Niedrigzinsen und der Abstieg vom Schuldengipfel
Weltweit haben die Zentralbanken die Geldhähne weit aufgedrehtoder drehen sie derzeit noch auf. Im Euroraum wächst der "Klub der negativen Zinsen" weiter dank der quantitativen Lockerung (QE) der Europäischen Zentralbank.
Damit hat die Phase der Finanziellen Repression ihr nächstes Stadium erreicht. Ob die Niedrig- bzw. sogar Negativzinsen beim Abstieg vom Schuldengipfel überhaupt helfen können, wird am Beispiel einiger europäischer Länder und der USA in dieser Studie analysiert. Letztlich "zahlen" die Anleger diesen Schulden abbau indirekt durch entgangene Zinseinkünfte.
Schuldenabbau: Zurück in die Zukunft?
Der Wirkungsmechanismus der Finanziellen Repression ist einfach: Wächst eine Volkswirtschaft stärker als die auf den öffentlichen Schulden liegende Zinslast, dann gelingt eine Absenkung der Schuldenquoten. Entscheidend ist das Zusammenspiel von impliziten auf die Staatsschulden zu zahlenden Zinsen, dem (nominalen) Wachstum und der Inflation. Wichtig ist auch die Entwicklung des Primärhaushalts. Der Primärhaushalt erfasst die Einnahmen und Ausgaben der öffentlichen Hand, allerdings ohne die anfallenden Zins- und Tilgungszahlungen auf die Staatsschuld. Er ist damit ein bedeutender Indikator für die Haushaltsdisziplin: Nutzt der Finanzminister die sich aus dem Niedrigzinsumfeld ergebende positive Haushaltssituation oder wird er an anderer Stelle spendierfreudiger? Wird das Niedrigzinsumfeld genutzt, dann kann ein Abstieg vom Schuldengipfel durchaus gelingen. Das historische Beispiel dafür liefern die USA .
Ist in der Eurozone, aber auch in den USA ein "Zurück in die Zukunft" wahrscheinlich? Zunächst ein Blick auf einige Länder des einheitlichen Währungsraumes, dann auf die USA.
Schuldenabbau durch Niedrigzinsen? Eine modelhafte Betrachtung
Gelingt im Euroraum ein Schuldenabbau durch die Niedrigzinsen? Eine modellhafte Betrachtung - am Beispiel der Staatsschulden der Europäischen Währungsunion insgesamt, von Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien sowie der Vereinigten Staaten von Amerika - verdeutlicht, welcher Weg vor uns liegen kann. Die Schuldenquote "d" setzt den Schuldenstand des betrachteten Landes bzw. der Region in Relation zum Bruttoinlandsprodukt (BIP). Davon ausgehend wurde untersucht, wie sich die reale Zinslast des öffentlichen Haushalts "r", das jeweils über die Betrachtungszeiträume zunächst als konstant unterstellte Primärdefizit "b" (in Relation zum Wachstum) und das(reale) Wachstum "g" entlang dieser Formel auswirken.
Formel: dt+1 = (1+rt+1) / (1+gt+1)*dt - pbt+1
Die Blickrichtung der Betrachtung ist dabei nicht, eine bestimmte Schuldentragfähigkeit zum Abbau der Staatsschuld zu ermitteln, sondern lediglich die Wirkungsweise der "Finanziellen Repression zu veranschaulichen. Das verdeutlicht gleichzeitig auch, welchen Beitrag die Investoren in Staatsanleihen für den Abbau der Staatsschulden mittels Zinsverlust erbringen.
Modellannahmen für den Wirkungszusammenhang von Niedrigzinsen und Verbesserung der Schuldenquoten
Im Falle des Euroraums wurde ein gleitender Rückgang vom jeweils impliziten Zinssatz für 2015 auf ein Tief im Jahr 2020 angenommen. Der dann modellgemäß einsetzende Zinsanstieg vollzieht sich bis 2030. Als Annahme für ein dann "normales" Zinsumfeld wurde die "Ultimate Forward Rate" der European Insurance and Occupational Pensions Authority ("EIOPA" - Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung) gewählt, wie sie gemäß der Regularien für Solvency II zum Einsatz kommt. Sie wird mit 4,2 % für Staatsanleihen mit 15 und mehr Jahren Laufzeit angenommen, und sie setzt sich zusammen aus den langfristigen Inflationserwartungen (2 %) und der historischen Realverzinsung langlaufender Anleihen(2,2 %).
