Unsicherheit

EZB-Ratsmitglied Nagel sieht Notwendigkeit weiterer Zinserhöhungen

05.07.23 08:59 Uhr

EZB-Ratsmitglied Nagel sieht Notwendigkeit weiterer Zinserhöhungen | finanzen.net

Die Europäische Zentralbank (EZB) muss ihre Zinsen nach Aussage von EZB-Ratsmitglied Joachim Nagel weiter anheben.

Von Hans Bentzien

FRANKFURT (Dow Jones)--Die Europäische Zentralbank (EZB) muss ihre Zinsen nach Aussage von EZB-Ratsmitglied Joachim Nagel weiter anheben. In einer Rede zur Eröffnung einer Bankenaufsichtskonferenz in Frankfurt äußerte sich Nagel jedoch nicht zu möglichen Zinserhöhungen über den Sommer hinaus, sondern betonte die hohe Unsicherheit, unter der die Geldpolitik gegenwärtig operiere. "Aus heutiger Sicht müssen die Zinsen weiter steigen", sagte Nagel laut veröffentlichtem Redetext. Die EZB hat ihre Zinsen zuletzt im Juni um 25 Basispunkte angehoben. EZB-Präsidentin Christine Lagarde hat zudem einen weiteren Zinsschritt für Juli in Aussicht gestellt.

Nagel sagte weiter: "Die Frage, wie weit die Zinsen noch steigen müssen, lässt sich aber zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht beantworten. Wir können auch nicht sagen, wie lange sie hoch bleiben und wie sie sich danach entwickeln. Das hängt von der Inflationsentwicklung ab, und die ist hochgradig unsicher."

Im Juni war die Inflation auf 5,5 (Mai: 6,1) Prozent gesunken, wobei die Kerninflation auf 5,4 (5,3) Prozent anzog. Zum Thema Kerninflation und ihrer Bedeutung für den Kurs der EZB äußerte sich Nagel jedoch nicht.

Nagel zufolge betrifft die hohe Unsicherheit nicht nur die kurze, sondern auch die lange Frist. Er sagte: "Kurzfristig könnten beispielsweise die Löhne stärker steigen als erwartet. Das würde die Inflationswelle über Zweitrundeneffekte verlängern. Die hohen Preise für Energie, Rohstoffe und andere Vorprodukte könnten ebenfalls stärker an Endkunden überwälzt werden als in den aktuellen Projektionen angelegt."

Auch längerfristig gibt es nach Nagels Aussage Entwicklungen, die die Inflation erhöhen könnten. "Erstens beobachten wir gerade eine geopolitische Transformation, die im laufenden Jahrhundert vermutlich ohne Beispiel ist", sagte er. Der russische Angriffskrieg sei hierbei ein bedeutender Faktor, und es gebe weitere geopolitische Spannungen und insgesamt das Risiko einer geopolitischen Fragmentierung. "Zweitens erfordern der Klimawandel und die nötige Dekarbonisierung der Wirtschaft umfassende Anpassungsmaßnahmen."

Eine ökonomische Fragmentierung könnte Nagel zufolge über einen längeren Zeitraum zu mehr Preisdruck führen. "Und ein anhaltend höherer Preisdruck würde auch eine anhaltend restriktivere Geldpolitik erfordern", sagte er. Er werde sich aber davor hüten, "in dieser Gemengelage", eine neue Ära hoher Zinsen auszurufen.

Von Hans Bentzien

FRANKFURT (Dow Jones)

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