Zinsentscheid: EZB mit Leitzinssenkung - Wirtschaftsentwicklung im Euroraum schlechter als erwartet

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat am Donnerstag ihren Leitzinsentscheid verkündet. Laut EZB-Präsidentin Christine Lagarde haben sich die Abwärtsrisiken für Wachstum verstärkt.
Werte in diesem Artikel
Die Europäische Zentralbank senkt inmitten der Zollturbulenzen zum siebten Mal seit vergangenem Juni die Leitzinsen. Der für Banken und Sparer wichtige Einlagensatz wird um 0,25 Prozentpunkte auf 2,25 Prozent verringert, wie die Notenbank in Frankfurt mitteilte.
Niedrigere Zinsen machen Kredite tendenziell günstiger. Sie helfen der schwachen Konjunktur in der Eurozone, der mit der Zolloffensive von Donald Trump weitere Rückschläge drohen. Zudem gibt die abflauende Inflation im Euroraum der EZB Spielraum für Zinssenkungen.
Der Rückgang der Inflation schreite gut voran, teilte die EZB mit. Zudem hätten sich die Wachstumsaussichten für die Wirtschaft im Euroraum "aufgrund der zunehmenden Handelsspannungen eingetrübt". "Die erhöhte Unsicherheit dürfte das Vertrauen der privaten Haushalte und Unternehmen mindern", erklärte die EZB und verwies auch auf die jüngsten heftigen Börsenturbulenzen. Die Notenbank sprach von "außergewöhnlich hoher Unsicherheit".
Die EZB verringert nicht nur den Einlagensatz, sondern auch den Zins, zu dem sich Geschäftsbanken frisches Geld bei der Notenbank besorgen können: Statt 2,65 Prozent werden dafür nun 2,4 Prozent Zinsen fällig.
Lagarde: Abwärtsrisiken für Wachstum haben sich verstärkt
Der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) sieht nach den Worten von EZB-Präsidentin Christine Lagarde weiterhin ein überwiegendes Risiko, dass die Wirtschaftsentwicklung im Euroraum schlechter als von ihr erwartet verläuft. "Die Abwärtsrisiken für das Wachstum haben sich verstärkt", sagte Lagarde in ihren einleitenden Bemerkungen in der Pressekonferenz nach der jüngsten EZB-Ratssitzung. Zölle könnten die Wirtschaft schwächen.
Lagarde zufolge ist der Wirtschaftsausblick derzeit wegen der Handelsspannungen von außerordentlicher Unsicherheit geprägt. Im ersten Quartal dürfte die Wirtschaft aber gewachsen sei, im verarbeitenden Gewerbe gebe es Anzeichen einer Erholung.
Zuvor hatte der EZB-Rat wie erwartet beschlossen, die Leitzinsen um 25 Basispunkte zu senken und den Abbau der Anleihebestände fortzusetzen. Explizite Aussagen zum weiteren Zinskurs machte das Gremium nicht. Es will seine Geldpolitik weiterhin von Sitzung zu Sitzung festlegen und sich dabei an den aktuellsten Daten orientieren. Eine Einschätzung der geldpolitischen Ausrichtung wurde nicht mehr abgegeben.
Lagarde: Zinsentscheidung fiel einstimming
Der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) hat nach den Worten von EZB-Präsidentin Christine Lagarde einstimmig für eine Leitzinssenkung um 25 Basispunkte gestimmt. "Es gab keinen Vorschlag für eine Senkung um 50 Punkte", sagte sie in der Pressekonferenz nach der Ratssitzung. Es seien allerdings "Optionen diskutiert" worden.
Lagarde lehnte einen direkten Kommentar zur Tendenz weiterer Zinsentscheidungen ab. "Ich werde nicht über die Richtung der Reise reden", sagte sie. Klar sei nur das Ziel der Reise, nämlich 2 Prozent Inflation.
Sorgen um Trumps Zölle
Seit der Verkündung von Trumps globalem Zollpaket Anfang April sind die Sorgen um den Welthandel und die Wirtschaft in Europa stark gewachsen. Der Zollstreit könnte die Wirtschaft im Euroraum erheblich belasten, die nach EZB-Prognose 2025 ohnehin nur minimal um 0,9 Prozent wachsen dürfte.
