Ist die Fed ins Hintertreffen geraten?
Eine vermeintlich aufgehellte US-Volkswirtschaft und eine gemäß Protokoll der letzten Notenbanksitzung "falkenhaftere" Fed machen das Thema US-Zinserhöhung offensichtlich wieder akut. Aber fallen die harten Konjunkturdaten wirklich so gut aus, dass sich daraus Zinssteigerungsgründe ableiten?
Oder machen sich einige Fed-Mitglieder eher das Zitat von Gorbatschow "Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben" zu Eigen? Wenn eine Zinserhöhung auf der nächsten Notenbanksitzung im Juni ausbleibt, könnte sich das Zeitfenster für restriktive Zinspolitik aufgrund der geldpolitischen Unabhängigkeit im kommenden heißen US-Präsidentschaftswahlkampf erst wieder im Dezember öffnen. Auf zwischenzeitliche Entwicklungen in puncto Arbeitsmarkt, Wachstum und Inflation könnte die Fed dann nicht reagieren und damit an Glaubwürdigkeit verlieren.
Nur wer die rosarote Brille aufsetzt, kann die US-Konjunktur als rosig bezeichnen. Eine verbesserte Industrieproduktion im April kann mit einem leichten Zuwachs von 0,7 zum Vormonat die schwache Entwicklung im März nicht ausgleichen. Im Trend seit Anfang 2015 bleibt auch die Stimmung der US-Kleinunternehmen - sie sind für die Hälfte des privaten US-Wirtschaftswachstums außerhalb der Landwirtschaft verantwortlich - eingetrübt: Lediglich 25 Prozent von ihnen planen auf Sicht der nächsten drei bis sechs Monate Neuinvestitionen.
Auch der US-Konsum zeichnet kein freundliches Bild. Die vom Conference Board ermittelten US-Verbrauchererwartungen haben sich im Trend ebenfalls verschlechtert. Insbesondere die Beobachtung alltäglicher und damit verlässlicher Konsumgewohnheiten bestätigt diese negative Einschätzung. So sind die Umsatzerwartungen von US-Restaurants seit März 2015 kräftig eingebrochen. Die Sinnhaftigkeit einer Fortsetzung der US-Zinswende ist nicht zu erkennen.
Selbst der US-Immobilienmarkt hat zuletzt deutlich an Dynamik verloren. Bereits die minimale Zinserhöhung der Fed um nur 25 Basispunkte im Dezember 2015 hat dazu beigetragen, dass Baubeginne und -genehmigungen von ihren Hoch-Ständen nach der Immobilienkrise im Juni 2015 in einen Seitwärtstrend übergegangen sind. Frühere noch deutlich höhere Indexstände, die das Abbild einer robusten US-Konjunktur zeigen, scheinen unerreichbar zu sein. Weitere Zinsanhebungen wären dem US-Immobiliensektor als historisch starkem Stützpfeiler der Konjunktur sicherlich nicht zuträglich.
Selbst der leichte Anstieg der US-Inflation im April von zuvor 0,9 auf aktuell 1,1 Prozent liefert wenig Argumente für Zinserhöhungen. Denn die drastisch gefallenen prospektiven 5-jährigen Inflationserwartungen für die kommenden fünf Jahre rechtfertigen auch zukünftig keine Fortsetzung der US-Leitzinswende.
Wird die Fed dennoch zum Spielverderber?
Grundsätzlich bietet die kurz nach der nächsten Notenbanksitzung stattfindende Abstimmung der Briten am 23. Juni 2016 über den Verbleib in der EU der Fed ein gutes Alibi, um mit dem Verweis auf mögliche politische und finanzwirtschaftliche Kollateralschäden eine Zinserhöhung zu verschieben.
Werden die Zinsen im Juni dennoch angehoben, geschieht dies aus Glaubwürdigkeitsgründen. Notenbankpräsidentin Yellen hat mit ihrer irritierenden "Ich erhöhe die Zinsen, ich erhöhe sie nicht"-Politik der Reputation der Fed an den Finanzmärkten sicherlich nicht genutzt. Das spräche dafür, sich im Juni wieder als Herrin des geldpolitischen Verfahrens zu zeigen.
