Scholz präsentiert Kabinett Wirecard-Aktionsplan - EU-Kommissar fordert Konsequenzen auf EU-Ebene - Untersuchungsausschuss startet
Die Bundesregierung hat kurz vor der ersten Sitzung des Wirecard-Untersuchungsausschusses in einem Aktionsplan Konsequenzen aus dem Skandal um den Zahlungsdienstleister angekündigt.
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Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) habe dem Kabinett bei seiner Sitzung in Berlin "einen Aktionsplan der Bundesregierung zur Bekämpfung von Bilanzbetrug und zur Stärkung der Kontrolle über Kapital- und Finanzmärkte zur Kenntnis gegeben", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert bei einer Pressekonferenz.
"Dieser Aktionsplan enthält die vom Finanzminister schon mehrfach öffentlich angekündigten raschen rechtlichen Konsequenzen aus dem Skandal um die Wirecard AG", erklärte er. Dem folgten "nun natürlich einzelne Gesetzesvorhaben, die dann im Laufe der Zeit noch die normale Ressortabstimmung durchlaufen werden". Scholz will den Plan am Nachmittag gemeinsam mit Bundesjustizministerin Christine Lambrecht bei einer Pressekonferenz vorstellen.
Maßnahmen des von Scholz initiierten Aktionsplans waren bereits Ende Juli öffentlich geworden. Scholz sieht demnach vor, dass die Finanzaufsicht Bafin künftig "direkt und unmittelbar mit hoheitlichen Befugnissen gegenüber Kapitalmarktunternehmen auftreten können" soll. "Die Bafin braucht ein Sonderprüfungsrecht gegenüber allen kapitalmarktorientierten Unternehmen einschließlich Auskunftsrechte gegen Dritte, die Möglichkeit forensischer Prüfungen sowie das Recht, die Öffentlichkeit früher als bisher über ihr Vorgehen bei der Bilanzkontrolle zu informieren", hieß es in dem Aktionsplan, in den Dow Jones Newswires Einblick hatte.
Bilanzprüfer sollen alle zehn Jahre ausgetauscht werden
An die Stelle des bisherigen zweistufigen Systems bei der Bilanzkontrolle soll demnach "ein stärker staatlich-hoheitlich geprägtes Bilanzkontrollverfahren" treten. Insgesamt soll die Bafin neu organisiert werden. Das soll mit einer Stärkung der Eingriffsrechte der Aufsicht im Anleger- und Verbraucherschutz einhergehen. Um Betriebsblindheit zu vermeiden, sollen Bilanzprüfer laut den Angaben künftig alle zehn Jahre ausgetauscht werden. Bisher sind 20 Jahre vorgeschrieben. Beratung und Kontrolle sollen schärfer getrennt werden. Die Aufsicht über die Prüfer von Abschlussbilanzen soll verstärkt und die strengen Verschwiegenheitspflichten sollen gelockert werden.
Der Bundestag hatte vergangene Woche einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Aufarbeitung des Wirecard-Skandals beschlossen. Der aus neun Mitgliedern bestehende Ausschuss soll seine erste Sitzung am Donnerstag um 15 Uhr abhalten. Dann wird unter anderem über den Vorsitz entschieden, den die AfD für sich reklamiert. Erste Zeugenbefragungen sind nach früheren Angaben aber erst ab Mitte November zu erwarten. Die Regierung müsse "auch etwaige nachrichtendienstliche Bezüge zu Wirecard aufklären", forderte Linke-Fraktionsvize Fabio De Masi vor der Sitzung. "Die Finanz- und Geldwäscheaufsicht in Deutschland muss für das digitale Zeitalter fit werden."