Zwar hat Trump die pauschalen Zölle von 20 Prozent auf Importe aus der EU für 90 Tage ausgesetzt. Es bleiben aber der neue US-Basiszoll von 10 Prozent und 25 Prozent Zoll auf Autos, Stahl und Aluminium aus Europa. Trump will zudem neue Sonderzölle im Bereich der Halbleiterindustrie und auf Medizinprodukte ankündigen.
Schon jetzt verunsichert Trumps Zoll-Schlingerkurs Unternehmen weltweit. Nach Ansicht von Ifo-Präsident Clemens Fuest ist eine Weltwirtschaftskrise nicht auszuschließen. EZB-Präsidentin Christine Lagarde hatte jüngst vor deutlichen Einbußen beim Wirtschaftswachstum in der Eurozone gewarnt, sollte der Handelsstreit mit den USA eskalieren.
Inflation schwächt sich ab
Zudem kommt die EZB beim Kampf gegen die Inflation voran. Die Teuerung im Euroraum sank im März auf eine Rate von 2,2 Prozent und liegt damit nahe am EZB-Ziel von mittelfristig 2,0 Prozent. So hat sich der Preisdruck bei Dienstleistungen abgeschwächt, der zuletzt als Inflationstreiber galt. Ihr Ziel stabiler Preise sieht die EZB in greifbarer Nähe.
Im Zollkonflikt hat zudem der Euro zum Dollar stark im Kurs aufgewertet, was Importe nach Europa verbilligt und die Inflation tendenziell dämpft. Auch mit dem gesunkenen Ölpreis schwindet der Inflationsdruck, während der Zollstreit die globale Nachfrage dämpfen dürfte. Sorgen um eine wieder anziehende Teuerung, etwa im Zuge von europäischen Gegenzöllen auf US-Produkte oder wegen des milliardenschweren Finanzpakets von SPD und Union, traten in den Hintergrund.
Sinkende Zinsen für Sparer
Für Sparer ist die erneute Leitzinssenkung keine gute Nachricht: Bekommen Geschäftsbanken weniger Zinsen für bei der EZB geparkte Gelder, senken sie die Zinsen auf Einlagen der Kunden. Mitte April brachten bundesweit verfügbare Tagesgelder im Schnitt nur 1,4 Prozent, zeigt eine Analyse des Vergleichsportals Verivox. Die Zinsen für zweijährige Festgelder lagen demnach zuletzt bei 2,11 Prozent - der tiefste Stand seit Ende 2022.
Noch schlechter sieht es für Hausbauer und Immobilienkäufer aus. Auf die Bauzinsen, die mit dem Milliarden-Schuldenpaket von Union und SPD kräftig gestiegen sind, hat die Zinssenkung der EZB nicht zwingend Einfluss: Sie orientieren sich an den Renditen zehnjähriger Bundesanleihen.
Kaum Wachstum in Europa erwartet
Einige Ökonomen halten es für möglich, dass die EZB den Einlagensatz angesichts der schwachen Konjunktur und der abflauenden Inflation weiter senkt. Präsidentin Lagarde hat immer wieder vor einer Eskalation im Zollstreit gewarnt mit Folgen für Wachstum und Preise rund um die Welt, wie sie im März betonte. "Jeder Handelskrieg wird der Weltwirtschaft schaden".
EZB-Mitglied warnt: Finanzielle Instabilität möglich
Seit dem Beginn der Zollspirale haben sich bereits mehrere EZB-Vertreter zu den Möglichkeiten geäußert, die der Institution zur Verfügung stehen. So verfüge die Bank laut EZB-Direktor Piero Cipollone über zahlreiche Instrumente, die sie im Falle wirtschaftlicher Turbulenzen oder drastischer Einbrüche an den Finanzmärkten einsetzen kann, um rechtzeitig gegensteuern zu können und einer möglichen Krise entgegenzuwirken. Allerdings gibt die Gouverneurin der dänischen Zentralbank, Signe Krogstrup, zu bedenken, dass die finanzielle Stabilität durch eine anhaltende Unruhe gestört werden könnte: "Im Moment sehen wir eine Menge Unruhe", so Krogstrup im Rahmen einer Veranstaltung in Amsterdam gegenüber "Dow Jones Newswires". "Das System ist noch stabil, und wir sehen das nicht als Anzeichen für finanzielle Instabilität. Aber es besteht die Gefahr finanzieller Instabilität."
Redaktion finanzen.net / Dow Jones Newswires / dpa-AFX
Weitere News
Bildquellen: einstein / Shutterstock.com, Petronilo G. Dangoy Jr. / Shutterstock.com