VW-Aktie verlustreich: Flächendeckende Streiks bei Volkswagen
An fast allen deutschen Standorten legten am Vormittag mehr als Zehntausend Mitarbeiter zeitweise die Arbeit nieder.
Tausende zogen mit einem Demonstrationszug durch das Stammwerk und versammelten sich zu einer Kundgebung direkt vor dem Vorstandshochhaus. "Streikbereit! Bundesweit!", skandierten sie in Sprechchören. In Zwickau und Emden versammelten sich die Mitarbeiter zu Kundegebungen vor dem Werkstor, in Braunschweig zogen mehr als Tausend Beschäftigte mit einem Demonstrationszug durch die Stadt.
IG Metall droht mit weiterer Eskalation
Der heutige Ausstand an fast allen Standorten schmerze Volkswagen (VW) vz, sagte IG-Metall-Verhandlungsführer Thorsten Gröger in Wolfsburg. "Aber das ist nur eine Warnung!" Sollte Volkswagen weiter auf seinen Maximalforderungen bestehen, drohe eine weitere Zuspitzung. "Wer die Belegschaft ignoriert, spielt mit dem Feuer - und wir wissen, wie man Funken in Flammen verwandelt!"
Die nächste Verhandlungsrunde in einer Woche werde hier eine Weichenstellung bringen, sagte Betriebsratschefin Daniela Cavallo. Wenn es sein müsse, "werden wir einen Arbeitskampf durchziehen, der zu Volkswagen passt".
In Zwickau erklärte der dortige IG-Metall-Bezirksleiter Dirk Schulze: "Wir werden erbittert kämpfen um jeden Arbeitsplatz." Mit seiner Sparankündigung vor drei Monaten habe der Vorstand "den Laden Volkswagen angezündet". Jetzt "brennt dieser Laden lichterloh".
Warnstreik auf zwei Stunden begrenzt
Die Warnstreiks dauern jeweils rund zwei Stunden und sollen danach in jeder Schicht wiederholt werden. Im Streit um Lohnkürzungen, Werksschließungen und Stellenabbau erhöht die IG Metall damit den Druck. "Wir wünschen uns diesen Konflikt nicht - aber wir führen ihn, solange der Vorstand nur auf Kürzungen und Entlassungen statt auf Perspektiven setzt", sagte Gröger. "Wenn nötig, wird das einer der härtesten Konflikte, den Volkswagen je gesehen hat."
Zu möglichen Ausfällen in der Produktion machte Volkswagen zunächst keine Angaben. Man wolle die Auswirkungen so gering wie möglich halten, sagte ein Sprecher. Deswegen habe das Unternehmen gezielt Maßnahmen ergriffen, die eine Notversorgung sicherstellten.
In dem Konflikt geht es um die Bezahlung der rund 120.000 Beschäftigten in den Werken der Volkswagen AG, wo ein eigener Haustarif gilt. Hinzu kommen mehr als 10.000 Mitarbeiter bei VW (Volkswagen (VW) vz) Sachsen, für die 2021 eine Angleichung an den Haustarif vereinbart wurde. VW fordert wegen der schwierigen Lage des Konzerns zehn Prozent Lohnkürzung. Zudem stehen Werksschließungen und betriebsbedingte Kündigungen im Raum. Die IG Metall will das verhindern und fordert stattdessen eine Zukunft für alle Standorte - ohne Werksschließungen und betriebsbedingte Kündigungen.
VW lehnt IG-Metall-Vorschlag ab
VW hatte zuvor erklärt, man respektiere das Recht der Mitarbeiter auf Warnstreiks und setze weiter auf eine einvernehmliche Lösung mit der Arbeitnehmerseite. In der Sache zeigte sich der Konzern aber hart: Ein Gegenkonzept von IG Metall und Betriebsrat für Einsparungen ohne Entlassung und Werksschließung hatte VW erst am Freitag als unzureichend abgelehnt.