Dann allerdings wird sie auf der anschließenden Pressekonferenz einem hohen Rechtfertigungsdruck ausgesetzt sein. Sie muss erläutern, wodurch sich denn die Stärke der US-Volkswirtschaft auszeichnet. Daneben wird sie auf die weltkonjunkturellen Gefahren einer erneuten Kapitalflucht aus den Schwellenländern in die USA eingehen müssen, für die aufgrund erhöhter US-Zinsen, verbunden mit einer US-Dollar-Aufwertung gute Argumente sprechen.
In jedem Fall wird Frau Yellen - käme es zu diesem der Glaubwürdigkeit geschuldeten Zinserhöhungsschritt im Juni - sehr deutlich machen, dass die künftige Zinspolitik homöopathisch ablaufen wird. Ansonsten könnte sich das Schadenspotenzial eines massiven Zinserhöhungsschocks ähnlich dem zwischen 2004 und 2006 wiederholen. Denn wenn die immer noch umfangreichen Wertpapierkredite zinserhöhungsbedingt zurückgeführt werden, brechen zunächst die Aktien- und schließlich die realwirtschaftlichen Märkte ein.
Grundsätzlich haben die US-Aktienmärkte keine große Zinsangst. So setzt sich am Aktien-Terminmarkt der Anstieg der spekulativen Netto-Long-Positionen fort.
Aktuelle Marktlage und Anlegerstimmung - Wir haben das Gröbste hinter uns
Während die Geldpolitik der Fed also nicht für nachhaltige Irritationen sorgt, fehlt es den US-Aktien allerdings an fundamentaler Substanz. Das Gewinnwachstum der US-Unternehmen ist weiterhin schwach und zeigt noch keine Anzeichen einer klaren Erholung. Immerhin sorgt aber die Stabilisierung der Rohölpreise für ein Ende der Gewinnschwäche im bedeutenden US-Energiesektor.
Die Preiserholung bei Rohöl wird durch Angebotsunterbrechungen in Folge unkontrollierter Waldbrände in der kanadischen Ölprovinz Alberta sowie wegen Anschlägen auf Ölförderanlagen in Nigeria unterstützt. Potenzial für eine Preiskorrektur ist zwar vorhanden, wenn diese Handicaps beseitigt sind. Aufgrund einer mittlerweile spürbar rückläufigen US-Ölproduktion und einer im weiteren Jahresverlauf stabilisierten Wirtschaftslage in den Emerging Markets ist jedoch eine Wiederholung der markanten Rohstoffschwäche zu Beginn des Jahres nicht zu erwarten.
Ohnehin, der vergleichsweise hohe Anteil der Pessimisten am US-Aktienmarkt, der knapp über der unteren Begrenzung der ersten Standardabweichung liegt, liefert als Kontraindikator grundsätzlich Argumente für Aktienerholungen in den USA.
Nicht zuletzt gewöhnen sich die Finanzmärkte allmählich an das "New Normal" der chinesischen Wirtschaftsentwicklung und reagieren vergleichsweise gelassen auf zwischenzeitlich schwächere Konjunkturdaten. Denn auch in China gilt mittlerweile das Motto: Wo die konjunkturelle Not am größten, ist die stützende Geldpolitik am nächsten.
Allerdings dürften die Aktienmärkte vor Klarheit in der Brexit-Frage nicht aus ihrer augenblicklichen Zurückhaltung entkommen. Die mangelnde geschichtliche Blaupause eines Austritts eines Landes aus einer Wirtschaftsgemeinschaft und dessen nicht abschätzbare politische und finanzwirtschaftliche Folgen sind ein Alibi für Anleger, bis zum 23. Juni abzuwarten.
