hat: "Kein Businessplan überlebt den ersten Kundenkontakt."

Zum diesjährigen Abschlussabend der German Accelerators sind etwa 100 Zuschauer gekommen, viele sprechen Deutsch. Die Anwaltskanzlei in Palo Alto, die ihre großzügigen Räume zur Verfügung gestellt hat, serviert Häppchen, kalifornischen Wein und mexikanisches Bier. Vorn unter den beiden Bildschirmen sitzt die Jury: Elke Reichart, Vice President Global Technology and Business Process beim Computerher­steller HP, Patrick Heim, Chief Trust Officer bei Salesforce, und Eric ­Trabold, Director of Business Development beim Softwarehersteller Avira.

Kein Platz für Bescheidenheit
CliqMeet, PlagScan und Webpgr sind alle ein bisschen jünger als die typischen Unternehmen, die den German Accelerator durchlaufen. Bei CliqMeet und Webpgr arbeitet nur das Gründerteam, PlagScan hat sechs Angestellte. An diesem Abend sollen die drei beweisen, dass sie fit genug sind, um Geld von großen Risikokapitalgebern an Land zu ziehen.

Dafür mussten die deutschen Unternehmensgründer nicht nur lernen, wie man seine Story richtig erzählt, sondern oft auch ihre Vision aufbohren. Lernen, nicht in kleinen Schritten zu denken, sondern die große Perspektive zu entwickeln. "US-Investoren suchen halt immer den nächsten Big Deal", sagt Hanisch. Deutsche Bescheidenheit ist da fehl am Platz. Also spricht Falko Krause von einem "40-Milliarden-Dollar-Problem", das Webpgr in Angriff nehme. Die Benutzung des Programms sei so einfach, "wie wenn man einen Stift und Papier benutzt". Am Ende der zehnminütigen Präsentation sagt er, seine Firma benötige 300.000 bis 500.000 US-Dollar, um ihre Ziele zu erreichen. Zahlen, die er noch kurz vor dem Auftritt nach oben geschraubt hat - wer im Valley nicht wenigstens nach einer halben Million fragt, gilt als zu kleiner Fisch.

Die Jury lobt die "tolle Ästhetik" von Webpgr und bescheinigt der Idee eine "zerstörerische Kraft". Weniger beeindruckt ist sie davon, dass Webpgr Designer als Hauptkunden versteht, und äußert Bedenken, ob sich die Technologie lange genug schützen lässt, um einen Vorsprung vor der Konkurrenz zu bekommen.

Eine Frage, die sich auch Philipp Seeser für sein CliqMeet gefallen lassen muss. Auf die er allerdings in der Runde nicht antworten darf, so sind die Regeln. Markus Goldbach von PlagScan hat während des Accele­rator-Programms Verlagshäuser, die sich gegen den Diebstahl ihrer Inhalte wehren, als möglichen Kundenkreis ausgemacht. Doch so wirklich überzeugt ist die Jury noch nicht. Sie hätte gern mehr über die Technologie und über das Geschäftsmodell gewusst, als Goldbach in seiner Präsentation durchblicken ließ. Und die 720 Millionen Dollar, auf die er seinen potenziellen Markt taxiert, stehen ziemlich zusammenhanglos auf der Leinwand.

Der Ausstieg ist ein Muss
Was nicht heißen soll, dass er nicht schon ein Angebot von einem Investor bekommen hätte. Für einen niedrigen siebenstelligen Betrag mochte er den Großteil seiner Geschäftsanteile allerdings nicht abgeben. Überhaupt ist die sogenannte Exit-Strategie ein heikles Thema für Goldbach. "Als Bäckersohn, mit einem Vater, der sein Unternehmen, das er von Opa übernahm, sein ganzes Leben lang gehabt hat, wäre ich durchaus zufrieden damit, zu sagen: Das ist mein Baby, das nähre ich und lass es wachsen." Doch ohne Exit in drei, vier Jahren können sich die Investoren nicht ein Vielfaches ihrer Einlage wiederholen, ein Exit ist ein Muss.

Philipp Seeser steht vor einer anderen Entscheidung: Große Technologieunternehmen, deren Namen er mitten in den Verhandlungen nicht nennen mag, hätten Interesse angemeldet. Sie würden nicht in erster Linie das Unternehmen kaufen, sondern das Team, das die Software entwickelt hat. "Acqui-Hire" nennt sich das im Valley-Slang. Dann wäre er nicht mehr sein eigener Herr. Andererseits ist er nicht sicher, ob er gegen die knallharte Konkurrenz allein bestehen könnte.

Falko Krause verlängert seine Zeit mit dem GA: "Wir müssen weiter an unserem Geschäftsmodell arbeiten. Und an unserer Technologie." Dazu ist das Silicon Valley der richtige Platz. "Hier ist das große Geld, und hier sind die Leute eher bereit, eine neue Technologie auszuprobieren."

An seinen wuseligen Arbeitsplatz im Runway hat er sich übrigens schnell gewöhnt. Mittlerweile findet er im kreativen Chaos sogar ­genug Ruhe, um zu programmieren, zu arbeiten am nächsten großen Ding.

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