Ansprüche beigelegt

Bayer-Aktie dreht ins Minus: Bayer beendet Glyphosat-Klagewelle mit milliardenschwerem Vergleich - Kreditbewertung laut S&P nicht gefährdet

25.06.20 17:55 Uhr

Bayer-Aktie dreht ins Minus: Bayer beendet Glyphosat-Klagewelle mit milliardenschwerem Vergleich - Kreditbewertung laut S&P nicht gefährdet | finanzen.net

Mit einem milliardenschweren Vergleich will Bayer die meisten seiner rechtlichen Probleme in den USA hinter sich lassen.

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Insgesamt mehr als zehn Milliarden Euro werde man sich die Einigung mit zahlreichen US-Klägern kosten lassen, teilte der Agrarchemie- und Pharmakonzern am Mittwochabend in Leverkusen mit. Dabei geht es vor allem um angebliche Krebsrisiken des Unkrautvernichters Roundup mit dem Wirkstoff Glyphosat. Mit dem Kompromiss sollen Bayer zufolge etwa 75 Prozent der aktuellen Roundup-Verfahren abgeschlossen werden - mit insgesamt etwa 125.000 eingereichten und nicht eingereichten Klagen. Auch die restlichen Verfahren sollten in den kommenden Monaten zum Abschluss kommen.

"Wir können die Unsicherheit beseitigen", sagte Konzernchef Werner Baumann der "ntv"-Redaktion. "Wir haben eine Lösung für große Rechtsfälle, die wir jetzt vergleichen. Und damit können wir uns jetzt auf die Zukunft ausrichten." In einem Interview mit dem "Handelsblatt" betonte er: "Wir sind vom Sinn des Monsanto-Kaufs weiter überzeugt."

Bayer ist dafür nach eigenen Angaben bereit, insgesamt 10,1 Milliarden bis 10,9 Milliarden US-Dollar (9,1 bis 9,8 Mrd Euro) zu zahlen. Damit solle der überwiegende Teil der vielen Glyphosat-Verfahren in den USA aus der Welt geschafft und zugleich drohenden Rechtsrisiken vorgebeugt werden. Enthalten sei auch eine Pauschale, mit der Ansprüche abgedeckt werden sollen, die noch nicht beigelegt sind sowie 1,25 Milliarden Dollar, um eine separate Vereinbarung für potenzielle künftige Klagen zu ermöglichen.

Der Schritt sei kein Schuldeingeständnis, sondern die vernünftigste Lösung für das Unternehmen, sagte Konzernchef Baumann in einer Telefonkonferenz mit Journalisten am Abend. Man wolle nach vorne blicken und sich auf das Kerngeschäft konzentrieren. Auf angebotene Produkte oder den künftigen Einsatz von Glyphosat solle die Einigung keinen direkten Einfluss haben, hieß es.

Der Konzern erzielte im Zuge des Kompromisses auch Einigungen bei weiteren US-Klagen, die etwa den umstrittenen Unkrautvernichter Dicamba betreffen. Um Verfahren wegen Verwehungen dieses Herbizids und dadurch angeblich verursachte Ernteschäden loszuwerden, wird Bayer nach eigenen Angaben bis zu 400 Millionen Dollar zahlen. Die bei einem Gericht in Missouri gebündelten Klagen betreffen demnach die Erntejahre 2015 bis 2020. Bayer erwarte einen Beitrag des mitverklagten Wettbewerbers BASF zu diesem Vergleich.

BASF will die Vorschläge des Wettbewerbers Bayer prüfen, teilte der weltgrößte Chemiekonzern am Donnerstagmorgen per Mail mit. Eine Vereinbarung dazu mit Bayer gebe es allerdings noch nicht.