Sollte aber der Kelch des Brexit an uns vorübergehen, werden die bislang zurückgehaltenen, positiven Aktien-Argumente - zu denen nach wie vor die unattraktive Anlagealternative Zinsvermögen gehört - die Oberhand gewinnen und die europäischen Aktienmärkte und vor allem der DAX kräftig ansteigen
Ohnehin ist von keiner neuerlichen Stabilitätskrise in der Eurozone auszugehen, die die politischen Zersetzungserscheinungen in Europa weiter beflügeln würde. Denn nach einer "pragmatischen" Lösung für die Schuldenprobleme Griechenlands wird es auch einen wachsweichen Umgang der EU-Kommission mit den Stabilitätssündern Spanien und Portugal geben.
Charttechnik DAX und Euro Stoxx 50 - Die Nervosität behält die Oberhand
Aus charttechnischer Sicht liegen im DAX die ersten Widerstände bei 9.892, 9.993 und darüber bei 10.080 Punkten. Schließlich besteht eine weitere Barriere bei 10.128. Die mittelfristig bedeutendste Hürde wartet bei 10.505 Punkten. Wird dagegen die Marke bei 9.700 signifikant durchbrochen, muss mit weiteren Verlusten bis zur Unterstützung bei 9.531 gerechnet werden. Bei 9.338 und 9.160 Punkten bestehen weitere Auffanglinien.
Werden im Euro Stoxx 50 auf dem Weg nach oben die Widerstandszonen zwischen 2.930 und 2.950 sowie zwischen 2.990 und 3.000 Punkten durchbrochen, treten weitere Barrieren bei 3.062 und 3.106 in den Vordergrund. Weitere Hürden liegen darüber zwischen 3.137 und 3.156 und bei 3.169 Punkten. Auf der Unterseite verlaufen Unterstützungen bei 2.860, 2.800 und 2.756 Punkten.
Der Wochenausblick für die KW 21 - Konjunkturstimmungs-Check in der Eurozone
In China dürften erneut rückläufige Industriegewinne den Trend einer sich normalisierenden Volkswirtschaft fortschreiben. Japan leidet weiterhin unter verhaltenen Exportzahlen und Deflationsdruck.
In den USA deuten erneut schwächere Auftragseingänge für langlebige Güter und eine Seitwärtsbewegung bei Neubauverkäufen auf keine Konjunkturlage hin, die eine Zinserhöhung rechtfertigt.
In der Eurozone spiegeln die Einkaufsmanagerindices für das Verarbeitende Gewerbe eine stabile, aber wenig dynamische Konjunkturentwicklung wider. Das gilt ebenso für die deutsche Wirtschaft, die sich zwar mit stabilen, aber insgesamt noch eher blutarmen Stimmungsdaten von ifo und ZEW der verhaltenen weltkonjunkturellen Entwicklung nicht entziehen kann. Im Gegensatz dazu unterstreichen ein erneut freundlicherer GfK Konsumklimaindex und stabilisierte Einzelhandelsumsätze die große Bedeutung der Binnenwirtschaft als wichtiges Konjunkturstandbein in Deutschland.
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Robert Halver,
Leiter Kapitalmarktanalyse der Baader Bank AG
Marc Schlömer, Kapitalmarktanalyse, Baader Bank AG
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Nach Abschluss seines betriebswirtschaftlichen Studiums begann Robert Halver seinen beruflichen Werdegang zunächst als Wertpapieranalyst bei der Sparkasse Essen. Anschließend arbeitete er als Analyst und Aktienstratege bei der Privatbank Delbrück & Co in Frankfurt.
2001 wechselte Robert Halver zur Schweizer Privatbank Vontobel. Sein Aufgabenschwerpunkt war die Formulierung der Anlagestrategie der Vontobel Gruppe in Deutschland.
Seit 2008 leitet Herr Halver die Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank AG in Frankfurt. In dieser Funktion ist er auch für die Außendarstellung der Baader Bank tätig.
Robert Halver ist durch regelmäßige Medienauftritte, auf Fachveranstaltungen und Anlegermessen sowie durch Fachpublikationen und als Kolumnist präsent.