Da die Staatsanleihen in Deutschland und Frankreich eine durchschnittliche Laufzeit von etwas über 8 Jahren und im Falle Spaniens und Italiens von etwas mehr als 12 bzw. 9 Jahren haben, wurde für die durchschnittliche Rendite deutscher Anleihen ein ab 2030 wieder erreichter "Normalfall" von 3,8 % unterstellt. Für die Teilnehmerländer Frankreich, Spanien und Italien wurde ein Renditezuschlag einberechnet, der sich an der Vergangenheit orientiert.
Wie also sieht das Zusammenspiel von Niedrig zinsen und Schuldenentwicklung aus? Wann dürfte das Maastricht-Ziel einer Schuldenquote von 60 % wieder erreicht sein? Der Blick geht zunächst in den Euroraum.
Euroraum: Wo bleibt der Abstieg vom Schuldengipfel?
Szenario 1: ausgeglichener Primärhaushalt, 2 % Inflation
Zunächst wird, vor dem Hintergrund der getroffenen Wachstumsannahmen und der Renditeerwartung unterstellt, dass die Inflation genau auf dem Zielwert der Europäischen Zentralbank (EZB) von 2 % liegt und der Primärhaushalt ausgeglichen ist.
Ins Auge springt: Trotz des Niedrig- / Negativzinsumfeldes bei den getroffenen Annahmen kommt es nur - wenn überhaupt - temporär zu einem Abstieg vom Schuldengipfel. Bei Deutschland und Frankreich zeigt sich ein Rückgang über mehrere Jahre, bevor es entlang der Zinsentwicklung wieder zu einem Anstieg kommt. Im Falle Spaniens und Italiens entsteht bestenfalls eine Seitwärtsbewegung, bevor sich die Schuldenquoten wieder verschlechtern.
Der circa ab 2030 wieder einsetzende Anstieg der Schuldenquote hängt zum einen mit den Wachstumsannahmen, zum anderen aber vor allem mit der unterstellten Zinsentwicklung zusammen. Dieser könnte, je nach Annahme, auch länger dauern, was das tatsächliche Problem der drückenden Schuldenlasten nur auf dem Zeitstrahl nach hinten verlagert.
Fakt ist: Wird das Stabilitätsziel der EZB von 2 % erreicht und kommt es erwartungsgemäß zu einem Zinsanstieg, dann reicht ein ausgeglichener Primärhaushalt trotz finanzieller Repression nicht aus, um die Schuldenquote wieder auf 60 % zurückzuführen. Würde sich das Renditeniveau auf Vorkrisenniveau bewegen, dann käme es schon jetzt, trotz eines unterstellt ausgeglichenen Primärhaushaltes zum weiteren Anstieg des Schuldenberges.
Szenario 2: Höhere Inflation hilft, aber …
Hier wurde beim Basisszenario modellgemäß unterstellt, dass sich die Inflationsrate über den gesamten Zeitraum konstant auf 2 %, dem Zielwert der EZB, bewegt. Das bedeutet auch, dass das QE-Programm also sehr schnell den gewünschten Erfolg aufzeigt.
Steigt die Inflation zu Simulationszwecken auf 4 % oder gar 6 % stellt sich über die Zeit eine deutliche Verbesserung ein, wobei das Schuldenkriterium allerdings erst in sehr unterschiedlich langen Zeiträumen wieder erreicht wird (Tabelle 2). Bei einer unterstellten Inflation von 4 % würde es in Deutschland bereits im Jahr 2021 erreicht. Am längsten würde Italien benötigen: bis über 2060 hinaus. Wird mit einer Inflationsrate von 6 % gerechnet, nimmt Deutschland 2019 die Maastricht-Hürde. Italien bräuchte dazu bis 2038. Es bedarf also in Abhängigkeit des aktuellen Schuldenstandes trotz höherer Inflation in einigen Fällen eines sehr langen Atems. Bleibt zu betonen, dass der modellhaft unterstellte Fall, dass sich Inflation nicht in steigenden Renditen niederschlägt und auch nicht in steigenden Staatsausgaben, mit ablaufender Zeit immer unrealistischer wird. Bei einer unterstellten Inflation von 4 % erreicht der Euroraum insgesamt das 60-%-Kriterium im Jahr 2032, bei 6 % im Jahr 2024.