VW begründet die Einschnitte mit hohen Kosten und einer geringen Auslastung. Angesichts der schwachen Nachfrage nach Neuwagen müsse VW seine Sparbemühungen verstärken. Laut Markenchef Thomas Schäfer werde man dabei um Werksschließungen wohl nicht umhinkommen.
Erst am Wochenende war bei Europas größtem Autobauer die Friedenspflicht ausgelaufen, in der Arbeitskämpfe nicht erlaubt waren. Bei Volkswagen ist es der größte Ausstand seit Jahren. Flächendeckende Warnstreiks an allen großen Werken in Westdeutschland gab es zuletzt 2018. Nach Angaben der IG Metall beteiligten sich damals mehr als 50.000 Beschäftigte.
VW-Betriebsrat fordert Beitrag von Familien Porsche und Piech
Die Arbeitnehmervertreter von Volkswagen fordern inmitten des festgefahrenen Tarifkonflikts einen Beitrag der Ankeraktionäre. "Volkswagen war in jüngster Zeit eine Riesen-Gewinnmaschine. Und dementsprechend hoch war auch die Dividende", sagte VW-Betriebsratschefin Daniela Cavallo während der Warnstreik-Kundgebung vor dem Markenhochhaus im Stammwerk. Aber diese Gewinnmaschine laufe jetzt Gefahr, ins Stottern zu geraten. "Wir verlangen, dass alle ihren Beitrag leisten. Auch der Vorstand. Und eben auch die Aktionärsseite", so Cavallo.
Das Land Niedersachsen, der zweitgrößte Anker-Aktionär, habe über Ministerpräsident und VW-Aufsichtsrat Stephan Weil erklärt, dass die Dividende für das Land Niedersachsen nicht die oberste Priorität habe, so Cavallo laut Redetext. "Meine Erwartungshaltung ist, dass diese Einstellung auch bei den anderen Hauptaktionären vorhanden ist", forderte sie.
Für die nächste Verhandlungsrunde im Tarifkonflikt am 9. Dezember rechnet die Betriebsratschefin eine Weichenstellung: "Annäherung oder Eskalation? Leider sind die Zeichen, die der Vorstand in jüngster Zeit gesendet hat, nicht wirklich erfreulich", ergänzte Cavallo. Wichtig sei, so IG Metall-Verhandlungsführer Thorsten Gröger in seiner Rede an die VW-Belegschaft, dass die kommende Woche endlich Bewegung bringen müsse. "Und unser Gesamtkonzept (...) kann nur fliegen, wenn eben der Vorstand und die Aktionäre auch einen Beitrag leisten - und wir erwarten, dass Werksschließungen und Massenentlassungen endlich vom Tisch kommen und wir eine neue Beschäftigungssicherung haben."
Volkswagen liegt seit Wochen mit der Arbeitnehmerseite im Clinch. Der Konzern will umfassende Kostensenkungen im Inlandsgeschäft umsetzen und will neben einschneidenden Lohnkürzungen auch Werke schließen - für die Arbeitnehmervertreter eine rote Linie. Am Wochenende ist die Friedenspflicht ausgelaufen, am heutigen Montag sind Warnstreiks an diversen Standorten angelaufen.
So reagiert die VW-Aktie
Von Vorsicht ist am Montag die Haltung am Markt zur VW-Aktie geprägt. Denn zum Wochenbeginn wird in allen deutschen Werken die Arbeit befristet niedergelegt. Auf der Handelsplattform XETRA geben die Vorzugsaktien des Autobauers zeitweise um 0,27 Prozent auf 80,50 Euro nach.
Analyst Philippe Houchois von der US-Investmentbank Jefferies hatte etwaige Belastungen aus einem Stellenabbau und einer Umstrukturierung bei Volkswagen auf 2,5 bis 4 Milliarden Euro geschätzt. Die entsprechenden Mittelabflüsse dürften in den kommenden beiden Jahren stattfinden, so der Experte in einer Studie. Nach Treffen mit dem Management der Wolfsburger habe er den Eindruck, dass es keinen "Plan B" gebe als Alternative zu den Forderungen der Konzernführung.
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WOLFSBURG (dpa-AFX)
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