Wie Anleger von den Achterbahnbörsen profitieren
Die Börsenkurse gleichen einer Achterbahnfahrt: Extreme Gewinne und Verluste Wechseln sich binnen weniger Tage ab. Das heftige Auf und Ab an den Märkten wird weitergehen. Wie Anleger sich darauf einstellen – und auch in Wackelbörsen Geld verdienen.
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von Christoph Platt, Euro am Sonntag
Es gab Zeiten, da sorgten Kursveränderungen des DAX von 0,5 Prozent auf Tagesbasis bei Anlegern schon für große Verunsicherung oder Begeisterung. Seit einigen Wochen jedoch nehmen die Investoren derartige Kursausschläge ziemlich ungerührt zur Kenntnis. „Die meisten Marktteilnehmer empfinden jetzt schon einen Tag, der weniger als zwei Prozent Schwankungsbreite bietet, als langweilig“, erklärt Gianni Hirschmüller. Der Direktor des Analysehauses Cognitrend ist überzeugt, dass sich viele Investoren bereits an das extreme Hin und Her gewöhnt haben.
Es ist aber auch abenteuerlich, was die Aktienmärkte derzeit den Anlegern bieten. Die Schwankungen des DAX oder des US-Leitindex Dow Jones Industrial sind enorm. Die Volatilitätsindizes, Gradmesser für das Auf und Ab der Aktienmärkte, schossen in die Höhe. Der weltweit bekannteste Anzeiger, VIX, der Volatilitätsindex für US-Aktien der Optionsbörse in Chicago, kletterte von Ende April bis Ende Mai von 16 auf 46 Punkte. Der VDAX, Gradmesser der Schwankungen deutscher Titel, schnellte im selben Zeitraum von 17 auf 33 Punkte hoch.
Verantwortlich für die extremen Kursbewegungen ist in erster Linie die Schuldenkrise in Europa. Bis Ende April wurde über die Finanzprobleme Griechenlands zwar geredet, doch die Auswirkungen auf die Märkte waren überschaubar. Als die US-Agentur Standard & Poor’s am 27. April Griechenlands Rating um drei Noten und Portugals Rating um zwei Noten senkte, verlor der DAX an jenem Dienstag deutliche 2,7 Prozent.
Ab hier beginnt die Achterbahnfahrt: Das Hin und Her beim Aushandeln des Hilfspakets für Griechenland verunsichert die Anleger. Das Lavieren führt am 7. Mai zum höchsten Tagesverlust des DAX seit März 2009. Der Index verliert 3,3 Prozent. Erst da gelingt die Stabilisierung: In der Nacht vom 9. auf den 10. Mai setzen sich die Finanzminister der EU-Länder zusammen. Sie beschließen ein Rettungspaket, das nicht nur Griechenland helfen, sondern auch den Euro schützen soll. Die unerwartet hohe Summe von 750 Milliarden Euro wird dafür bereitgestellt. Der Aktienhandel wird dadurch beflügelt: Der DAX geht am 10. Mai mit einem Plus von 5,3 Prozent aus dem Handel.
Doch die Freude währt nur kurz. Denn die Schuldenkrise lässt den Märkten keine Ruhe und sorgt bei Anlegern für Skepsis. Bereits am Ende jener Woche erlebt der DAX erneut einen schwarzen Tag und fällt um 3,1 Prozent. Groß sind die Sorgen, dass das Wirtschaftswachstum durch die angestrebten Sparpakete einzelner Länder wie Spanien oder Portugal gebremst wird. Schlechte Zahlen aus Übersee sorgen für weitere Enttäuschungen, sodass der Leitindex bis zum 25. Mai weiter fällt.
Anschließend beruhigen sich die Märkte wieder etwas, und der Einfluss des Themas Staatsschulden auf die Kurse geht leicht zurück. Zusätzlich fallen Konjunkturzahlen aus den USA besser aus als erwartet, und so gewinnen die Bullen wieder die Oberhand. Von 5670 Punkten steigt der DAX – einen Rücksetzer inklusive – auf mehr als 6100 Punkte.
Inzwischen sind die Volatilitätsindizes wieder zurückgegangen, und die Phase extrem hoher Schwankungen dürfte damit fürs Erste vorüber sein. „Es zeigte sich, dass sich immer mehr Investoren auf hohe Volatilität eingestellt haben“, berichtet Analyst Hirschmüller. „Durch dieses Antizipieren haben sie dafür gesorgt, dass die Schwankungen im Lauf der vergangenen drei Wochen abgenommen haben.“ Denn nur durch Überraschungen könne es zu hohen Schwankungen kommen – und überrascht werde von der Volatilität inzwischen niemand mehr, sagt er.
