Zeitenwende
Eine Zeitenwende findet statt: steigende Staatsverschuldung und sinkende Kreditwürdigkeit in Industriestaaten, hohes Wachstum und solide Haushalte in vielen Schwellenländern.
Auf diese Entwicklungen sollten sich Anleger, in einem Umfeld niedriger Zinsen und höherer Inflation, einstellen.
Bei der Geldanlage ist es an der Zeit, das Weltbild zu überdenken. Anleger sollten sich gedanklich von der schönen heilen „alten“ Welt des „Goldlöckchen-Szenarios“ vor der Finanzkrise verabschieden: einer Zeit, in der es zuging wie in dem britischen Märchen „Goldilocks“, in dem immer alles passt. Das Wachstum treibt die Unternehmensgewinne und Aktienkurse, überhitzt aber nicht, d. h., Inflation ist kein Thema und die Anleihenrenditen gehen zurück oder bleiben zumindest stabil. Denn mit der Finanzkrise sind dem Goldlöckchen sprichwörtlich die Haare ausgefallen. Hohe Defizite in den Industrieländern bei Leistungs- und Haushaltsbilanzen belasten das Wachstum. Das Vertrauen der Marktteilnehmer in die Märkte, in die Kreditwürdigkeit einiger Staaten, in das Wachstum und sogar in die Werthaltigkeit des Geldes scheint derzeit zerrüttet. Die Grenzen des Wachstums werden ausgelotet.
Eine Zeitenwende findet statt, in der die globalen Ungleichgewichte abgebaut werden müssen, um das Vertrauen der Markttei lnehmer zurückzugewinnen. Gleichzeitig entwickeln sich die Wachstumsländer (gemeinhin auch Schwellenländer genannt) immer mehr zum Stabilitätsanker. Während die Kreditwürdigkeit vieler Industriestaaten, von den USA bis Griechenland, in den letzten vier Jahren spürbar gesunken ist, ist die vieler Wachstumsländer von China bis Ecuador gestiegen.
Der Weg vor uns – zurück zum Gleich gewicht
– wird begleitet von:
Abbau von (Staats-)Schulden in den
Industrieländern
Abbau des Fremdkapitals in Relation zum
Eigenkapital bei den Banken
Abbau von Zentralbankliquidität in den
westlichen Industrienationen
Abflachung des Wachstums in den
Industriestaaten
Aufholprozess der Wachstumsländer,
insbesondere durch Wachstum des
Binnenkonsums
Diese Faktoren lassen auch in Zukunft erhöhte Schwankungen (Volatilitäten) erwarten, sowohl was die Konjunkturzyklen als auch was die Kapitalmärkte allgemein betrifft.
Auf dem Weg zurück zum Gleichgewicht müssen sich Anleger vermutlich auf eine längere Periode niedriger oder sogar negativer Realzinsen in den Industriestaaten einstellen. So sind die Realzinsen in vielen Industriestaaten bereits ins Negative gerutscht – für zehnjährige deutsche Bundesanleihen sogar das erste Mal seit 1957.
Niedrige Zinsen – Inflation = (negative) Realzinsen
Sowohl die Politik des billigen Geldes in den Industrieländern – die US-Notenbank hat angekündigt, ihre Null-Zinspolitik bis mindestens Mitte 2013 fortzuführen – als auch strukturelle inflationär wirkende Treiber dürften die Realzinsen niedrig bzw. sogar negativ belassen.
Schaubild: Politik des billigen Geldes
Gründe sind u. a.:
Die Politik des billigen Geldes zählt nach wie vor zu den wichtigsten Maßnahmen gegen eine lang anhaltende, weltweite Rezession. Auch wenn der geldpolitische Impuls in den Industriestaaten über die Kreditvergabe in der Wirtschaft derzeit nur gedämpft ankommt, ist das Geld- und Kreditschöpfungspotenzial hoch. Bei einer Stabilisierung der Konjunktur könnte dies mittel- bis langfristig zu inflationären Tendenzen führen, zumal die Gefahr von Zweitrundeneffekten über steigende Inflationserwartungen bei den Marktteilnehmern – die Inflationserwartung ist eine kritische Maßzahl bei der geldpolitischen Steuerung – ebenso gegeben wäre.
