Zinssenkung

EZB senkt Leitzinsen auf Rekordtief

02.05.13 15:00 Uhr

Nun hat es auch die Europäische Zentralbank (EZB) getan: Trotz anhaltender Zweifel an der Wirksamkeit eines solchen Schritts senkte die EZB ihren Hauptrefinanzierungssatz von 0,75 auf 0,50 Prozent.

Volkswirte hatten eine Leitzinssenkung überwiegend erwartet, nachdem sich die Wachstumsperspektiven für die Euroraum-Wirtschaft in jüngster Zeit weiter eingetrübt hatten. Dazu kam ein überraschend deutlicher Inflationsrückgang, der die Teuerung sehr deutlich unter den von der EZB angestrebten Zielbereich von 2 Prozent sinken ließ. Zuletzt hatte die EZB ihre Leitzinsen im Juli 2012 gesenkt.

   Die EZB schwenkt damit als letzte der großen Zentralbanken auf einen noch expansiveren Kurs ein. Zuvor haben bereits im Dezember die US-Notenbank und im April die Bank of Japan zusätzliche Maßnahmen ergriffen, um die langfristigen Zinsen zu drücken. Dabei benutzt die EZB mit ihrer Zinssenkung nur ein klassisches geldpolitisches Instrument, während die beiden anderen Banken und auch die Bank of England in großem Stil Wertpapiere kaufen, um die Finanzierungsbedingungen zu verbessern. Der EZB-Rat hat sich diesmal in der slowakischen Hauptstadt Bratislava getroffen.

   Gleichwohl warnt Pimco-Chef Andrew Bossomworth davor, die Auswirkungen von niedrigeren Leitzinsen zu unterschätzen. Bossomworth erwartet, dass die EZB ihre Zinsen früher oder später bis auf 0,25 Prozent senken wird und sagt: "Das würde die marginalen Liquiditätskosten für Banken in Südeuropa denen der nordeuropäischen Banken annähern, die sich zum viel niedrigeren Interbankensatz Eonia refinanzieren können."

   Lena Komileva, Chefvolkswirtin bei G+Economics, lobte die EZB-Entscheidung: "Ein niedriger Hauptrefinanzierungssatz wird zu höheren Gewinnspannen bei den Banken der Peripherieländer beitragen, er wird die Schuldenrestrukturierung unterstützen und den damit einhergehenden Druck auf die öffentlichen Finanzen mindern", sagte sie. Damit stemme sich die EZB gegen die Welle aus Bankenentschuldung und öffentlicher Sparpolitik.

   Die Wirtschaft des Euroraums befindet sich weiterhin in einer Rezession. Zwar rechnet die EZB nach eigener Aussage damit, dass im Laufe des Jahres eine schwache Erholung einsetzt, doch gibt es für die Richtigkeit dieser These bisher keine Anhaltspunkte - im Gegenteil: Der Einkaufsmanagerindex des verarbeitenden Gewerbes sank im April weiter und lag mit 46,7 Punkten deutlich unter der Wachstumsmarke von 50 Punkten, während der Service-Index nur leicht von 46,4 auf 46,6 Punkte stieg. In Frankreich und Deutschland sanken die Stimmungsbarometer von Insee und ifo-Institut zum zweiten Mal in Folge und auch deutlicher als erwartet.

   Darüber hinaus ging die Inflation in Europa mit einem beunruhigenden Tempo zurück. Die Verbraucherpreise lagen im April nur noch um 1,2 Prozent über Vorjahresniveau. Im März hatte die Teuerung noch bei 1,7 Prozent gelegen. Diese Entwicklung dürfte die bereits bestehenden Sorgen der EZB verstärkt haben, dass womöglich deflationäre Tendenzen drohen. Ihre eigenen Stabsprojektionen sehen für 2013 und 2014 nur noch Inflationsraten von 1,6 und 1,3 Prozent vor. Preisstabilität definiert sie selbst aber mit einer Inflation von knapp 2 Prozent. Wie schädlich eine Deflation für die Wirtschaft sein kann, zeigt das Beispiel Japans, das seit 15 Jahren nicht mehr richtig auf die Beine kommt.

   Trotz dieser Entwicklungen hat ein gutes Drittel der von Dow Jones Newswires befragten Ökonomen prognostiziert, dass die EZB ihre Zinsen zunächst unverändert lassen würde. Einerseits glaubten die Volkswirte, dass die EZB ihre Zinsen erst im Juni senken würde, wenn sie neue Projektionen veröffentlicht. Zum anderen hatten viele EZB-Offizielle selbst bezweifelt, dass eine Zinssenkung bei denen ankommen würde, die sie am dringendsten brauchen - den kleinen Unternehmen in Südeuropa.

   Das sieht auch Lena Komileva so. "Eine strengere Bankenregulierung, die fortlaufende Entschuldung der Banken und die allgemeine Risikoaversion verhindern, dass die Liquiditätsflut der EZB die Realwirtschaft erreicht", sagte sie.

   Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass der EZB-Rat weitere Maßnahmen beschlossen hat, mit denen die Übertragung des Zinssignals verbessert werden soll. Sollte das so sein, wird Präsident Mario Draghi sie in der gegen 14.30 Uhr beginnenden Pressekonferenz erläutern.

   Neben dem Hauptrefinanzierungssatz reduzierte die EZB den für Notausleihungen gültigen Spitzenrefinanzierungssatz um 50 Basispunkte. Er liegt nun bei 1,00 Prozent. Dagegen wurde der Satz für Einlagen der Geschäftsbanken bei der EZB bei null belassen. Damit engt sich der Leitzinskanal von 1,50 auf 1,00 Prozentpunkte ein. 1,50 Punkte groß war der Zinskanal seit Mai 2009 gewesen, davor hatte er 2 Prozentpunkte betragen.

   Mit der Bestätigung des Einlagensatzes verhindert die EZB, dass die Banken künftig Zinsen für ihre Einlagen bei der Zentralbank zahlen müssen. Das hätte vermutlich unerwünschte Konsequenzen für den gesamten Geldmarkt und könnte sogar für höhere Ausleihzinsen sorgen, wie zuletzt das Beispiel Dänemarks zeigte.

   DJG/hab/apo

   (FRANKFURT/BRATISLAVA) Dow Jones Newswires