Das große €uro-Interview

Jürgen Trittin: „Meine Anlagestrategie haben schon viele Leute belächelt“

14.04.13 21:10 Uhr

Wird Jürgen Trittin neuer Bundesfinanzminister? Der Chef der Grünen im Bundestag über Polit-Ambitionen, Steuererhöhungen, Managergehälter und seine Kapitalanlagen.

Das Interview führte Mario Müller-Dofel

€uro: Herr Trittin, seit Monaten sprechen Sie auffällig oft über Finanz- und Steuerpolitik. Wollen Sie nach der Bundestagswahl am 22. September 2013 neuer Bundesfinanzminister werden?
Jürgen Trittin:
Als Vorsitzender der Grünen-Bundestagsfraktion beschäftige ich mich mit allen zentralen Themen, die auf der Tagesordnung stehen. Und da wir nun mal seit 2009 eine unbewältigte Finanz- und Schuldenkrise haben, die sich zu einer tiefen Eurokrise entwickelt hat, muss ich auch hier Lösungswege aufzeigen.

Und das können Sie? Ihr Steckenpferd ist doch die Umweltpolitik.
Ich war früher Europa-Minister in Niedersachsen, habe für die Bundesländer den Europa-Vertrag von Maastricht mitverhandelt und bin überzeugter Europäer. Da ist es nicht weit zur Eurokrise.

Sie wollen also Finanzminister werden.
Wir Grünen verteilen den Tofu erst, wenn er gebacken ist. Und bis zur Wahl am 22. September ist Backen angesagt.

Tofu?
(grinst) Wir sind eine überwiegend vegetarische Partei.

Wegen des Pferdefleischs in der Lasagne?
Damit hat das nichts zu tun. Pferdefleisch ist eine Delikatesse – als rheinischer Sauerbraten zum Beispiel. Ich finde nur, dass man bekommen muss, was auf der Verpackung versprochen wird.

Schauen wir, was Sie versprechen: Im Fall einer künftigen Regierungsbeteiligung der Grünen wollen Sie den Spitzensteuersatz ab 80000 Euro Jahreseinkommen auf 49 Prozent erhöhen, die staatlichen Erbschaftsteuereinnahmen verdoppeln und eine Vermögensteuer einführen. Ganz schön deftig ...
Für wen?

Für die Steuerzahler in Deutschland, die je nach Einkommenshöhe, Familiengröße und Wohnort bereits weltrekordverdächtige 48 bis 62 Prozent ihres Bruttoeinkommens an den Staat zahlen müssen.
Die OECD hat jüngst darauf hingewiesen, dass vor allem Gering- und Normalverdiener in Deutschland sehr stark belastet werden, weil es in der Gesamtwirkung von Steuern und Abgaben kein progressives System gibt. Das liegt vor allem an den Bemessungsgrenzen bei den Sozialversicherungen. Davon profitieren die Besserverdienenden – zum Beispiel zulasten der Binnennachfrage.

Wie kommen Sie darauf?
Die Besserverdienenden und Reichen konsumieren nicht wesentlich mehr, wenn sie noch mehr Geld in der Tasche haben, weil sie ihre Bedürfnisse auch so stillen können. Wenn wir Deutschland durch eine stärkere Binnennachfrage weniger exportabhängig machen wollen, was auch für das wirtschaftliche Gleichgewicht in Europa immens wichtig wäre, müssen die Gering- und Normalverdiener mehr konsumieren können. Deshalb wollen wir Grüne diese Menschen bei Steuern und Sozialabgaben durch die Bürgerversicherung entlasten und dafür die Steuern für Besserverdienende etwas erhöhen. Zudem würden die Schulden aus der Finanzkrise über eine Vermögensabgabe abgebaut.

Eine pauschale Inanspruchnahme über die Vermögensteuer finden Sie gerecht?
Als der deutsche Staat 2009 aus Steuermitteln Unmengen an Bankschulden verstaatlicht hat, verhinderte er damit auch, dass wohlhabende Investoren ihr Geld verloren haben. Heute sitzt der Staat auf einem gigantischen Schuldenberg, der unter der Regierung Merkel um 500 Milliarden Euro auf 2,1 Billionen Euro gewachsen ist. Das hat erheblich mit den Bankenrettungen zu tun. 2013 wird der zweitgrößte Ausgabeposten im Bundeshaushalt der Schuldendienst sein: 36 Milliarden Euro, trotz historisch niedriger Zinsen. Ich finde es unfair, dass die normalen Mehrwert- und Einkommensteuerzahler für die Finanzkrisenkosten aufkommen müssen.