Mit dem Rückgang der Volatilität sind die ursächlichen Probleme aber nicht aus dem Weg geräumt. Das Schuldenproblem der Staaten bleibt bestehen. Auch die Zukunft des Bankensystems ist ungewiss. Das sorgt für Verunsicherung und Angst und birgt fortwährend die Gefahr von Kursrückschlägen. Auf der anderen Seite stimmen die meist guten Unternehmensdaten optimistisch. „Alle Nachrichten aus der Realwirtschaft sorgen derzeit für gute Laune, alle Nachrichten aus der Finanzwirtschaft sind problematisch“, so Ulrich Kater, Chefvolkswirt der Dekabank.
Kater benennt damit das Spannungsfeld, das auch mittelfristig die Märkte beeinflussen wird. Viele Staaten sind hoch verschuldet. Griechenland benötigt finanzielle Hilfe. Spanien und Portugal versuchen verzweifelt, sich am eigenen Schopf aus dem Schuldensumpf zu ziehen. Auch die größten Wirtschaftsmächte, USA und Japan, stehen tief in der Kreide.
Dazu kommt aufseiten der Finanzwirtschaft, dass das Bankensystem noch immer in Schwierigkeiten steckt. Besorgniserregend ist der Zustand der spanischen Banken (siehe Artikel unten). Auch das Misstrauen der europäischen Institute untereinander ist wieder gewachsen. Nur zögerlich versorgen sie einander mit Kapital. Ein Zeichen dafür ist der seit Ende April steigende Euribor, der Zinssatz, zu dem sich die Banken Geld leihen.
Den schlechten Nachrichten aus der Kreditwirtschaft stehen gute Unternehmenszahlen gegenüber. „Viele Konzerne haben während der Krise ihre Verschuldung reduziert und Restrukturierungen durchgeführt“, sagt Udo Rosendahl, Leiter für europäische Aktien bei der Investmentgesellschaft DWS. „Sie handeln zudem sehr diszipliniert und machen keine Experimente, zum Beispiel mit Zukäufen.“ Auch die Gewinnaussichten hätten sich verbessert.
Der Aktienexperte sieht bereits eine Normalisierung der Lage. „Die Anleger schauen jetzt wieder mehr auf die Gewinnerwartungen der Unternehmen, differenzieren zwischen den verschiedenen Branchen und ihren Aussichten“, sagt er.
Geruhsame Märkte sind jedoch Vergangenheit, glaubt auch Realist Rosendahl: „Die Ausschläge werden künftig größer sein.“ Zwar werde nicht zwangsläufig die durchschnittliche Volatilität steigen, doch es werde immer öfter „prägnante Phasen hoher Volatilität“ geben.
Der DWS-Experte macht vor allem das Zusammenwachsen der Märkte dafür verantwortlich. „Die Vermögensklassen sind immer stärker miteinander vernetzt“, sagt er. Insbesondere die Kreditmärkte hätten mittlerweile einen gravierenden Einfluss auf die Aktienmärkte. „Inzwischen mussten Aktienexperten fast zu Rentenexperten werden.“ Sie würden sich zum Beispiel anschauen, wann Spanien seine nächste Staatsanleihe emittiert.
Die Iberische Halbinsel steht derzeit unter besonders intensiver Beobachtung. Mit skeptischem Blick beäugen die Anleger, wie etwa die Regierung in Madrid in den kommenden Wochen und Monaten mit ihrer Krise, insbesondere den Problemen im Immobilien- und Bankensektor, umgehen wird.
Daneben richten die Märkte ein besonderes Augenmerk auf die Vorstellung des britischen Nothaushalts. Am 22. Juni will die neue Londoner Regierung bekannt geben, wie die Sparmaßnahmen aussehen sollen, mit denen das Land gegen sein Defizit vorgehen will. „Die Geschehnisse um Spanien und Großbritannien dürften einen besonders großen Einfluss auf die Marktentwicklung haben“, sagt Rosendahl. Anleger brauchen in diesem Umfeld ein dickes Fell oder zusätzlichen Schutz. Verschiedene Wege bieten sich an, um sich von den Schwankungen unabhängig zu machen.
