Italien: Abschied von Mario Draghi lässt Europa zittern
Das Ende der Regierung von Mario Draghi weckt Ängste, die EU-Schuldenkrise könnte wieder aufleben. Diese scheinen kurzfristig aber übertrieben zu sein. Von Emmeran Eder, Euro am Sonntag
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von Emmeran Eder, Euro am Sonntag
Mit gesenktem Kopf verließ Italiens Ministerpräsident Mario Draghi das Parlament in Rom, nachdem große Teile seiner Regierungskoalition ihm nicht das Vertrauen ausgesprochen hatten. Kurz darauf trat er zurück.
Der italienische Leitindex FTSE MIB quittierte das mit Kursverlusten. Schließlich stand Mario Draghi für einen Regierungschef, der einen genauen Plan verfolgt, Zuverlässigkeit ausgestrahlt und Italien zurück auf die europäische Bühne gebracht hat. Er hat wichtige Reformen eingeleitet, etwa im Justizwesen, dessen Prozeduren quälend viel Zeit beanspruchen, aber auch im komplizierten Steuersystem und in der trägen staatlichen Verwaltung.
Die Reformen sind entscheidend dafür, dass Italien Geld aus dem europäischen Wiederaufbaufonds erhält, der während der Corona-Krise aufgelegt wurde. Insgesamt kann das Land 200 Milliarden Euro bekommen. Die erste Tranche über 20 Milliarden Euro wurde bereits ausbezahlt.
Auch bei der Energiepolitik nach Beginn des Ukraine-Kriegs reagierte Draghi schnell. Fündig wurde seine Regierung in Algerien und Aserbaidschan, mit denen Verträge über die Lieferung von Gas abgeschlossen wurden, die dafür sorgen, dass Italien sich von seiner einseitigen Abhängigkeit von Russland lösen kann.
Mit dem Abgang Draghis sind diese Erfolge nun gefährdet. Ende September gibt es Neuwahlen. Bis dahin dürfte erst einmal Stillstand herrschen und keine wichtigen neuen Gesetze beschlossen werden. Auch die Verabschiedung eines neuen Haushalts dürfte sich verzögern.
In den Wahlumfragen liegt aktuell eine Koalition aus Rechtspopulisten und Rechtsextremen vorn, die skeptisch gegenüber der EU eingestellt sind. Gewinnen diese im Herbst, dürfte die Reformagenda vorerst passé sein.
Das ist fatal, denn Italien hat schon genügend Probleme. Die Arbeitslosigkeit beträgt 8,1 Prozent. Das Land hat eine niedrige Produktivität. Das liegt vor allem daran, dass in der Wirtschaft kleinere Betriebe dominieren, die nicht so innovativ sind wie große Unternehmen. Überdies stellen diese oft einfachere Produkte wie etwa Textilien oder Nahrungsmittel her, die nicht zu den fortschrittlichen Branchen gehören.
Das größte Problem ist aber die hohe Staatsverschuldung, die sich bei 150 Prozent des BIP befindet. Nur Griechenland hat in der Eurozone mit rund 180 Prozent des BIP eine noch höhere Schuldenlast. Jetzt hat auch noch die Agentur S & P den Rating-Ausblick für Italien auf "Stabil" von zuvor "Positiv" gesenkt. Damit drohen dem Land teurere Kredite. Das zusammen mit der aktuellen politischen Instabilität nährt die Sorge, dass es in der EU zu einer neuen Schuldenkrise wie einst mit den Griechen kommen könnte - nur dieses Mal ausgehend von Italien.
Die Renditen der zehnjährigen italienischen Staatsanleihen kletterten deswegen kurzzeitig auf 3,6 Prozent, vor der politischen Krise lagen diese bei 1,8 Prozent. Inzwischen pendeln die Renditen zwischen 3,2 und 3,3 Prozent.
Neues Instrument der EZB
Die EZB hat das Problem einer neuen Schuldenkrise ebenfalls erkannt und bei der letzten Sitzung ein neues Instrument konkreter vorgestellt, das sogenannte Transmission Protection Instrument (TPI). Es soll verhindern, dass es ungeordnete Marktbewegungen bei Staatsanleihen gibt, vor allem, dass Spekulanten die Renditen etwa in Italien so stark nach oben treiben, dass die Wirtschaft leidet. Überdies würde das eine einheitliche Geldpolitik erschweren, also die weitere Anhebung der Leitzinsen zur Inflationsbekämpfung.
Eigentlich gibt es bereits zwei Mittel, mit denen die EZB Marktverwerfungen bekämpfen kann. Das ist zum einen das PEPP. Ein Anleihekaufprogramm, das zwar im März 2022 eingestellt wurde, fällige Staatsbonds dürfen aber noch durch neue Käufe ersetzt werden. Wenn etwa eine deutsche Staatsanleihe ausläuft, kann stattdessen eine italienische erworben werden, um deren Rendite zu drücken. Im Durchschnitt werden im Rahmen des PEPP monatlich rund 20 Milliarden Euro fällig. Das zweite Mittel im Werkzeugkasten der EZB nennt sich OMT (Outright Monetary Transactions). Es wurde aber noch nie genutzt. Ein Land, das darauf zurückgreift, muss Reformen durchführen um Kredite aus Brüssel zu bekommen. Diese werden von der EU streng kontrolliert und überwacht. Das möchten Länder möglichst vermeiden.
