Ausblick 2021

Zentralbanken halten trotz Erholung Fuß auf dem Gas

18.12.20 16:08 Uhr

Zentralbanken halten trotz Erholung Fuß auf dem Gas | finanzen.net

"2021 wird ein Pandemie-Jahr".

Diese jüngste Aussage von EZB-Direktor Fabio Panetta sagt eigentlich schon alles darüber, was die Zentralbanken, zumindest die der westlichen Welt, im nächsten Jahr tun werden: Den Fuß auf dem geldpolitischen Gaspedal halten. Was Panetta, die am deutlichsten vernehmbare "Taube" im Rat der Europäischen Zentralbank (EZB), meint: Wirtschaft und Märkte sollen sich darauf verlassen können, dass die EZB im nächsten Jahr eher mehr als weniger machen wird. Es soll Vertrauen geschaffen werden, damit Konsum und Investitionen in Gang kommen.

Gleiches gilt mit gewissen Nuancen auch für die US-Notenbank und die Bank of England, die gerade ihre geldpolitischen Agenden für 2020 abgeschlossen haben. Was mit Blick auf die EZB allerdings noch hinzukommt, ist die Strategieprüfung, deren Ergebnisse ab der Jahresmitte vorliegen dürften.

Konjunkturerholung nach zweiter Pandemiewelle für das Frühjahr erwartet

Nach Ansicht von Ökonomen zeichnet sich für 2021 makroökonomisch grob folgendes Bild ab: Europas Erholung vom Lockdown der ersten Corona-Welle wurde im Herbst von einer zweiten Welle unterbrochen. Deren Auslaufen wird für das Frühjahr erwartet. Die dann steigenden Temperaturen senken die Anfälligkeit der Menschen für Infektionen generell, und außerdem wird ein Impfstoff verfügbar sein. Allerdings dürften die Infektionszahlen zumindest anfänglich noch höher sein als in diesem Jahr.

Die meisten Ökonomen erwarten aber, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) des Euroraums nach Rückgängen im vierten und im ersten Quartal ab dem Frühjahr stark steigen wird, angetrieben von Nachholeffekten. Trotz starker BIP-Zuwächse und basisbedingt deutlich höherer Inflationsraten wird die EZB ihre milliardenschweren Anleihekäufe aber fortsetzen, um den Banken und damit der Wirtschaft, den Haushalten und nicht zuletzt den Regierungen ein niedriges Zinsniveau zu sichern.

Dies soll so lange geschehen, bis die "Corona-Krisenphase" nach Meinung der EZB vorbei ist. Das bedeutet, dass die Inflation mindestens auf ihren vor der Pandemie zu beobachtenden Pfad zurückkehren muss, der einen Anstieg in Richtung 2 Prozent auch erst für 2022 verhieß. Mit Blick auf die EZB ist also klar: Die Zinsen bleiben zumindest da, wo sie derzeit sind, und die Anleihekäufe im Rahmen ihres Pandemiekaufprogramms PEPP fährt die EZB je nach Entwicklung der Marktzinsen hoch oder herunter.

Rasche Euro-Aufwertung könnte EZB zum Handeln zwischen

Was könnte die EZB dazu bringen, ihre Geldpolitik 2021 weiter zu lockern? Da wäre an erster Stelle der Euro-Wechselkurs zu nennen. Sollte er rasch weiter steigen, würde die EZB möglicherweise den Einlagenzins weiter senken und dies eventuell mit einer stärkeren Freistellung der Banken von diesem Zins flankieren.

Auch eine Verschlechterung der Finanzierungsbedingungen käme als Grund für geldpolitische Lockerungen in Betracht. Die würde die EZB aber wohl mit ihrem inzwischen bewährten Instrumentarium aus Langfristtendern und Anleihekäufen beantworten. Genügend Spielraum hat sie nach der Aufstockung des PEPP um 500 Milliarden Euro vorerst.

Was die Strategieprüfung an konkreten Änderungen bringen wird, ist noch nicht abzusehen. Die Ergebnisse sollen zur Jahresmitte vorliegen. Relativ wenig umstritten ist, dass die EZB ihr Inflationsziel von "unter, aber nahe" auf glatt 2 Prozent ändern wird. Das ist einerseits als Konzept leichter der Öffentlichkeit zu erklären.

Andererseits legt die EZB eine noch größere Betonung auf die Tatsache, dass sie keine zu niedrigen oder gar negativen Inflationsraten sehen will. Das versucht sie bereits jetzt auszudrücken, indem sie von einem "symmetrischen" Inflationsziel spricht. Tendenziell spricht dies für eine noch länger andauernde ultralockere Geldpolitik.

Offen ist, ob die EZB, ähnlich wie die US-Notenbank zusagen wird, nach längeren Phasen zu niedriger Inflationsraten solche mit erhöhten Inflationsraten zuzulassen. Fraglich ist auch, ob und wie die Kosten selbst genutzten Wohneigentums in den Lebenshaltungskosten berücksichtigt werden sollen sowie ob und wie die EZB künftig die Herausforderungen des Klimawandels in ihrer Geldpolitik berücksichtigt.

