Eine Zinssenkung der Europäischen Zentralbank (EZB) ist nach Aussage von EZB-Ratsmitglied Ewald Nowotny trotz des etwas stärker als erwartet ausgefallenen Wirtschaftswachstum im vierten Quartal 2013 noch nicht vom Tisch.
Ob es noch eine Zinssenkung geben werde, sei eine "offene Frage", sagte Nowotny bei einer Rede in London. Die Wirtschaft des Euroraums ist im vierten Quartal 2013 um 0,3 Prozent gewachsen, Ökonomen hatten einen Zuwachs von lediglich 0,2 Prozent prognostiziert.
Beobachter bezweifeln überwiegend, dass das insgesamt nur moderate Wirtschaftswachstum die Sorgen der EZB wegen der sehr niedrigen
Inflation ausräumen kann. Zwar geht ein stärkeres Wachstum mit einer höheren Nachfrage einher, doch wirken ein schwaches Geldmengenwachstum und ein sinkendes Kreditvolumen einer höheren Inflation entgegen. Die EZB ist auf die mittelfristige Bewahrung einer Inflation von knapp 2 Prozent verpflichtet. Im Januar lag die Teuerung aber nur bei 0,7 Prozent, und in den nächsten Monaten könnte sie aufgrund ungünstiger Basiseffekte weiter sinken. Die EZB ist nach Aussage ihres Präsidenten
Mario Draghi zu einer weiteren geldpolitischen Lockerung für den Fall bereit, dass sich der Inflationsausblick weiter verschlechtert.
Nowotny sagte, die in manchen Ländern niedrige Inflation sei das Ergebnis von Anpassungsprozessen, mit Deflation habe das nichts zu tun. "Es gibt keine unmittelbare Deflationsgefahr", sagte er. Eine Absenkung des Einlagenzinses für Banken, der derzeit bei Null liegt, sieht der Gouverneur der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB) skeptisch. "Ich glaube nicht, dass das ein Anreiz für Banken wäre, mehr Geld zu verleihen", sagte Nowotny am Abend vor Studenten der London School of Economics. Die EZB zahlt den Banken schon seit Sommer 2012 keine Zinsen mehr für ihre Einlagen und hat den Einlagenzins seitdem nicht weiter gesenkt, obwohl sie ihre Ausleihzinsen in den vergangenen zwei Jahren zwei Mal reduziert hatte.
Widersprüchlich äußerte sich Nowotny in seiner Rede am Nachmittag zum Staatsanleihekaufversprechen der EZB. Einerseits kritisierte das EZB-Ratsmitglied das deutsche Bundesverfassungsgericht für dessen "extrem restriktive und in gewisser Weise auch gefährliche" Definition von Geldpolitik. Das Verfassungsgericht hatte vor zwei Wochen die Einschätzung geäußert, dass der OMT-Beschluss der EZB deren Mandat verletzte und auf eine verbotene Staatsfinanzierung mit der Notenpresse hinauslaufe. Andererseits behauptete Nowotny, dass die zugesagten Outright Monetary Transactions (OMT) nicht mehr relevant seien, weil sie ihren Zweck erfüllt hätten. Tatsächlich hat der vom Bundesverfassungsgericht angegriffene OMT-Beschluss der EZB die Spannungen an den Finanzmärkten des Euroraums deutlich sinken lassen. Die harsche Kritik des Gerichts am OMT-Beschluss hinterließ trotzdem kaum Spuren an den Finanzmärkten. Einige Beobachter erklärten das damit, dass die EZB wegen der Deflationsrisiken im Euroraum ohnehin über groß angelegte Wertpapierkäufe nachdenken müsse, die nicht an die im OMT-Beschluss genannten Vorbedingungen geknüpft wären. Zudem wird überwiegend damit gerechnet, dass der von den Karlsruher Richtern um eine Vorabentscheidung gebetene Europäische Gerichtshof (EuGH) ein positives Urteil über den OMT-Beschluss fällen wird. Allerdings gibt es nach wie vor das Risiko, dass das Verfassungsgericht ein solches Urteil ignorieren und die Bundesbank auffordern würde, sich nicht am OMT zu beteiligen. Mitarbeit: Hans Bentzien und Jason Douglas LONDON Dow Jones Newswires