Hans-Werner Sinn: Das steht der deutschen Wirtschaft in den kommenden Jahren bevor
Hans-Werner Sinn rechnet für 2021 mit dem Sieg über das Coronavirus und einem anschließenden Wirtschaftsaufschwung. Ausschließlich positiv beurteilt er die Aussichten für Deutschland jedoch dennoch nicht. Denn eine Erholung der Wirtschaft könnte auch schwerwiegende negative Konsequenzen mit sich bringen, warnt der ehemalige Präsident des ifo-Instituts.
• Sinn erwartet, dass das Coronavirus dieses Jahr besiegt wird
• Kräftiger Wirtschaftsaufschwung dürfte jedoch Inflation befeuern
• Angst vor Verhältnissen wie nach dem Ersten Weltkrieg
Das Jahr 2020 war geprägt von der Corona-Pandemie. Dank mehrerer Durchbrüche bei der Forschung nach einem Impfstoff dürfte im kommenden Jahr jedoch voraussichtlich wieder etwas mehr Normalität einkehren. Das glaubt zumindest der Ökonom und ehemalige Präsident des ifo-Instituts Hans-Werner Sinn. "Die gute Nachricht ist [...], dass das Virus nächstes Jahr besiegt werden wird, da wir jetzt die Impfstoffe bekommen", sagte er gegenüber der "Neue Zürcher Zeitung (NZZ)" Anfang Dezember 2020. Und auch gegenüber der "Augsburger Allgemein" gab sich Sinn zuversichtlich: "Wir kommen mit einem blauen Auge aus der Krise raus", bekräftige der Ökonom.
Für Deutschland fällt sein Ausblick daher zunächst auch optimistisch aus: Laut Sinn wird es durch die Verfügbarkeit der Impfstoffe im neuen Jahr zu einem wirtschaftlichen Aufschwung kommen. Gegenüber der "Augsburger Allgemeine" sagte er, dass er für 2021 sogar mit einem sehr kräftigen Wachstum des deutschen BIP rechne, da die Wirtschaft im vergangenen Jahr so stark eingebrochen sei. Gegen Ende 2022 werde Deutschland dann voraussichtlich bereits wieder so stark sein wie vor Corona, da auch die Weltwirtschaft dann wieder Tritt gefasst habe. Da der baldige Beginn der Impfungen in den aktuellen Statistiken noch nicht berücksichtigt sei, könnten sogar bereits die "nächsten Konjunkturumfragen nach dem Beginn der Impfungen [...] wieder ins Positive drehen", gab Sinn im Interview mit der "NZZ" an. "Es wird auf jeden Fall im Herbst [2021] eine starke wirtschaftliche Erholung wegen der Impfstoffe geben", so der Experte.
Damit ist aber längst nicht alles wieder gut. Denn während der Corona-Krise seien die Maßnahmen im Kampf gegen die Pandemie laut dem ehemaligen ifo-Präsident völlig aus dem Ruder gelaufen und so erhebliche Risiken aufgebaut worden, die sich nun in den folgenden Jahren in einer Hyperinflation entladen könnten.
Wirtschaftsaufschwung befeuert Inflationsrisiko
Wie Sinn gegenüber der "Augsburger Allgemeine" sagte, werde man "Mitte 2021, wenn die Pandemie hoffentlich endgültig abgeebbt ist, in der Eurozone sechs Mal so viel Zentralbankgeld im Umlauf haben wie kurz vor dem Beginn der Eurokrise im Sommer 2008". Das sei laut dem Experten riskant, weil dahinter kein Zuwachs der Wirtschaftsleistung stehe. Denn während die Zentralbankgeldmenge bis Mitte 2021 auf mehr als fünf Billionen Euro ansteigen dürfte, wird die Wirtschaft der Eurozone kaum größer sein als 2008. Damals lag die Zentralbankgeldmenge jedoch nur bei 0,9 Billionen Euro, rechnet Sinn gegenüber der "Tagespost" vor.
Doch damit nicht genug: Ein Großteil des Geldes werde momentan zudem überhaupt nicht sinnvoll eingesetzt. "Vier von den fünf Billionen Euro sind aber eigentlich überflüssig und werden von der Wirtschaft nicht für Transaktionen benötigt", so der Ökonom gegenüber der Zeitung. Stattdessen würden Banken diese riesigen Bestände an Zentralbankgeld momentan auf ihren Konten horten. Mit einer anziehenden Wirtschaft im neuen Jahr könnte dieses gehortete Zentralbankgeld jedoch anfangen zu zirkulieren, da sich wieder mehr Unternehmen an kreditfinanzierte Investitionen herantrauen dürften. Wenn dieses Geld dann in Umlauf kommt, werde sich das in einer steigenden Inflation auswirken, so Sinn - und die sei womöglich nicht mehr zu stoppen.
Zentralbanken machtlos?
Wenn in Folge einer anziehenden Wirtschaft auch die Inflation steige, müsste eigentlich die Europäische Zentralbank bremsend einschreiten, könne das jedoch momentan nicht mehr, sagte Sinn im Interview mit der "NZZ". Denn im Rahmen der exzessiven staatlichen Ausgabenpolitik und der "Whatever-it-takes-Mentalität" bei der Bekämpfung der Corona-Krise habe der Staat hauptsächlich Schulden bei der Zentralbank und nicht bei den Bürgern gemacht - mit womöglich unerfreulichen Spätfolgen. Denn würde die EZB zur Bekämpfung der Inflation das überschüssige Geld über die Rückgabe der Staatsanleihen an den Markt wieder abschöpfen, hätte das laut Sinn aufgrund des großen Umfangs einen Kurseinbruch bei den entsprechenden Papieren zur Folge, wodurch die Finanzierungskosten der Staaten bei der Ausgabe neuer Anleihen stark ansteigen und "die Zinsen, die die Staaten zu bezahlen haben, in den Himmel gehen" würden. Einen solchen Schritt hält Sinn daher für unwahrscheinlich.
"Wir laufen in ein Dauerregime mit extrem niedrigen Zinsen hinein, das sich eines Tages inflationär zu entladen droht. Wenn das passiert, ist hier der Teufel los", so Sinn gegenüber der "NZZ". Nun bleibe nur noch zu hoffen, "dass es nicht so schlimm kommt wie nach dem Ersten Weltkrieg". Damals hatte der Staat den Krieg und die Investitionen in den Nachkriegsjahren ebenfalls hauptsächlich mit der Druckerpresse finanziert. Eine Hyperinflation war die Folge, die zu einer fast vollständigen Geldentwertung führte und den Boden für eine Machtübernahme der Nationalsozialisten nur wenige Jahre später vorbereitete.
Doch trotz seiner düsteren Prognosen gibt Hans-Werner Sinn im Interview mit der "NZZ" auch noch ein wenig Grund zur Hoffnung: "Das Potenzial für eine sehr hohe Inflation ist vorhanden, doch heißt das nicht, dass es auch ausgeschöpft wird".
Redaktion finanzen.net
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Bildquellen: ifo, ifo Institut