Überschuss im Primärhaushalt entscheidend
Damit es zu einem schnellen Abstieg vom Schuldengipfel kommt, ist der Primärhaushalt entscheidend. Kann ein Überschuss von einem Prozent des BIP erzielt werden, erreichen alle betrachteten Länder auch bei einer durchschnittlichen Inflation von 2 % die 60-%-Hürde wieder - wenn auch in Abhängigkeit von ihren aktuellen Schuldenquoten mit deutlich unterschiedlichen Zeitspannen (siehe Tabelle 3). Dabei wird sehr deutlich, dass gerade bei Ländern mit einer hohen Schuldenquote der Wirkung der Inflation eine besonders große Rolle zukommt. Entsprechend müssen höhere Überschüsse im Primärhaushalt angestrebt werden, damit es zu einer Rückkehr auf die Maastrichter Stabilitätskriterien kommt. Je nach aktuellem Schuldenstand, Wachstumsaussichten und Inflationsannahmen kann es allerdings sehr lange dauern, bis das Schuldenkriterium wieder erreicht wird. Im Falle Frankreichs wäre es erst 2053 erlangt. Im Falle Spaniens und Italiens deutlich nach dem Jahr 2060 - zu lange also, um die unterstellten Annahmen bis dato einfach als gegeben betrachten zu können.
Trotz Niedrigzinsen kein Abstieg vom Schuldengipfel
Was zeigt sich bei der Betrachtung der Schuldenberge im Euroraum insgesamt? Ohne Primärüberschüsse in den öffentlichen Haushalten kommt es auch bei ansonsten historisch günstigen Finanzierungsbedingungen nicht zu einer dauerhaften Rückführung der Schulden quote. Ausnahmen wären ein - auch in Anbetracht der demografischen Entwicklung - kaum zu erwartender Wachstumsboom oder eine unterstellte "Inflationssteuer". Diese "Inflationssteuer" würde allerdings einen klaren Mandatsverstoß bedeuten, da die EZB bekanntermaßen an die Zielgröße der Preisstabilität gebunden ist. Auch würden höhere Inflationsraten nur wirken, wenn eine Täuschung der Investoren auf Dauer gelänge und die staatlichen Refinanzierungskosten wie auch die Ausgaben auf andere Seite nicht durch Überwälzung anstiegen. Aber selbst wenn, und das wäre der Optimalfall, das Modell zur Realität würde, bleibt die Frage, ob das Ausgabengebaren der Staaten annahmegemäß zu ausgeglichenen Primärhaushalten führt, oder ob diese die Entlastungen von Niedrigzinsen und Inflation nicht nutzen, um die Haushaltsdisziplin in Richtung eines negativen Primärhaushaltes zu lockern - also dem Aufbau von Schulden in Folge günstiger Refinanzierungsbedingungen.
USA: Niedrigzinsen helfen beim Schuldenabbau aber nur temporär.
Entsprechend der Wachstumserwartung, dem aktuellen Schuldenstand, aber auch der Annahmen zur Geldpolitik und der Entwicklung der langfristigen Zinsen ergibt sich für die USA ein leicht abweichendes Bild. Aus Gründen der Vergleichbarkeit wurde allerdings hier genauso eine Schuldenquote von 60 % als Messlatte genommen, auch wenn die USA natürlich nicht an den Maastricht-Vertrag gebunden sind. Für die USA wurde ausgehend von einem impliziten Zinssatz von 3,5 % für 2015 und 3,7 % für 2016 3 ein gleitender Anstieg auf die als Normalniveau unterstellte Rendite von 4,4 % bis zum Jahr 2022 angenommen. Bezugsgröße für den "Normalzustand" bei den Zinsen war auch hier die "Ultimate Forward Rate" von EIOPA. Allerdings wurde der Tatsache Rechnung getragen, dass die Inflationsraten in den USA über die letzten 20 Jahre um ca. 0,5 %-Punkte über jenen im Euroraum lagen und die Federal Reserve (Fed) einem dualen Mandat aus Preisstabilität und Arbeitsmarkt gerecht werden muss. Wobei auch hier ein Abschlag auf den EIOPA-Referenzzins vorgenommen wurde, da die durchschnittlichen Laufzeiten unter 15 Jahren liegen, während gleichzeitig die länger laufenden Anleihesegmente in den USA mehr Gewicht haben als im Euroraum.