?Offenbar schätzt die EZB die Lage so ein, dass ein drittes Instrument benötigt wird, dass zwischen PEPP und OMT steht. "Die Hürden für eine Aufnahme sind niedrig", sagt Andy Mulliner, Chefstratege beim Vermögensverwalter Janus Henderson Investors. Dabei handelt es sich um solide Haushaltsführung, Nichtvorhandensein ernsthafter ökonomischer Ungleichgewichte, Tragfähigkeit der Staatsschulden und vernünftige Wirtschaftspolitik. Derzeit erfüllen alle Euroländer die Bedingungen für den Einsatz von TPI. "Da wurden viele Spielräume eingebaut. Sogar Griechenland und Italien mit ihrer hohen Staatsverschuldung erfüllen die Kriterien", kritisiert Daniel Hartmann, Chefvolkswirt beim Schweizer Vermögensverwalter Bantleon. Zudem hat das Programm ein unbegrenztes Volumen.
Überdies bleibt einiges unklar. Zum Beispiel, wann die Marktverwerfungen so stark sind, dass TPI angewandt wird. Oder, ob die Entscheidung dafür im EZB-Rat einstimmig oder nur mit Mehrheitsentscheidung getroffen wird.
Langfristig entstehen Probleme
"Auf den ersten Blick hört sich das gut an. In der Praxis dürfte es aber schwierig werden, das richtige Maß beim Einsatz von TPI zu finden", sagt Hartmann. Werde es zu häufig genutzt, könnte es das Schuldenmachen einzelner Länder fördern. "Dann gibt es keinen Grund mehr, sich anzustrengen. Das ist das Dilemma, in dem die EZB steckt", so Hartmann. Wenn die Finanzmärkte ausgeschaltet werden, um Marktverwerfungen zu unterdrücken, gebe es kein Korrektiv mehr. "Auf lange Sicht könnten daraus enorme Probleme in der Eurozone entstehen", meint Hartmann. Kurz- und mittelfristig werde die EZB aber mit allen Mitteln versuchen, die Eurozone zusammenzuhalten.
Daher sieht Hartmann vorerst keine neue Schuldenkrise aufziehen. Die Problemländer Griechenland und Portugal haben Reformen durchgeführt und stabile Regierungen. Italien hat zwar eine hohe Verschuldung, aber die Wirtschaft wächst aktuell mehr als in Deutschland, auch wegen des starken Tourismusgeschäfts. Zudem ist die Leistungsbilanz ausgeglichen und die Probleme mit faulen Krediten italienischer Banken sind zwar nicht gelöst, haben sich aber abgeschwächt. Zusätzlich gibt das Land bedingt durch die hohen Zuwendungen aus EU-Fonds, die rund zwei Prozent des BIP ausmachen, derzeit Geld aus. In der Zeit der Schuldenkrise nach der Finanzkrise wurde dagegen massiv gespart. Und zu guter Letzt: In Italien kommen und gehen Regierungskrisen.
INVESTOR-INFO
ENI
Krisenprofiteur
Der italienische Öl- und Gaskonzern Eni ist im italienischen Leitindex FTSE MIB vertreten. Das Unternehmen verfügt über ein Tankstellennetz, es fördert, raffiniert und vertreibt Öl sowie Gas. Mit seiner hohen Präsenz in Afrika und dem Nahen Osten ist der Konzern sehr bedeutend für die Öl- und Gasversorgung Europas. Im ersten Quartal stiegen die Gewinne stark, auch die nach Redaktionsschluss veröffentlichten Zahlen für das zweiten Quartal sollten überzeugen.
Absicherung mit dem Dollar
Sollte es erneut zu einer Schuldenkrise in der Eurozone kommen, wie das vor einigen Jahren mit Griechenland der Fall war, würde das den Euro noch weiter unter Druck bringen. Gewinner wäre dann der US-Dollar. Anleger können mit einem Turbo-Zertifikat von HSBC Deutschland auf einen steigenden Greenback gegenüber dem Euro setzen. Der Hebel bei dem Papier beträgt fünf.
Anleihen-ETF
Die Guten ins Töpfchen
Beim EuroMTS Highest Rated Government Bond ETF von Lyxor wird ausschließlich in solche Anleihen aus der Eurozone investiert, die ein bis drei Jahre laufen und ein "AAA"-Rating haben. Darunter fallen nur deutsche, französische, niederländische, österrei- chische und finnische Bonds. Anleihen aus Südeuropa sind momentan nicht vertreten. Deutschland und Frankreich sind mit einem Anteil von fast 80 Prozent gegenwärtig hoch gewichtet.
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