Weitere etwa 820 Millionen Dollar will Bayer in die Hand nehmen, um den wesentlichen Teil der US-Verfahren wegen des Umweltgifts PCB beizulegen. Hierbei geht es um mit Chemikalien verseuchte Gewässer. Kläger hatten dem inzwischen zu Bayer gehörenden US-Unternehmen Monsanto vorgeworfen, verheerende Folgen toxischer Schadstoffe für Natur und Lebewesen verschwiegen zu haben. Monsanto sei von 1935 bis 1977 der einzige Hersteller von Polychlorierten Biphenylen (PCB) in den USA gewesen. 1979 wurde die Chemikalie dort verboten. In Deutschland ist das seit Ende der 1980er Jahre der Fall.

Die teuren Rechtskosten, die Bayer nun in Kauf nimmt, um reinen Tisch zu machen, sind allein der Übernahme des US-Saatgutriesen Monsanto geschuldet. Der Leverkusener DAX-Konzern hatte sich 2018 mit dem über 60 Milliarden Dollar teuren Kauf des Unternehmens immense Rechtsrisiken im Zusammenhang mit Glyphosat und anderen Agrarprodukten ins Haus geholt. Nachdem Bayer in den ersten drei Glyphosat-Prozessen in den USA hohe Schadenersatz-Urteile kassiert hatte, warfen immer mehr Menschen dem Konzern vor, durch die Verwendung von Monsantos Unkrautvernichtern Krebs bekommen zu haben.

Die Klagen stützen sich wesentlich auf eine Einschätzung der WHO-Krebsforschungsagentur IARC, die Glyphosat 2015 - im Gegensatz zu anderen Behörden - als "wahrscheinlich krebserregend" für Menschen eingestuft hatte. Die Leverkusener wiesen die Vorwürfe stets zurück und bekamen dabei Rückendeckung von der US-Umweltbehörde EPA, die Glyphosat bei vorschriftsmäßigem Gebrauch nicht als Gesundheitsrisiko einstuft. Die Berufungsprozesse zu den drei bereits kassierten Schuldsprüchen in den USA sollen trotz des Vergleichs weiterlaufen.

Mit Blick auf mögliche künftige Glyphosat-Fälle solle ein unabhängiges Wissenschaftsgremium gebildet werden, hieß es von Bayer. Das soll entscheiden, ob und wenn ja, ab welcher Dosis, Roundup Lymphdrüsenkrebs verursachen könne. Kläger und Bayer seien dann daran gebunden.

Die Glyphosat-Klagewelle hatte Bayer an der Börse unter Druck und die Konzernführung um Baumann in die Kritik gebracht. Man könne sich zwar darüber ärgern, für ein eigentlich unbedenkliches Produkt eine riesige Menge Geld aufbringen zu müssen, sagte Baumann nach der Verkündung des Vergleichs. "Ich bin aber sehr erleichtert, dass wir diese Phase der Unsicherheit nun hinter uns lassen können."

Finanziell ist der Konzern gut gerüstet: Allein der Verkauf der Tiermedizin soll Bayer 7,6 Milliarden Dollar einbringen - den Großteil davon in bar, einen kleineren Teil in Aktien des Käufers Elanco. Mit den Zahlungen will Bayer noch in diesem Jahr beginnen.

Die Grünen nahmen die Einigung hingegen zum Anlass, erneut für ein schnelles, nationales Verbot von Glyphosat für den privaten Verbrauch zu werben. Der im Koalitionsvertrag versprochene Ausstieg müsse endlich vorangetrieben werden, mahnte der Obmann der Grünen im Bundestag, Harald Ebner. "Die Vergleichseinigung zu Glyphosat zeigt klar: Das giftige Erbe von Monsanto kommt Bayer teuer zu stehen."