Im Vergleich des Euroraums mit den USA wurde bei der Entwicklung der durchschnittlichen Zinslast berücksichtigt, dass eine Divergenz der Geldpolitiken auf beiden Seiten des Atlantiks bereits eingesteuert wurde. Bedingt durch die Politik der Fed ist dort der Tiefpunkt der Renditen am Kapitalmarkt voraussichtlich bereits durchschritten, während im Euroraum das QE der EZB die Zinsen noch länger niedrig oder sogar negativ halten dürfte. Die Wachstumsannahmen für die USA wurden der OECD entnommen. Diese geht für die Jahre bis 2030 von einem realen Wachstum von 3,1 % aus und erwartet dann eine folgende Abflachung für die Jahrzehnte bis 2060 auf 2 %.
Für die USA zeigt sich ein dem Euroraum ähnliches Bild. Bei einer Inflationsrate von 2 % würde die Schuldenquote zunächst leicht zurückgehen, dann aber entlang der Zins- und Wachstumsentwicklung wieder ansteigen. Die finanzielle Repression würde nur sehr begrenzt wirken und käme erst bei höheren Inflationsraten zum Tragen.
Ein im Schnitt der Jahre um 0,5-%-Punkte stärkeres, reales Wachstum würde das Gesamtbild nur geringfügig ändern. Allerdings würde in diesem Fall auch bei 2 % Inflation die Schuldenquote von 60 % langfristig erreicht. Der größere Spielraum ergibt sich auch hier beim Primärhaushalt, der sich schneller und durchschlagender auf die Schuldenquote auswirkt - zumal ein höherer Primärüberschuss leichter zu erreichen ist als ein höheres Wachstum.
Verstehen. Handeln.
• Das aktuelle Niedrig-/Negativzinsumfeld alleine hilft bei der Rückführung der Schuldenquoten noch nicht (zumindest nicht im Euroraum), obwohl die Finanzierungssituation für die öffentlichen Haushalte kaum vorteilhafter sein könnte.
• Dies liegt vor allem auch an den niedrigen Wachstumserwartungen: Der erwünschte Effekt eines "Aus-den-Schulden- Herauswachsens", kommt - zumindest solange sich die Inflationsrate unter oder auf dem von der EZB angestrebten Zielwert bewegt - nicht zustande.
• Höhere Inflationsraten, um den von den Anleiheinvestoren finanzierten Abstieg vom Schuldengipfel zu forcieren, sind keine Option. Das nicht nur, weil es im Falle des Euroraums ein klarer Verstoß vor allem gegen das Stabilitätsmandat der EZB wäre, sondern auch, weil steigende Inflationsraten sich deutlich verschlechternde Refinanzierungskosten der Staaten erwarten ließen.
• Es stellt sich die Frage, inwieweit Wachstumsbremsen gelockert werden können, um damit den Schuldenabbau zu erleichtern. Und es zeigt sich die Wichtigkeit, die Primärhaushalte nicht nur auszugleichen, sondern Überschüsse zu erzielen. Bei den Primärhaushalten liegt somit die eigentliche Lösung zum Schuldenabbau.
• Die Motivation, die Geldpolitik wieder zu normalisieren, dürfte von Seiten der Staatshaushalte nicht gerade gefördert werden, denn so lange die Zinsen niedrig sind, solange haben die Finanzminister mehr Spielraum. Für Investoren heißt das: Sie sollten sich in diesem Zusammenhang auf eine länger andauernde Niedrigzinsphase einstellen und in Sachwerte investieren.
• Aktien aber sind nichts anderes als Sachwerte, deren Bewertungen bekanntermaßen auch Schwankungen an den Kapitalmärkten unterliegen. Unter dem Aspekt der "Sachwerte" sollte der "Aktienzins" - die Dividende - gesehen werden.
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