Im Zuge der Finanzkrise sind die Staatsverschuldungen der Industriestaaten – im Gegensatz zu denen der Schwellenländer – deutlich gestiegen. Viele Marktteilnehmer, wie z. B. der IWF-Chefökonom Olivier Blanchard oder Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman, betrachten eine bewusste Inflationierung der Wirtschaft bei gleichzeitig niedrigen (Real-)Zinsen als ein probates Mittel der Staaten, ihre reale Verschuldung abzubauen. Als erfolgreiches Beispiel dient häufig die Phase der sogenannten „Financial Repression“ in den 50er Jahren in den USA, in der die Zinsen künstlich niedrig gehalten und u. a. über Inflation die Schulden erfolgreich abgebaut wurden. Allerdings wären die negativen Begleiterscheinungen einer hohen Inflation u. a.: steigende Zinsen bzw. Refinanzierungskosten, die Fehlallokation von Kapital und eine Geldentwertung der Sparvermögen. Nichtsdestotrotz könnten im Zuge steigender Staatsschulden die Inflationserwartungen des Marktes steigen, was eine selbsterfüllende Prophezeiung nach sich ziehen kann.
Der Aufholprozess der Schwellenländer mündet in einen strukturellen Wachstumsschub, der dazu führen sollte, dass sich die Schwellenländer vom Exporteur einer Deflation zum Exporteur einer Inflation entwickeln. So betrug die durchschnittliche Inflation der BRIC-Staaten im November 2011 ca. 7 %. Und auch die Importpreise in den USA von Gütern aus China und von Rohstoffen sind seit 2007 – mit Ausnahme Ende 2008, während der Finanzkrise – spürbar gestiegen.
Dieses Wohlstandswachstum dürfte nicht nur über steigende Löhne zu höheren Konsumentenpreisen in den aufstrebenden Staaten führen, sondern sollte gleichzeitig die Erhöhung der Rohstoffpreise weiter fördern. So trifft die steigende Rohstoffnachfrage auf immer knapper werdende Ressourcen, so dass die (Rohstoff-)Preiseffekte über die Wertschöpfungskette auch global weiterwirken dürften.
Allerdings werden diese strukturellen Treiber von der unerwarteten Zuspitzung der EUSchuldenkrise und den aktuellen zyklischen Risiken überlagert. Denn im Zuge des Schuldenabbaus von Staaten sowie Konsumenten (v. a. in den USA) und der Restrukturierung der Bankbilanzen dürfte das zukünftige Wachstumspotenzial verringert und der inflationär wirkende Lohnkosten- und Nachfragedruck in den Industriestaaten begrenzt bleiben.
Doch was mache ich als Anleger in einem Umfeld, das von großer Unsicherheit und einer wohl längeren Periode negativer Realzinsen geprägt ist?
Gewohnte Sicherheit birgt ein Risiko
Das Prinzip „Risikovermeidung um jeden Preis“ sollte zumindest nicht zur Leitlinie der Kapitalanlage gemacht werden. Das Problem dabei: Sicherheit – in Form von Investments in den Geldmarkt oder Staatsanleihen hoher Bonität – ist aktuell teuer, d. h., die Zinsen, die mit risikoarmen Anlagen zu verdienen sind, sind sehr niedrig. So liegen die Zinsen am europäischen Geldmarkt Ende 2011 unter 1 % und für fünfjährige Bundesanleihen bei nur noch ca. 1 %. Nach Abzug der Inflation in Europa von knapp 3 % liegen die Realrenditen dieser beiden Anlageklassen sogar deutlich im negativen Bereich. Für die USA sind die negativen Realrenditen sogar noch höher. Anders ausgedrückt: Die Investoren erkaufen sich die Flucht in den „sicheren Hafen“ sehr teuer – sie verschenken sogar ihr Geld.
Schaubild: Auf die reale Rendite kommt es an!
Das Geld nur auf dem Sparbuch oder am Geldmarkt zu parken und nur in Anleihen bester Bonität zu investieren, birgt somit sowohl für private als auch institutionelle Investoren zwei Risiken:
Zum einen langfristig die Gefahr, den heutigen Lebensstandard morgen nicht mehr genießen bzw. die Verbindlichkeiten nicht mehr vollständig bedienen zu können. Denn über Inflation können die mageren Zinsen schnell aufgezehrt werden und es kommt zu einem Kaufkraftverlust.
Ebenso unterliegen Anleihen bis zur Endfälligkeit im Umfeld steigender Preise und steigender Staatsschulden Kursrisiken (Durations- und Emittentenrisiken), die im derzeitigen Niedrigzinsumfeld nicht unterschätzt werden sollten. So könnte die 30-jährige Anleihen-Hausse mit sinkenden Zinsen und steigenden Anleihekursen bald ihren Zenit erreicht haben. Thema ist schon jetzt: Wer kauft zukünftig noch Staatsanleihen? Schon jetzt ist die US-Notenbank größter Gläubiger der USA. So hat die Fed in den letzten beiden Jahren für knapp 900 Mrd. USD US-Staatsanleihen (Treasuries) gekauft und hat mittlerweile Treasuries im Gegenwert von 1675 Mrd. USD in ihrer Bilanz. Folgenschwer könnte sich in der ferneren Zukunft das Auslaufen der Stützungskäufe der Notenbanken auf die Kursentwicklung von Staatspapieren auswirken. Denn die zusätzlich geschaffene künstliche Nachfrage nach Staatstiteln würde wegfallen.
