Deutsche AWM CIO View

Interview - Das große Bild

05.05.15 11:18 Uhr

Interview - Das große Bild | finanzen.net

So belebend die Niedrigzinsen kurzfristig wirken, so lähmend können sie langfristig sein.

Herr Wöhrmann, Nikkei, S&P 500, DAX, Sensex und Shanghais A-Shares haben im April neue Rekorde erreicht oder sich alten angenähert. Gemäß der alten Faustregel, dass die Börse der wirtschaftlichen Entwicklung rund neun Monate vorauseilt, kann das nur heißen: Zum Jahresende läuft die Weltwirtschaft so rund wie eine Christbaumkugel?

So würde ich das nicht deuten. Zwar rechnen wir für das Gesamtjahr 2015 mit einer Beschleunigung des globalen Wachstums auf 3,4%. Das ist im historischen Vergleich bescheiden, aber immerhin. Die Erholung gewinnt an Schwung, verläuft aber so gemäßigt, dass keine Überhitzung und damit kein Gegenwind durch Zinsschocks droht. Diese an sich günstige Konstellation entschuldigt sicherlich einen Teil der Anlegereuphorie. Aber dass nicht nur Aktienbörsen am Tropf der Zentralbanken hängen, ist offensichtlich.

Die Fed gilt als erste große Zentralbank, die die Infusion drosseln möchte. Man spricht daher gern vom divergierenden Zinsumfeld. Aber ein Blick auf den Verlauf der zehnjährigen Staatsanleihen zeigt, dass bisher von diesen noch keine aus ihrem langjährigen Abwärtstrend ausgebrochen ist. Die Kluft stammt lediglich von den in der Eurozone noch schneller fallenden Zinsen. Glauben Sie immer noch an die Zinswende in den USA?

Die jüngsten Aussagen der Fed sowie die amerikanischen Makrodaten lassen uns an unserer Prognose festhalten: Zinsanhebung im September. Das Risiko besteht zeitlich eher nach hinten als nach vorne. Wir gehen von einem sehr zurückhaltenden Zinszyklus aus, dessen Amplitude unter historischen Ständen bleibt.

Wird die Zinswende, auch angesichts der austrocknenden Liquidität an den Anleihemärkten, die Märkte durchschütteln, wie etwa der Internationale Währungsfonds (IWF)1 warnte?

Davon gehe ich nicht aus. Natürlich wird die Zinswende zu Verschiebungen in den Anlageklassen führen. Aber es gibt wohl kaum ein kapitalmarktrelevantes Ereignis, das intensiver diskutiert und breiter antizipiert wurde als dieser Zinsschritt. Zudem sorgen die Europäische und die japanische Zentralbank für weitere Liquidität.

Ist es denn nicht ein Jammer, dass diese für Kapitalmärkte so gedeihliche Niedrigzinsphase ein Ende finden könnte?

Die Freude über den Niedrigzins ist eine gezügelte. Beim Negativzins endet sie fast gänzlich. Zwar sind die steigenden Aktien- und Anleihepreise und die günstigen Refinanzierungsbedingungen in der Peripherie erbauend, aber die Liste der Nebenwirkungen niedriger Zinsen ist lang. Den Firmen fliegen ihre Pensionslasten um die Ohren, die Lebensversicherer können bald für nichts mehr garantieren und darüber hinaus verkümmert das Ersparte jener Millionen Altersvorsorger, die vom Sparbuch nicht lassen wollen. Mit Blick auf die Preisanstiege bei Aktien und Immobilien kommt man da schnell zum Schluss, dass sich die Früchte der Zentralbanken sehr ungleich verteilen. Dazu tragen indirekt auch die Konzerne bei. Ihnen sitzt das Geld dank Rekordgewinnen und großzügiger Geldpolitik locker in der Tasche. Doch sie geben es weder für Kapazitätserweiterungen noch höhere Forschungsausgaben aus, was wiederum Arbeitsplätze schaffen würde. Sondern für Dividenden, Aktienrückkäufe und Übernahmen - letztere schaffen kurzfristig selten neue Stellen. Das freut natürlich viele Aktionäre. Aber nur kurzfristig, denn nachhaltig ist diese Mittelverwendung nicht. Zudem steigert sie die Angebotskonzentration, welche sich mittelfristig dann in Preissteigerungen niederschlägt. Auch darunter leiden die einkommensschwachen Schichten überproportional.

Ist Inflation überhaupt noch ein aktuelles Thema?

Ich glaube, wer Inflation für ein Problem der Vergangenheit hält, unterschätzt entweder die Komplexität dieses Phänomens oder überschätzt die Weisheit und Wirkungsmacht der Zentralbanken. Natürlich ist Inflation strukturellen Veränderungen unterworfen, ich nenne nur Chinas lohndämpfende Wirkung, Globalisierung, Liberalisierung oder Überalterung. Doch jetzt ihr Ende auszurufen, ist leider verfrüht und verkennt die anhaltende Störung des monetären Transmissionsmechanismus. Ihr Ende zu fassen, wäre ohnehin schwer: Sie ist schwer greifbar, eine eindeutige Definition fehlt. Inflationszahlen werden regelmäßig bewusst oder unbewusst verzerrt. Um nur einige Problemfelder bei der Messung zu nennen: Warenkorbzusammenstellung, Anpassung an geändertes Konsumverhalten (etwa die höhere Dienstleistungsnachfrage in alternden Gesellschaften), kalkulatorische Mieten (sie machen ein Viertel des US-Warenkorbes aus), sowie der Umgang mit Häusern, Uhren oder Autos, die technisch, wenn auch nicht ästhetisch, immer anspruchsvoller werden. Kurzum: Das Thema Inflation wird uns insbesondere im Fiat-Geld -System noch länger begleiten.

Von der Euphorie der Börsen haben wir uns jetzt aber weit entfernt.

Wir sind konstruktiv für dieses Jahr, auch aufgrund der niedrigen Zinsen. Die Folgen der Niedrigzins-induzierten Kapitalfehlallokation werden uns allerdings noch über Jahre begleiten und die Perspektiven langfristig eintrüben.

Asoka Wöhrmann
Chief Investment Officer und Mitglied des Deutsche AWM Executive Committee

Mit 160 Milliarden Euro betreutem Kundenvermögen ist DWS Investments im Publikumsfondsgeschäft Marktführer in Deutschland*. 1956 gegründet, ist DWS Investments heute integraler Bestandteil der Deutschen Asset & Wealth Management, die weltweit fast eine Billion Euro** treuhänderisch für ihre Kunden verwaltet und eine der vier strategischen Säulen der Deutschen Bank ist.

Als aktiver Vermögensverwalter ermöglicht die DWS Kunden den Zugang zu einer umfassenden Palette an Anlageprodukten. Mehr als 500 Research- und Investment-Experten weltweit identifizieren Markttrends und setzen diese zum Nutzen unserer Anleger um. Führende Positionen in Rankings unabhängiger Ratingagenturen und Auszeichnungen belegen unseren Erfolg, die überdurchschnittliche Performance der DWS-Produkte und den herausragenden Service.
*Quelle: BVI, Stand 31. Mai 2013, inkl. DB-Produkte

**Stand: 30. Juni 2013