US-Notenbank wartet Entscheidungen der Fiskalpolitik ab

Auf der anderen Seite des Atlantiks verfolgt die Federal Reserve wie der Rest der Welt gespannt, ob sich die US-Politik zu einer weiteren fiskalischen Unterstützung von Unternehmen sowie privaten Haushalten durchringen wird und welches Ausmaß diese Hilfen annehmen. Einige Mitglieder des Offenmarktausschusses FOMC haben ihre Neigung bekundet, falls nötig geldpolitisch einzuspringen. Derzeit sieht es aber so aus, als würden sich das neu besetzte Weiße Haus und der Kongress auf ein Hilfspaket von knapp 1 Billion US-Dollar einigen.

Eine entscheidende wirtschaftspolitische Wendung könnte die Stichwahl für zwei Mitglieder des Senats in Georgia im Januar bringen. Gewinnen dort die demokratischen Kandidaten, hätte US-Präsident Joe Biden beide Häuser des Kongresses hinter sich. Die Fed wäre dann möglicherweise der Aufgabe enthoben, das Tempo ihrer Wertpapierkäufe zu erhöhen.

In jedem Fall wird die Fed nach dem Dezember-Statement des FOMC zu urteilen noch lange in den Märkten aktiv bleiben - so lange, bis sich bei der Annäherung an die Ziele Maximalbeschäftigung und 2 Prozent Inflation "weitere substanzielle Fortschritte" zeigen. Nach den Prognosen der FOMC-Mitglieder zu urteilen steht damit eine mehr oder weniger unveränderte Politik bis Anfang 2024 in Aussicht.

Bank of England hofft bis zum Schluss auf Brexit-Anschlussvertrag

Die Bank of England (BoE) ist in einer besonders ungemütlichen Lage: Soll sie ihre Geldpolitik angesichts eines drohenden "ungeregelten" Brexit nicht lockern? Analysten erwarten, dass sie bis zuletzt abwarten wird, ob sich die EU und die britische Regierung nicht doch noch in letzter Minute auf ein Anschlussabkommen für die Zeit nach dem EU-Austritt einigen. Selbst eine Verlängerung der Verhandlungen über das Jahresende hinaus wollen einige Kommentatoren nicht ausschließen.

Die wirtschaftlichen Folgen eines Brexit ohne Anschlussvertrag wären vor allem für Großbritannien so ungünstig, dass die BoE ihre Geldpolitik dann wohl lockern würde - trotz der Inflationsgefahr, die sich aus der für diesen Fall zu erwartenden Abwertung des Pfund ergäbe. In der jüngsten Sitzung des geldpolitischen Rats ließ die BoE ihren Leitzinsauf dem Rekordtief von 0,10 Prozent und bestätigte das Zielvolumen der Wertpapierkäufe mit 895 Milliarden Pfund.

Schweiz türmt immer höhere Devisenreserven auf

Die Geschicke der Schweizerischen Nationalbank (SNB) sind eng mit denen der EZB verbunden. Lockert die EZB ihre Geldpolitik, steigt der Wechselkurs des Franken gegenüber dem Euro tendenziell. Dem wirkt die SNB mit verstärkten Devisenmarktinterventionen entgegen, auch wenn sie dabei "die gesamte Währungssituation berücksichtigt", wie es in den geldpolitischen Erklärungen stets heißt.

Der Franken reagiert aber nicht nur auf die Geschehnisse im Euroraum, er ist überhaupt eine der weltweit wichtigsten "Fluchtwährungen", was der kleinen, offenen schweizerischen Volkswirtschaft einige Probleme bereitet. Ein hoher Franken-Kurs mindert sowohl die Absatzchancen der Unternehmen als auch die importierte Inflation und wirkt auf diese Weise doppelt deflationär. Im November lagen die Verbraucherpreise um 0,7 Prozent unter dem Vorjahresniveau.

Deshalb will die SNB bis auf weiteres am Devisenmarkt intervenieren - auch wenn die so entstandenen Sichtguthaben der Geschäftsbanken astronomische Höhen erreicht haben und das US-Finanzministerium die Schweiz auf die Liste der Devisenmanipulatoren gesetzt hat. Andere Möglichkeiten bleiben der SNB kaum, da der Leitzins mit minus 0,75 Prozent bereits weit in negativem Territorium liegt. Etwaige Lockerungen der EZB-Geldpolitik 2021 würden die Zwangslage der Schweizer sicher weiter verschärfen.

Auch die Bank of Japan prüft ihre geldpolitische Strategie

Die Bank of Japan (BoJ) schließlich hat ihre geldpolitischen Sondermaßnahmen für die Corona-Krise um ein halbes Jahr bis Herbst 2021 verlängert. Ihr Instrumentarium hat sie schon in den vergangenen Jahren in Bereiche ausgeweitet, die in anderen Zentralbanken noch Gegenstand von Gedankenspielen sind. Und doch nimmt auch die BoJ eine Strategieprüfung vor, deren Ergebnisse sie im März vorstellen will. Dabei soll es aber nicht um grundsätzliche Weichenstellungen gehen, sondern nur darum, die Zinskurvensteuerung effektiver zu gestalten.

Kurzfristig gibt es für die BoJ durchaus Anlass zur Sorge: Die Veränderungsrate beim Verbraucherpreisindex war im November mit minus 0,7 Prozent so niedrig wie zuletzt vor zehn Jahren.

Von Hans Bentzien

FRANKFURT (Dow Jones)

Bildquellen: Jorg Hackemann / Shutterstock.com