Die Investmentbranche bietet unterschiedliche Vehikel an, mit denen sich die Volatilität im Zaum halten lässt. Zum einen können Anleger auf Zertifikate zurückgreifen, die einen gewissen Puffer bieten. Vor starken Kursrückgängen schützen sie jedoch nicht.
Schutz vor starken Schwankungen und Verlusten wollen Absolute-Return-Produkte bieten. Sie versprechen, Jahr für Jahr eine positive Rendite zu erzielen. Um diese Vorgabe zu erfüllen, bedienen sie sich unterschiedlicher Strategien. Die meisten Absolute-Return-Fonds basieren auf Aktien oder Renten, einige nutzen gar die Volatilität selbst, um stetige Erträge zu erzielen (siehe Investor-Info). Ein genauer Blick auf das jeweilige Produkt ist nötig, um zu erkennen, welches Konzept aussichtsreich erscheint und welche Schwankungen der Manager des jeweiligen Fonds zulässt.
Wer bei einem klassischen Aktienfonds bleiben, aber Schwankungen reduzieren will, sollte zu Dividendenfonds greifen. Sie investieren in Unternehmen, die nachhaltig hohe Dividenden ausschütten. Diese können die Anleger Jahr für Jahr vereinnahmen, unabhängig vom Verlauf der Kurse. Das sorgt für eine gewisse Glättung der Erträge. Zeiten, in denen ausschließlich die Fundamentaldaten eines Unternehmens für Börsianer von Bedeutung waren, gehören bis auf Weiteres der Vergangenheit an. Zu sehr beeinflusst der Zustand der Staaten und des Bankensystems die Kurse. Nur langsam können sich die Märkte aus dieser Misere befreien. „Krisen dieser Größenordnung haben eine lange Halbwertszeit“, sagt Deka-Chefökonom Kater. „Es kann ein paar Jahre dauern, in denen immer wieder Schwierigkeiten zum Vorschein kommen werden.“ Gleichwohl wird es Märkte geben, die Erträge abwerfen – auch oder gerade in volatilen Zeiten.
Investors-Info
Amundi Volatility Euro Equities Auf und Ab bringt Rendite
Mit dem Absolute-Return-Fonds Amundi Volatility Euro Equities profitieren Anleger von der Volatilität der europäischen Aktienmärkte. Mithilfe von Derivaten auf den Euro Stoxx 50 münzt Fondsmanager Gilbert Keskin Kursschwankungen in Rendite um. Er setzt dabei auf die Tatsache, dass sich die Volatilität langfristig immer wieder ihrem Mittelwert annähert. In den vergangenen drei Jahren gewann der Fonds 47 Prozent hinzu, davon 7,9 Prozent in
den vergangenen drei Monaten.
Lyxor DaxPlus Covered Call Zusatzverdienst dank Volatilität
Der Lyxor DaxPlus Covered Call bildet den gleichnamigen Strategieindex der deutschen Börse ab. Dieser folgt im Wesentlichen dem Verlauf des deutschen Leitindex DAX. Zusätzlich kommt eine Optionsstrategie zum Einsatz. Durch sie wird der monatliche Zuwachs des Index auf fünf Prozent gedeckelt. Dafür wird Monat für Monat eine Prämie vereinnahmt, die der Wertentwicklung des Index zugutekommt. Wie bei Optionen üblich, ist die Prämie umso höher, je höher die aktuelle Volatilität ist.
DWS Top Dividende Dividenden als Ertragsquelle
Fondsmanager Thomas Schüssler setzt mit dem DWS Top Dividende auf Bluechips, also Unternehmen mit hoher Marktkapitalisierung. Das Portfolio besteht ausschließlich aus Titeln mit hoher und nachhaltiger Dividendenrendite. Der 4,5 Milliarden Euro schwere Fonds schüttet seine Erträge jährlich aus und sorgt damit für relativ gleichmäßige Einkünfte. In den vergangenen fünf Jahren legte sein Wert um rund 24 Prozent zu.
Threadneedle Target Return Rentenfonds mit Beimischung
Der Absolut-Return-Fonds Threadneedle Target Return will unabhängig vom Marktumfeld positive Erträge erzielen. Um den Werterhalt des Fonds zu sichern, wird vornehmlich an den globalen Rentenmärkten investiert, vor allem in Anleihen mit kurzer Laufzeit. Daneben zielen derivative Strategien auf eine ständige Wertsteigerung. Der schwankungsarme Fonds konnte allein im Krisenjahr 2008 um 11,3 Prozent zulegen.
