Ein Euroaustritt wäre die schlechteste Wahl für Griechenland
Die Zukunft Griechenlands bezüglich eines Verbleibs in der Eurozone bleibt trotz Referendum weiter ungewiss.
Das deutliche "Nein" der griechischen Bevölkerung am vergangenen Sonntag zu den Reformplänen der Gläubiger zeigt noch längst keinen Weg zu Wachstum und Überwindung der Krise auf. Das Verhältnis zwischen der Führungsspitze in Athen einerseits und den Regierungen der anderen 18 EU-Mitgliedsländer, der Europäischen Kommission und dem IWF andererseits ist auf einem Rekordtief angelangt. Eines ist jedoch gewiss: Spätestens seitdem Griechenland am 30.06.2015 eine fällige Schuldenrate an den Internationalen Währungsfonds (IWF) nicht zurückgezahlt hat, ist die Situation noch ernster geworden.
Wahrscheinlichkeit eines Grexit jetzt höher als 50 Prozent
Die Wahrscheinlichkeit eines möglichen Grexits hat sich durch das Ergebnis des Referendums am 5. Juli 2015deutlich erhöht. Standard & Poor’s Ratings Services schätzt derzeit die Wahrscheinlichkeit eines möglichen Austritts Griechenlands aus der Eurozone auf über 50 Prozent ein. Bereits zuvor, am 29. Juni 2015 hatte Standard & Poor’s das Rating für Griechenland auf nur noch ‚CCC-‘ mit negativem Ausblick gesenkt. Gerade in diesem instabilen Umfeld stellen Investoren viele Fragen bezüglich Griechenlands Bonitätsrating und darüber, was die nächsten Maßnahmen seien könnten.Zumindest für die verbleibenden Mitglieder der Eurozone wäre ein Grexit aus Sicht von S&P finanziell weniger riskant als es im Jahr 2012 gewesen wäre. Heute sind die Strukturen zur finanziellen Unterstützung in der Eurozone robuster, die finanziellen Verflechtungen zwischen Griechenland und der restlichen Eurozone sind deutlich reduziert worden. Folglich dürfte ein Grexit keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Ratings anderer souveräner Staaten in der Eurozone haben. Für Griechenland wäre ein Euroaustritt jedoch immer noch die schlechteste Wahl.
Knappheit und Armut - Die Folgen von Grexit
Schon jetzt ist davon auszugehen, dass ein fehlendes formelles Programm zur finanziellen Unterstützung und ein eingefrorenes Finanzsystem die wirtschaftliche Aktivität noch mehr drücken wird. Nachdem die Wirtschaft nach sechs Jahren Rezession um 0,8 Prozent gewachsen war, geht Standard & Poor’s nun von einem Rückgang um 3 Prozent aus, das Defizit des Staatshaushaltes wird sich erneut verschlechtern und 5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts übersteigen. Ein Zahlungsausfall oder ein erzwungener Anleihentausch ("distressed debt-exchange") erscheint vor diesem Hintergrund dieses Jahr unvermeidlich.Falls es zum Austritt aus der Eurozone käme, würde Griechenland dauerhaft Zugang zu Förderungen durch die EZB verlieren. Dies würde aus Sicht von S&P eine ernstzunehmende Devisenknappheit für private und öffentliche Sektoren hervorrufen. In der Folge könnte es zu einer Rationierung wichtiger Importgüter wie z. B. Von Kraftstoff kommen. Außerdem ist Griechenland auch sehr stark vom Import von Energie, Lebensmitteln, Medizin und anderen lebensnotwendigen Gütern abhängig. Ohne Euros könnten bereits kurzfristige Handelsfinanzierungen versiegen und somit einen weiteren Abwärtstrend für Konjunkturaussichten und die Lebensbedingungen der Bevölkerung bewirken. Knappheit und Armut wären weit verbreitet. Standard & Poor’s sieht bei einem Grexit auch die Gefahr einer Welle von Rechtsstreitigkeiten. Ein überfordertes Justizsystem und langwierige Prozesse könnte die Wirtschaft weiter lähmen und Investitionen verhindern.
Von Moritz Kraemer, Chief Rating Officer Sovereigns und Managing Director bei Standard & Poor’s Ratings Services in Frankfurt
Hier kommentieren jede Woche Analysten von Standard & Poor’s Credit Ratings Services (S&P) die Entwicklungen in der Wirtschaft und an den Finanzmärkten - und welche Herausforderungen sich daraus für Wachstum und Stabilität ergeben. S&P ist seit 30 Jahren mit inzwischen neun Standorten in Europa vertreten, im Frankfurter Büro arbeiten 120 Mitarbeiter aus 19 Ländern. Mehr Infos unter www.spratings.de
Der obige Text spiegelt die Meinung des jeweiligen Kolumnisten wider. Die finanzen.net GmbH übernimmt für dessen Richtigkeit keine Verantwortung und schließt jegliche Regressansprüche aus.
Bildquellen: Anastasios71 / Shutterstock.com