Citi-Kolumne Dirk Heß

Das Wachstumsdilemma

08.02.12 14:40 Uhr

Das Wachstumsdilemma | finanzen.net

Vor 40 Jahren veröffentlichte der Club of Rome seine berühmte Studie „Die Grenzen des Wachstums“.

Darin heißt es: „Wenn die gegenwärtige Zunahme der Weltbevölkerung, der Industrialisierung, der Umweltverschmutzung, der Nahrungsmittelproduktion und der Ausbeutung von natürlichen Rohstoffen unverändert anhält, werden die absoluten Wachstumsgrenzen auf der Erde im Laufe der nächsten hundert Jahre erreicht.“ Das Fazit: Man solle sich vom Primat des Wachstums verabschieden und stattdessen einen ökologischen und wirtschaftlichen Gleichgewichtszustand herbeiführen. Ansonsten sehe es für die Menschheit düster aus.

Kritiker des Berichts halten dem entgegen, dass es sich genau umgekehrt verhält: Ohne Wachstum sei es für die Weltbevölkerung schlecht bestellt. Die Diskussion ist aktueller denn je. So wurden in den vergangenen Monaten die Wachstumsprognosen für 2012 deutlich reduziert und Volkswirte warnen bereits vor den gesellschaftlichen Folgen einer wirtschaftlichen Stagnation. Trotzdem ist die Frage berechtigt: Brauchen wir Wachstum? „Ja“, meint Eberhard von Koerber. „Wir brauchen Wachstum weil die Welt nicht still steht. Sie ist geprägt von konstantem Wandel, von Erneuerung und Entwicklung. Menschen streben nach Einkommen und materieller Sicherheit. Entwicklungs- und Schwellenländer streben nach materiellem Wohlstand.“, so Koerber bei der Vorstellung seines Buches ‚Chancen des Wachstums’.

Nun ist von Koerber nicht Irgendwer, sondern Mitglied im Exekutiv-Komitee des Club of Rome. Und so mag es überraschen, wenn er behauptet, dass alle Versuche, Wohlstand ohne Wachstum zu mehren oder die Gewinne aus Wachstum über ein gewisses, allgemein akzeptiertes Maß hinaus umzuverteilen, bisher immer in Misserfolgen oder sogar in Katastrophen geendet hätten. „In unserer realen Welt“, so von Koerber, „muss der Kuchen größer werden, um bei wachsender Weltbevölkerung mehr verteilen zu können.“ Das Streben nach Wachstum und damit Wohlstand sei daher nichts Verwerfliches.

Soweit so gut. Allerdings darf es kein Wachstum um jeden Preis geben. Etwa wenn es sich um Wachstum auf Kosten von unmenschlichen Arbeitsbedingungen oder Hungerlöhnen handelt. Oder wenn das Wachstum nur dazu führt, dass die Wohlstandsschere noch weiter auseinanderdriftet. Ein weiterer Punkt: Wer heute Nicht-erneuerbare-Ressourcen bis an die Grenze des technisch Machbaren ausbeutet, wird morgen mit Knappheit und steigenden Preisen konfrontiert.

40 Jahre nach Erscheinen des Buches „Grenzen des Wachstums“ hat sich die Welt stark verändert. Die Globalisierung hat die Volkswirtschaften flexibler gemacht. Aber auch der Wachstumsbegriff wird mittlerweile neu definiert. Wachstum ist gewünscht, aber es muss auch nachhaltig und sozial sein. Dass dies inzwischen auch von zahlreichen Staaten als selbstverständlich erachtet wird, ist auch ein Verdienst des Berichts des Club of Rome. Oder um noch einmal Eberhard von Koerber zu zitieren: „Die Chancen des Wachstums bedingen die Einsicht in die Grenzen des Wachstums.“

Dirk Heß, Finanzexperte der Citi, schreibt regelmäßig zu aktuellen Markt- und Derivate-Themen. Als Leiter öffentlicher Vertrieb Deutschland & Österreich Equity & Private Investor Solutions besitzt er langjährige Expertise in allen Fragen rund um Börse und Investments. In seinem regelmäßigen Kommentar gibt Dirk Heß fundiertes Fachwissen weiter.

Der obige Text spiegelt die Meinung des jeweiligen Kolumnisten wider. Die finanzen.net GmbH übernimmt für dessen Richtigkeit keine Verantwortung und schließt jegliche Regressansprüche aus.