Portfolio-Managerin: Unrealistische Hoffnungen am Aktienmarkt auf eine Erholung der Wirtschaft
Die nach dem Corona-Crash erfolgte Erholung an den Börsen ist von hoher Volatilität geprägt. Doch möglicherweise ist der durch die Anleger an den Tag gelegte Optimismus, in Anbetracht der weiterhin herrschenden Risiken, verfrüht.
Werte in diesem Artikel
• Hoffnungen auf V-förmige Erholung der Wirtschaft
• Rekordstände an den Börsen
• Verfrühter Optimismus unter Anlegern
Seit Beginn der Pandemie hat sich noch nicht viel geändert - zwar sind verhängte Lockdowns größtenteils wieder aufgehoben, gewisse Vorkehrungen müssen dennoch weiterhin eingehalten werden. Und auch die wieder anziehende Zahl der Neuinfektionen ist alarmierend. Das sollte sie zumindest sein. An den Aktienmärkten ist von solchen Sorgen jedoch nicht nachhaltig viel zu spüren. Viel stärker wirkt die Hoffnung, dass ein baldiger Impfstoff der Krise ein abruptes Ende setzen wird.
Hoffnung überwiegt Unsicherheit
Die Aktienmärkte kennen - abgesehen von einigen quasi vernachlässigbaren Rücksetzern - derzeit nur eine Richtung: nach oben. Zum einen getrieben durch Nutznießer der Corona-Pandemie, aber auch durch Daten, die darauf hindeuteten, dass die wirtschaftliche Erholung bevorsteht. Davon profitierten auch zyklische und wertorientierte Branchen. Erst kürzlich verzeichneten beispielsweise der marktbreite Index S&P 500 sowie der technologielastige NASDAQ 100 neue Höchststände. Dabei ist die Volatilität nach wie vor vorhanden, da immer wieder Unsicherheiten aufkeimen, die etwa durch steigen Infektionszahlen ausgelöst werden. Doch angesichts der aktuell hochgehaltenen Hoffnung auf einen Corona-Impfstoff, steigt die Hoffnung auf eine Regenerierung der Wirtschaft gleichermaßen.
Doch Margaret Vitrano, Portfoliomanagerin bei ClearBridge Investments, meint, dass die Erholung nicht genauso plötzlich über die Welt herfallen wird wie das Virus, sondern "eher allmählich erfolgen wird", schreibt sie in einem Beitrag auf MarketWatch.
Eilen die Marktpreise den Fundamentaldaten voraus?
Viele Anleger rechnen mit einer V-förmigen Erholung der Wirtschaft. Infolgedessen seien die Preise an den Aktienmärkten in den meisten Fällen den Fundamentaldaten vorausgeeilt, meint Vitrano. Dementsprechend könnten einige Investoren, die auf eine schneller Erholung setzen, vor einer großen Enttäuschung stehen. Sie glaubt, dass die Wirtschaft noch eine Weile an den Folgen der Pandemie zu arbeiten haben und sich langsamer erholen wird: "Der Weg verspricht lang und herausfordernd zu werden. Die wahrscheinlichsten Gewinner sind geduldige, langfristige Investoren, die bereit sind, auf den Wellen zu reiten." Doch generell stuft die Portfoliomanagerin es als schwierig ein, die Entwicklung der Aktienmärkte nach diesem einschneidende Phänomen mit Zuversicht vorauszusagen.
Stay-at-Home-Mentalität & Digitalisierung sorgen für langfristige Veränderungen
Die Nutznießer der Pandemie können als eigentliche Treiber der Erholung bezeichnet werden. Stay-at-Home-Aktien erwiesen sich als die Gewinner in der Pandemie. Ihre Geschäftsmodelle stimmen besonders gut mit dem verschobenen Verhalten der Menschen im Corona-Umfeld überein. Ob das nun der erzwungene Trend zum Homeoffice ist oder das verstärkte Onlineshopping. Die Digitalisierung, die dabei im Hintergrund schwelt, hatte bereits im Vorfeld der Pandemie an Fahrt aufgenommen und erhielt mit den Einschränkungen infolge des Virus einen weiteren Treiber. Dazu zählen vor allem Aktien die mit Datensicherheit, E-Commerce, Unterhaltung und Kommunikation zu tun haben.
Dabei gibt es jedoch einiges zu bedenken, meint nun Vitrano: Verbraucher eigneten sich während der der Lockdown-Maßnahmen ein verändertes Konsumverhalten an, beispielsweise beim Onlineshopping oder Serienschauen. Dementsprechend erhielten Amazon, Netflix & Co. einige Vorteile, die das Virus passiv mit sich brachte - diese extreme Verschiebung dürfte jedoch nicht dauerhaft erhalten bleiben. Nichtsdestotrotz wird eine Veränderung im Konsumentenverhalten langfristig zu verzeichnen sein.
Für Einzelhändler und Einkaufshäuser ist dieses ins Internet fokussierte Konsumverhalten eine Herausforderung - "In den USA ist der Besucherstrom in den Einkaufszentren zurückgegangen", erklärt die ClearBridge-Portfoliomanagerin. Infolgedessen ist im laufenden Jahr mit einer Schließungsrate von 25.000 Läden zu rechnen. Einzelhändler, die sich schnell dazu durchrungen, ihr Angebot in ein Onlinegeschäft zu verlagern oder sich in einem Omnichannel-Angebot zu positionieren, haben laut Vitrano eine bessere Chance.
Folgen für Wirtschaft nach wie vor unklar
Für die Portfoliomanagerin ist klar, dass die Rezession, die sich in der ersten Jahreshälfte 2020 ereignet hat, Konsequenzen haben wird. Die US-Notenbank Fed fand diesbezüglich vergleichbare Worte und verwies auf den weiteren Verlauf der Pandemie: "Der Verlauf der Wirtschaft wird in sehr großem Ausmaß vom Verlauf des Virus abhängen." Dass in Anbetracht dessen die Börsen in Rekordlaune sind, könnte dementsprechend als verfrühter Optimismus unter Anlegern gedeutet werden. Nach wie vor hat die Welt mit den Infektionszahlen zu kämpfen. Und auch, wenn bereits erste Staaten sich Impfdosen bei Pharma- und Biotech-Unternehmen mit Hoffnungsträgern sichern - noch ist die Realität, dass kein sicherer und massentauglicher Impfstoff auf dem Markt ist. Die Risiken für die Wirtschaft sind daher weiterhin nicht vom Tisch.
Redaktion finanzen.net
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