Und das sollen nun gefälligst „die Reichen“, wie Sie es gern formulieren, tun?
Dazu sollen vor allem die Menschen beitragen, die das auch gut schultern können und die übrigens am meisten von den Rettungsaktionen des Staates profitiert haben.

Wie wollen Sie „die“ aussieben, um sie mit einer Vermögensabgabe zu belegen?
Die grüne Vermögensabgabe ist zeitlich befristet und würde Menschen mit mehr als einer Million Euro privatem Nettovermögen treffen. Davon gibt es hierzulande rund 800000 nur ein Prozent der Bevölkerung.

Welcher Steuersatz schwebt Ihnen vor?
1,5 Prozent auf alles über einer Million Nettovermögen. Das hieße, dass pro Million Euro Nettovermögen 15000 Euro fällig würden. Würden Millionäre deshalb verarmen?

Kommt drauf an. Bei vielen Unternehmern steckt das Vermögen in der Firma. Die könnten eine Vermögensteuer aus der Privatkasse vielleicht gar nicht bezahlen.
Wir haben diese Abgabe so konstruiert, dass sie kleinen und mittelständischen Firmen nicht schadet. Das Betriebsvermögen einer Person in einer Personengesellschaft würde deshalb erst ab fünf Millionen Euro abgabepflichtig sein. Selbst mit diesen Ausnahmen könnten wir über zehn Jahre hinweg mindestens 120 Milliarden Euro an Schulden tilgen.

Kennen Sie Wähler Ihrer Partei, die es träfe und das auch noch gut fänden?
Natürlich, es stimmt doch nicht jeder Reiche mit dem Geldbeutel ab.

Und wo verorten Sie die Gegner?
Unter Reichen und gelegentlich unter Selbstständigen. Aber wenn ich denen die Regeln erkläre, stellen sie meist ganz erstaunt fest, dass sie sich das sehr wohl leisten können. Und eines ist auch klar: Herbert Wehners Spruch „Einen armen Staat können sich nur Reiche leisten“ ist falsch. Die Finanzkrise hat gezeigt, dass auch die Reichen auf einen handlungsfähigen Staat angewiesen sind.

Sie reden oft von reichen Deutschen und dem armen Staat. Dabei stiegen die Steuereinnahmen 2012 auf ein Rekordhoch: über 600 Milliarden Euro. Hat der Staat eher ein Ausgaben- oder ein Einnahmeproblem?
In den vergangenen 20 Jahren hat sich das Nettovermögen der Privathaushalte hierzulande von 4,6 Billionen Euro auf rund zehn Billionen Euro mehr als verdoppelt. Den reichsten zehn Prozent der Bevölkerung gehört weit mehr als die Hälfte davon — Tendenz steigend. Dagegen ist das Gesamtvermögen von Bund, Ländern und Gemeinden in den vergangenen zehn Jahren um 800 Milliarden gesunken. Wir leben längst von der Substanz – der Substanz unserer Straßen und Brücken, der Substanz unserer Schulen und Turnhallen. Das kann so nicht weitergehen.

Und Sie glauben, die Probleme ließen sich allein durch Steuererhöhungen lösen?
Sicher nicht nur. Wir plädieren zur Sanierung der öffentlichen Haushalte für einen Dreiklang aus Reduzierung der Ausgaben, Abbau unnötiger Subventionen und Erhöhung der Staatseinnahmen. Zudem planen wir Steuervereinfachungen.

Woran denken Sie dabei?
Nehmen wir unser Mehrwertsteuersystem: Das ist Absurdistan! Warum wird für Hummer der volle Mehrwertsteuersatz fällig, während Gänsestopfleber mit dem ermäßigten Satz belegt ist? Und warum gibt es einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz auf Skilifte und Übernachtungen, nicht aber aufs Frühstück im Hotel? Irre!

Ganz einfach bitte: Wie lautet Ihr Lösungsvorschlag?
Für alles, was man essen und lesen kann, sollte der ermäßigte Mehrwertsteuersatz gelten, für alles andere der volle. Allein mit dieser Vereinfachung würden wir 3,5 Milliarden Euro pro Jahr mehr einnehmen und Bürokratie abbauen.