Spanien hat auf Sand gebaut
Die Fakten sind furchteinflößend: Jeder fünfte Erwerbsfähige in Spanien ist ohne Job – ein trauriger Rekord in Europa und unter allen Industrie- und Schwellenländern. Nach Auskunft des Nationalen Statistikinstituts haben 2,6 Millionen Menschen seit 2007 ihre Arbeit verloren. Die Arbeitslosenquote schnellte von 8,5 auf 20 Prozent hoch. Es sind vor allem die Folgen der geplatzten Immobilienblase, die Spanien schwer zu schaffen machen. Sie hat nicht nur Hunderttausende um den Job, sondern auch die Säulen der heimischen Bankenlandschaft zum Einsturz gebracht. Zu Beginn der Finanzkrise standen die spanischen Institute noch vergleichsweise solide da, weil sie kaum in toxischen US-Subprime-Papiere investiert waren. Doch stattdessen hatten Geschäftsbanken und insbesondere die Sparkassen für zahlreiche überdimensionierte Bauprojekte im eigenen Land großzügige Darlehen zugesagt, denen nun milliardenschwere Wertberichtigungen drohen. Denn überall stehen unverkäufliche, teils noch im Rohbau befindliche Neubauten herum. Viele Baufirmen sind längst pleite. Das Risiko liegt nun bei den Banken. Mehr als fünf Prozent der Kreditsumme aller spanischen Institute könnten nach Berechnungen der spanischen Zentralbank ausfallen.
Um dem Zusammenbruch zu entgehen, schließen sich immer mehr der ursprünglich 45 Sparkassen des Landes zusammen. In der vergangenen Woche meldeten sie einen Finanzierungsbedarf von elf Milliarden Euro bei dem Restrukturierungsfonds FROB an, der eigens dafür vor einem Jahr bei der Zentralbank geschaffen wurde. Das dürfte kaum reichen, denn die Hälfte der Sparkassen hatte bis zum Stichtag noch gar keine Angaben zu ihrem Bedarf gemacht. Kein Wunder, dass in just der gleichen Woche, in der die Bankenrestrukturierung konkret wurde, neue Gerüchte über eine Anfrage Spaniens an die EU wegen finanzieller Hilfe aufkamen. Denn die öffentlichen Haushalte sind massiv in den roten Zahlen. Die hohen Sozialausgaben reißen Monat für Monat tiefe Löcher in die Staatskasse. Das Defizit wird nach Auskunft des Internationalen Währungsfonds 2010 bei 5,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegen – nach 5,1 Prozent 2009 und 9,6 Prozent 2008. Die Ratingagentur S & P erwartet, dass das Defizit noch bis 2013 jährlich die Fünfprozentmarke übertreffen wird.
Damit steigen Spaniens Schulden immer weiter an. Noch steht das Land mit einer Verschuldungsquote von 54 Prozent im Vergleich zu vielen anderen EU-Mitgliedern gut da. Doch eine nachhaltige Erholung ist in Spanien kaum erkennbar. Die auf Dienstleistungen, der Bauwirtschaft und dem Energiesektor fußende Ökonomie verfügt über wenig kurzfristiges Innovationspotenzial. Dass Spaniens Probleme auch die Probleme der EU sind, zeigt ein Blick in die jüngste Statistik der Bank für internationalen Zahlungsausgleich. Demnach betrugen die Außenstände Spaniens bei EU-Banken Ende 2009 rund 600 Milliarden Euro. Einem Bericht der spanischen Tageszeitung „El País“ zufolge haben sich spanische Banken im Mai mit 85 Milliarden Euro so viel Geld wie nie zuvor bei der Europäischen Zentralbank geliehen. Offensichtlich ist das Vertrauen der Geldhäuser untereinander auf einem Tiefpunkt angelangt.
Um die Spekulationen über die Schieflage des Landes zu beenden und die Märkte zu beruhigen, kündigte die Zentralbank am Mittwoch die Veröffentlichung der Ergebnisse ihrer Stresstests spanischer Institute an.
Die Anleger trennten sich zuletzt verstärkt von spanischen Staatsbonds. Die Rendite zehnjähriger Staatsanleihen stieg auf 4,98 Prozent. Die Risikoprämie gegenüber Bundesanleihen kletterte damit auf 2,3 Prozent. Die Flucht der Anleger aus den spanischen Staatspapieren dürfte aufgrund der Unsicherheiten vorerst anhalten.