DIPS-Kolumne

Folgen des negativen Realzinses für die Deutsche Wirtschaft

13.06.12 13:53 Uhr

Folgen des negativen Realzinses für die Deutsche Wirtschaft | finanzen.net

Was zuvor nur in Japan, Dänemark oder der Schweiz möglich war, ist am 09.01.2012 nun auch in Deutschland geschehen:

Für 6-monatige Geldmarktpapiere lag der durchschnittliche Zins bei -0,0122%. Zu diesem „Preis“ konnte der Bund 3,9 Mrd. € platzieren.

Von Prof. Dr. Stefan Heinemann und Dr. Svend Reuse

Deutschland profitierte überproportional von der „Safe Haven“ Theorie: Den Investoren ist es offenbar lieber, Geld weniger wahrscheinlich ganz zu verlieren als es zu verzinsen. Dies zeigt auch die aktuelle Entwicklung der Renditen deutscher Staatsanleihen, dargestellt in Abbildung 1:

Abbildung 1: Rendite 1-10jähriger Bundesanleihen im Zeitvergleich

Auf den ersten Blick erscheint diese Entwicklung für die Bundesregierung vorteilhaft – kann sie sich doch nahezu ohne Kosten netto neu verschulden und sich – bei negativem Realzins – schleichend entschulden. Auf den zweiten Blick offenbaren sich hier jedoch einige nicht zu unterschätzende Gefahren. Obschon der Schuldenstand des Bundes recht hoch ist, erscheint eine Anlage in Bundespapieren für Investoren als nahezu risikolos. Dies impliziert, dass Anleger bereit sind, für Geldverwahrung Gebühren zu zahlen – eine Entwicklung, die volkswirtschaftlich bedenklich ist, da dies nicht nur real, sondern auch nominal Kapital vernichtet, welches mittelfristig für ein stabiles und nachhaltiges Wachstum in einer Volkswirtschaft vonnöten ist. Schuldenmachen wird so zu einem "Geschäftsmodell". Mit Blick auf die ohnehin massiv überfinanzierten Volkswirtschaften ist dies keine begrüßenswerte Entwicklung. Heute konsumieren und Morgen die Rechnung begleichen wird so nochmals überboten: Heute konsumieren und Morgen weniger bezahlen.

Hinzu kommt die Angst vieler Banken, sich untereinander Geld zu leihen. Hier ist eine erschreckende Parallele zu den Entwicklungen 2007/2008 zu erkennen. Das von der EZB im Rahmen der Dreijahrestender gewährte Geld fließt wiederholt nicht in den Wirtschaftskreislauf – die einzige Erklärung, warum die nachhaltig hohe Geldmenge entgegen den klassischen Theorien nicht zu einer Inflation führt.

Der niedrige Zinsstand für Deutschland ist folglich nicht eine Auszeichnung für dessen nahezu perfekte Kreditwürdigkeit, sondern das Resultat der Knappheit der vermeintlich risikolosen Anlagemöglichkeiten. Zum einen kann dies schnell kippen, wenn negative Nachrichten publiziert werden – die Presse liefert auch in 2012 hier reichlich Zündstoff. Zum anderen ist eine wiederholte Nettoneuverschuldung nicht unbegrenzt durchführbar, ohne den deutschen und damit auch europäischen Wirtschaftsraum zu destabilisieren.

Die Herausforderungen in den kommenden 1-2 Jahren werden es folglich sein, Europa währungstechnisch zu stabilisieren, ohne gleichzeitig die Verschuldung zu erhöhen. Dies erscheint vor dem Hintergrund von EFSF und ESM nahezu unmöglich. Mit der Rettung von Staaten und dem Ansetzen der Daumenschrauben wird das Problem jedoch nicht gelöst – es muss an der Wurzel bekämpft werden. Für die Rettung des Euro werden die Staaten nicht umhin kommen, den „Geburtsfehler“ des Euro zu beseitigen und gemeinsame Wirtschaftspolitik mit allen daran hängenden Vor- und Nachteilen für die Nationalstaaten umzusetzen. An dieser Stelle unterscheidet sich der föderale Euroraum von den USA. Dort unterliegen alle Bundesstaaten einer gemeinsamen Fiskalpolitik.

Die vermeintlich positive Nachricht eines Negativzinses kann sich deshalb sehr schnell ins Gegenteil kehren – ein sicherer Hafen lässt sich im Rückwärtsgang nicht erreichen. Denn in the long run ist das Wunder der negativen Zinsen nicht durchzuhalten. Es lässt sich aber auch die gegenteilige Perspektive einnehmen: Nur wer nachhaltig investiert hat einen volkswirtschaftlich legitimierbaren Anspruch auf positive Zinsen. Zur Rettung des Euro sind Sparpakete in den betroffenen Ländern folglich richtig und wichtig – allerdings sollten sie durch ein europaweit konsistentes Wachstumsprogramm begleitet werden.

Das dips Deutsches Institut für Portfolio-Strategien ist die finanzwirtschaftliche Forschungseinrichtung der FOM Hochschule für Oekonomie & Management in Essen. Im Fokus der wissenschaftlichen Arbeit stehen praxisrelevante Problemstellungen des Portfolio-Managements sowie optimierte Index-Konzepte.
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