Stefan Riße-Kolumne

Talfahrt ohne Nachrichten - Größtes Risiko für die Börsen, DAX-Ziel 8.600

26.09.14 15:13 Uhr

Talfahrt ohne Nachrichten - Größtes Risiko für die Börsen, DAX-Ziel 8.600 | finanzen.net

Gefährlich wird es an der Börse immer dann, wenn die Kurse ohne wichtige Nachrichten oder Ereignisse plötzlich ins Rutschen kommen.

Werte in diesem Artikel
Indizes

22.242,5 PKT 177,9 PKT 0,81%

So wie beim gestrigen Kursrutsch oder überhaupt schon bei der Abwärtstendenz der gesamten Woche lohnt es nicht, lange nach Gründen zu suchen. Im Gegenteil, zum Ende vergangener Woche kamen viele gute Nachrichten zusammen, die so manche Autoren von Börsenbriefen und Marktkommentaren dazu veranlassten, schon wieder die Marke von 10.000 Punkten beim DAX auszurufen. Die US-Notenbank sieht keine Eile, die Zinsen zu erhöhen, die Schotten bleiben Teil des Vereinigten Königreichs und in der Ost-Ukraine beruhigt sich die Lage zunehmend. Selbst die Luftangriffe der USA auf Stellungen der IS-Terroristen jetzt auch auf syrischem Gebiet können nicht als Grund für diese Abwärtsbewegung herhalten. Das dies kommen wird, war auch schon vergangenen Freitag klar, als der Dow Jones noch sein Rekordhoch bei fast 17.400 Punkten markierte.

Wer­bung

Börsen reagieren nicht rational

Aber gerade da lag oder liegt das Problem. Die Börsen reagieren nicht rational, vielmehr spielen Psychologie und Positionierung der Anleger eine viel entscheidendere Rolle für die kurz- bis mittelfristige Tendenz als die zugrunde liegenden wirtschaftlichen, aber auch politischen Rahmenbedingungen. So hielten sich eine ganze Zeit lang die Börsen stabil, als in der Ukraine gekämpft wurde. Und die drohende Zinswende in den USA war zwar beim US-Dollar und an den Anleihemärkten zu spüren, an den Börsen hingegen wurde sie bislang lediglich zur Kenntnis genommen, mehr nicht. Und wenn Kurse tendenziell nur noch eine Richtung kennen, die nach oben, manifestiert sich dies in den Köpfen der Anleger, die dann auch nichts anderes mehr glauben wollen und jede noch so kleine Abwärtsbewegung dazu nutzen, in den Markt einzusteigen. Das verhindert ein ganze Zeit lang stärkere Korrekturen, macht aber den Markt über kurz oder lang anfällig für einen deutlichen Kursrutsch.

Aktien wandern von starken in schwache Hände

Und an diesem Punkt sind die Börsen jetzt angekommen. Die einhelligen Prognosen, dass die 10.000 beim DAX nur noch reine Formsache sind, deuteten darauf hin. Vor allem die Wall Street scheint verletzlicher denn je nach dem gemessenen Rekordoptimismus in diesem Jahr. Und was passiert, wenn die US-Börsen den Rückwärtsgang einschalten, ist allen DAX-Beobachtern wohl bekannt. Die Talfahrt, wie wir sie in den vergangenen Tagen gesehen haben, wird nicht in einem Stück und in diesem Tempo weitergehen. Auch jetzt stehen schon wieder vermeintliche Schnäppchenjäger kurz davor, diese 400 Punkte Minus im DAX als willkommene Gelegenheit für eine spekulative Position zu nutzen. Jetzt wandern die Aktien von den starken Händen, also langfristig und strategisch positionierten Investoren in die schwachen spekulativen Hände, die so schnell aus dem Markt verschwinden, wie sie zuvor kamen, wenn es dann unerwartet doch weiter runter geht.

Fundamentale Begründungen werden nachgeliefert

Auch wenn Psychologie an der Börse eine entscheidende Rolle spielt, ganz vergessen sollte man die fundamentalen Rahmenbedingungen nicht. Es lohnt hier der Blick auf die Verfassung der Wirtschaft, aber auch der Kapitalmärkte in der Eurozone. Während die Zinsdifferenzen innerhalb der Eurozone eine heile Welt vorgaukeln, man für italienische Anleihen aktuell weniger Zinsen als für US-Papiere bekommt, braut sich hinter den Kulissen etwas zusammen. Die Wirtschaft der Eurozone wächst nicht, einer leichten Verbesserung folgt nun schon wieder Ermüdung, auch weil Deutschland als Zugpferd mehr und mehr an Dynamik verliert. Ifo-Index und Konsumklima sprechen da eine eindeutige Sprache. Da wird am Ende auch der schwache Euro die fehlende Binnennachfrage nicht kompensieren können. Noch finden die Auseinandersetzungen darüber, ob Sparen oder doch lieber Geld in die Hand nehmen, um die Wirtschaft anzukurbeln, der richtige Weg ist, hinter vorgehaltener Hand statt. Je lauter diese Diskussionen in Brüssel aber werden, um so mehr wird auch den Anlegern klar, welches Kartenhaus sie sich hier aus ihren italienischen und spanischen Staatsanleihen aufgebaut haben.

Wer­bung

Rückkehr der Eurokrise nur eine Frage der Zeit

Dann werden sich auch die Zinsdifferenzen wieder deutlich ausweiten. Unter dem extremen Druck der Finanzmärkte mit der akuten Gefahr des Auseinanderbrechens der Eurozone dürften dann die Gegner einer generellen Rettungspolitik zähneknirschend zustimmen und der Europäischen Zentralbank freie Hand lassen. Wie lange oder besser wie kurz die Halbwertzeit von Beteuerungen der EZB, alle notwendigen unkonventionellen Maßnahmen zu ergreifen, allerdings geworden ist, haben wir in dieser Woche erlebt. Auch diese über viele Monate hinweg gute und stützende Nachricht vermochte es nicht mehr, die Kurse zu stabilisieren. Das bestätigt mich in meiner Einschätzung, die Börsen haben noch einiges an Abwärtspotenzial, für den DAX konkret bleibe ich bei meinem Kursziel von 8.600 Punkten. Mit einer Rückkehr der Eurokrise würde in den kommenden Monaten der fundamentale Grund für einen Crash dann quasi nachgeschoben. Aber so ist Börse nun mal. Nicht die Nachrichten machen die Kurse, sondern die Kurse die Nachrichten.

Mehr von und über Stefan Riße erfahren Sie unter www.rissesblog.de

Stefan Riße, ist Fondsmanager des Investmentfonds „Riße Inflation Opportunities UI“ bei der HPM Hanseatischen Portfoliomanagement in Hamburg. Bekannt ist er durch seine jahrelange Tätigkeit als Börsenkorrespondent für den Nachrichtensender N-TV. Sein aktuelles Buch „Die Inflation kommt“, belegte 2010 erste und zweite Plätze auf den bekannten Wirtschaftsbuch-Bestsellerlisten.

Der obige Text spiegelt die Meinung des jeweiligen Kolumnisten wider. Die finanzen.net GmbH übernimmt für dessen Richtigkeit keine Verantwortung und schließt jegliche Regressansprüche aus.

Mehr zum Thema DAX 40

mehr