In dem Skandal um Wirecard war zunehmend die Rolle der Politik und der Finanzaufsicht ins Zentrum gerückt. Die Behörden stehen in der Kritik, die Unregelmäßigkeiten zu spät aufgedeckt zu haben. Dabei geht es auch um die Rolle von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) wegen des Engagements für Wirecard bei einer China-Reise im Herbst 2019 und um die politische Verantwortung von Scholz für die Bafin. Bei dem damaligen DAX-Unternehmen Wirecard waren im Juni Luftbuchungen von fast 2 Milliarden Euro öffentlich geworden, es befindet sich mittlerweile in einem Insolvenzverfahren. Ex-Wirecard-Chef Markus Braun sitzt inzwischen in Haft, Ex-Vorstandsmitglied Jan Marsalek ist flüchtig.
EU-Kommissar fordert Konsequenzen auf EU-Ebene
Der zuständige EU-Kommissar Valdis Dombrovskis hat Konsequenzen auf EU-Ebene aus dem mutmaßlichen Milliardenbetrug beim DAX-Konzern Wirecard gefordert. Mängel vor allem in der Finanzaufsicht müssten aufgehoben werden, sagte Dombrovskis am Mittwoch im Plenum des Europaparlaments. Die EU-Kommission halte es für wichtig, ein EU-weites Regelbuch einzuführen, so der Kommissionsvize. Es müsse strengere Regeln für immer komplexer werdende Systeme geben. Die Kommission werde dazu bis Ende des Jahres einen Vorschlag vorlegen, so Dombrovskis.
Auch Abgeordnete des Europaparlaments forderten während der Debatte stärkere EU-Finanzaufsichtsmittel. Der Grünen-EU-Politiker Sven Giegold betonte, dass große Europäische Akteure auch unter eine gemeinsame Aufsicht kommen müssten. Mit Wirecard sei ein großes Unternehmen entstanden, das von Deutschland aber nicht ordentlich beaufsichtigt worden sei, sagte Giegold im Plenum.
Der Linken-Abgeordnete Martin Schirdewan forderte eine Stärkung der EU-Finanzbehörden und eine Änderung der Wirtschaftsprüfungsrichtlinie. "Wir haben aber bisher nicht genau aufgearbeitet, was bei Wirecard wann falsch gelaufen ist. Es ist daher nicht klar, dass eine stärkere europäische Aufsicht überhaupt einen Unterschied gemacht hätte", erklärte der CSU-Politiker Markus Ferber.
Der deutsche Europa-Staatsminister Michael Roth (SPD) betonte im Plenum, dass vor dem Beschluss von Maßnahmen die Situation genau analysiert werden müsse. Dazu solle der Bericht der europäischen Finanzaufsicht Esma abgewartet werden, so Roth.
Der inzwischen insolvente Zahlungsdienstleister Wirecard hatte im Sommer Luftbuchungen von 1,9 Milliarden Euro eingeräumt. Die Münchner Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass Wirecard seit 2015 Scheingewinne auswies. Mehr als drei Milliarden Euro könnten verloren sein. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) und eine private Wirtschaftsprüfungsgesellschaft stehen in dem Fall in der Kritik.
Untersuchungsausschuss zum Bilanzskandal Wirecard startet
Im Bundestag startet am Donnerstag (15.00 Uhr) der mit Spannung erwartete Untersuchungsausschuss zum spektakulären Bilanzskandal rund um den ehemaligen DAX-Konzern Wirecard. Die Abgeordneten wollen in den kommenden Monaten unter anderem herausfinden, ob das deutsche Fintech-Unternehmen als aufstrebender Börsenstar von den Aufsichtsbehörden mit Samthandschuhen angefasst wurde.
Der inzwischen insolvente Dax-Konzern hatte im Sommer Luftbuchungen von 1,9 Milliarden Euro eingeräumt. Die Firma saß als Dienstleister für bargeldlose Zahlungen an Ladenkassen und im Internet an der Schnittstelle zwischen Händlern und Kreditkartenfirmen - in einem hart umkämpften Markt.
Nach bisherigem Stand der Ermittlungen machte Wirecard jahrelang Verluste. Die Münchner Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass das Unternehmen seit 2015 Scheingewinne auswies. Mehr als drei Milliarden Euro könnten verloren sein. Die Finanzaufsicht Bafin und eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft stehen in dem Fall in der Kritik.
BERLIN (Dow Jones)/ (dpa-AFX)
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