S&P: Bayers Investmentgrade-Rating hält teure Vergleiche aus

Die aktuelle Kreditbewertung von Bayer ist aus Sicht der Ratingagentur Standard & Poor's (S&P) durch die jetzt vereinbarten teuren drei außergerichtlichen Vergleiche zu den Unkrautvernichtern Glyphosat und Dicamba sowie den giftigen Polychlorierten Biphenylen (PCB) nicht gefährdet. Die BBB-Bewertung könne eine Gesamtsumme von 12,1 Milliarden Dollar auffangen, heißt es in einer Erklärung von S&P.

Damit hätte Bayer zumindest bei einem der großen Bonitätsprüfer sein Ziel erreicht, das Investmentgrade-Rating trotz der hohen Zahlungen für das unglückselige Erbe von Monsanto zu erhalten. Ein Grund dafür ist, dass die Gesamtsumme sich auf die nächsten drei Jahre verteilt und S&P damit rechnet, dass Bayer bei substanziellem Ergebniswachstum und robustem Free Cashflow in den nächsten Jahren den Pfad der Entschuldung fortsetzen kann.

So rechnet S&P damit, dass die Verschuldung relativ zum EBITDA in diesem Jahr bei 3,8 liegen wird, was dem Ziel des BBB-Ratings von unter 4 entspräche. Im Jahr 2021 dürfte die Quote auf unter 3,5 und 2022 auf nahe 3 fallen, schätzt S&P.

Eine Unsicherheit besteht aus Sicht von S&P bei den drei Roundup-Berufungsverfahren, die Bayer ausgeurteilt haben will und die deshalb nicht Teil des jetzt ausgehandelten außergerichtlichen Vergleichs sind. Ansonsten könne Bayer die vereinbarten Summen (10,9 Milliarden Dollar für Glyphosat, 400 Millionen Dollar für Dicamba und 820 Millionen für die PCB-Trinkwasserverseuchungen) aus dem Verkaufserlös der verkauften Sparte Tiergesundheit und dem freien Cashflow stemmen, glaubt S&P.

Von Moody's steht eine detaillierte Bewertung der Vergleiche noch aus. Am Mittwochabend erklärte Moody's, Bayer erkaufe sich die Beilegung der mehr als 100.000-Glyphosat-Fälle zu einem hohen Preis.

Bayer enttäuscht auf XETRA - Händler: 'Sell on good news'

An der Börse reagierten Anleger zwiegespalten. Bayer-Aktien stiegen auf der Handelsplattform Tradegate zunächst vorbörslich um fast 9 Prozent, fielen im regulären Handel aber schlussendlich via XETRA um 2,94 Prozent auf 67,93 Euro. Ein Börsianer sprach vom klassischen "Sell on good news". Die Anleger hätten sich nach den jüngsten Signalen bereits auf einen nahen Vergleich einstellen können und entsprechend positioniert. Die Bestätigung werde nun zum Verkauf genutzt.

Analysten reagierten erleichtert. HSBC-Experte Stephen McGarry empfahl Bayer-Papiere mit einem neuen Ziel von 85 Euro zum Kauf. Er hatte mit einer Belastung von 20 Milliarden Euro aus den US-Rechtsstreitigkeiten gerechnet. Nach der Beilegung dampfte er sie nun im Bewertungsmodell auf gut 12 Milliarden Euro ein.

Die Deutsche Bank hat die Einstufung für Bayer nach Milliardenvergleichen in den USA auf "Buy" mit einem Kursziel von 85 Euro belassen. Die Summe für die Vergleiche im Glyphosat-, Dicamba- und PCB-Streit in Höhe von bis zu 12,1 Milliarden US-Dollar scheine auf den ersten Blick etwas höher als erwartet, schrieb Analyst Falko Friedrichs in einer am Donnerstag vorliegenden Studie. Es sei aber eine positive Überraschung, dass alle drei Dispute auf einmal ausgeräumt worden seien.

/ajx/jha/

Veröffentlichung der Original-Studie: 25.06.2020 / 02:01 / GMT Erstmalige Weitergabe der Original-Studie: 25.06.2020 / / GMT

(Dow Jones / dpa-AFX)

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