Was haben Sie mit der Abgeltungsteuer für Börsengewinne vor? Die SPD will sie von aktuell 25 Prozent auf 32 Prozent anheben.
Bei der Einführung der Abgeltungsteuer wurde versprochen, dass der Staat durch die Steuer viel Geld einnehmen würde, obwohl der Abgeltungsteuersatz für Besserverdienende unter deren Einkommensteuersatz liegt. Doch das hat sich als falsch herausgestellt. Deshalb sollten Kapitalerträge steuerlich wieder wie Unternehmer- und Arbeitseinkommen behandelt werden.

Der deutsche Aktienleitindex DAX hat trotz der von Ihnen thematisierten Probleme eine vierjährige Rally hinter sich und peilt neue Rekorde an. Was sagen Sie dazu?
Ich beobachte den Anstieg ohne Emotionen. Aktienkurse sind ja nichts anderes als eine Spekulation auf die künftige Entwicklung von Unternehmen. Das wird für mich auch nicht durch die Börsenberichte vor der Tagesschau interessanter, zumal die Börse mit der realen Wirtschaft oft wenig zu tun hat.

Aha!?
Zum Beispiel hat die Deutsche Bank kürzlich ein Milliardenminus ausgewiesen, dennoch ist der Börsenkurs nach oben gegangen. Und warum? Weil sie sich ohne einen Cent Kapital mehr ihre Eigenkapitalausstattung auf dem Papier schön gerechnet hat. Das hat nichts mit Marktwirtschaft zu tun. Deswegen spiegeln Börsenkurse auch nicht zwingend wider, ob das Geschäftsmodell eines Unternehmens Erfolg versprechend ist oder nicht.

Stichwort Banken: Die Debatte um Millionengehälter von Topmanagern wird auch durch Mega-Boni für einige Banker angeheizt. Wie würde ein sogenanntes „Anti-Abzocke-Gesetz“, wie es die Schweiz gerade beschlossen hat, aus der Feder von Jürgen Trittin aussehen?
Es weht ein neuer Wind durch Europa, der Managern von Banken und anderen Konzernen scharf ins Gesicht bläst. Die Menschen finden Millionengehälter unanständig, weil sie nichts mit Leistungsgerechtigkeit zu tun haben. Viel zu leicht können sich Manager ihre Gehälter selber genehmigen, die meisten Aktionäre sind außen vor. Das muss nach dem Vorbild der Schweiz geändert werden. Außerdem brauchen wir ab 500000 Euro Jahresgehalt einen Deckel bei den steuerlich absetzbaren Betriebsausgaben. Denn wir müssen auch Schluss machen mit der Subventionierung der Millionengehälter durch die Steuerzahler.

Sie haben hier ein Interview für Leser gegeben, die genug Geld haben, um es an den Kapitalmärkten anzulegen. Warum sollten diese die Grünen wählen und Sie dadurch womöglich zum Finanzminister machen?
Weil sie ein wirtschaftlich starkes Deutschland mit einer hervorragenden Infrastruktur und eine intaktere Umwelt wollen. Weil sie unser Land vielleicht langfristig vom Hauptinflationstreiber, den Importkosten für fossile Energiequellen, abkoppeln wollen. Und weil sie wissen, dass ihr Wohlstand davon abhängt, dass wir unabhängig von Öl und Kohle werden.

Wie legen Sie Ihr Geld eigentlich an?
Ich habe einen Bausparvertrag und eine Lebensversicherung, also ganz konventionell.

Keine Aktien oder Staatsanleihen?
Nein.

Haben Sie keine Ahnung von Wertpapiergeschäften oder Angst vor Verlusten?
Mich haben schon viele Leute für meine Anlagestrategie belächelt. Aber insgesamt bin ich damit wesentlich besser gefahren als viele, die jeder neuen Anlagemode hinterhergelaufen sind.

Vielen Dank für das Gespräch.


Vita

ürgen Trittin, wurde am 25. Juli 1954 in Bremen geboren, studierte Sozialwissenschaften, arbeitete dann unter anderem als Journalist und wurde 1980 Grünen-Mitglied. Nach diversen Führungspositionen in seiner Partei wurde er 1998 Bundesumweltminister, was er bis 2005 blieb. Danach koordinierte er unter anderem den Arbeitskreis Internationale Politik und Menschenrechte der Bundestagsfraktion der Grünen, deren Chef er 2009 wurde. Für die Bundestagswahl 2013 ist er einer von zwei Spitzenkandidaten der Grünen.