Ergo: Anleger, die Sicherheit mit dem Fehlen von Kursschwankungen bei ihren Anlagen gleichsetzen, verlieren real (!) betrachtet Geld und tragen das Zinsänderungsrisiko. Es sollte bei der Anlage daher vielmehr auf die Realrendite ankommen.
Schutz vor Inflation mit realen Werten
Investoren, die nur auf „Sicherheit“ setzen, sollten daran denken, dass diese Anlageform im derzeitigen Niedrigzinsumfeld eine pure Spekulation darauf ist, dass die Preise zumindest stabil bleiben oder sogar sinken. Bei einer Inflation dagegen verlieren Anleihen und Bargeld, denn die Inflation schmälert oder vernichtet die Rendite. Der Kaufkraftverlust von nominal 100 Euro würde bei einer Inflationsrate von 2 % oder 4 % – für den Euroraum liegt die Inflation Ende 2011 bei knapp 3 % – nach zehn Jahren 18 Euro bzw. rund 32 Euro und nach 20 Jahren sogar ca. 32 Euro bzw. 54 Euro betragen. Auch die reale Rendite, also die Rendite nach Inflation, liegt mit steigender Inflation zunehmend unter der nominalen. 3 % für eine Anleihe werden bei einer Inflation gleicher Höhe zu real 0%, Steuern nicht berücksichtigt. Zu den Gewinnern hingegen zählen die realen Werte: Immobilien, Rohstoffe, Gold und Aktien. Ihr Preis sollte steigen, während die Kaufkraft sinkt. Geht mit der Inflation eine Konjunkturüberhitzung einher, können Rohstoffe und Aktien von der steigenden Nachfrage zusätzlich profitieren.
Ergo: Wer als Anleger an Kaufkrafterhalt denkt, sollte an reale Werte denken.
Schaubild: Kaufkraftverlust: Anleger sollten auf reale Renditen achten
Kursrisiken im Anleihesegment werden unterschätzt
Auch wenn der Inflationsdruck im Laufe des Jahres 2011 abgenommen hat und vermutlich 2012 noch weiter abnehmen dürfte, sollten die bereits beschriebenen strukturellen Treiber mittel- bis langfristig zu inflationär wirkenden Tendenzen führen. Für den Anleiheinvestor bedeutet dies: Eine steigende Inflation führt generell zu steigenden Nominalzinsen und damit zu Kurs risiken im Anleihensegment. Ein Phänomen, was vielleicht von dem einen oder anderen Investor unterschätzt wird, wenngleich die Kursschwankungen in der Regel nicht ganz so ausgeprägt sind wie bei Aktien.
Ein Beispiel: Nehmen wir an, ein Anleger kauft am 31.12.2011 eine zehnjährige Anleihe zu 100 Euro mit einem Kupon von 2 % und hält diese ein Jahr. Gleichzeitig wird unterstellt, dass in diesem Zeitraum die Zinsen um 1 % gestiegen sind und die Inflation 2,5 % beträgt. Die Zinsentwicklung hätte zur Folge, dass die Anleihe (mit einer Duration von ca. 9,1) einen Kursverlust von rund 8,53 Euro erleiden würde. Die Zinsausschüttung von 2 Euro kann diesen Verlust nicht aufwiegen. Berücksichtigt man zudem auch die Inflation und den entsprechenden Kaufkraftverlust, so würde der Anleger nach einem Jahr einen realen Verlust seiner Rentenanlage von knapp 8,81 Euro bzw. 8,8 % erleiden.
Folgerichtig scheint in dem aktuellen Niedrigzinsumfeld, in dem das Risiko steigender Zinsen größer einzuschätzen ist als sinkende Umlaufrenditen, eine Anlage in „Long-only Rentenanlagen“ die schlechteste Alternative für den Anleger.
In der Gesamtbetrachtung sollte der Investor seine Anlagen daraufhin ausrichten, wie er negative Realzinsen vermeiden kann.
Diversifikation zur Vermeidung negativer Realzinsen
Weltbilder von gestern passen nicht zur Geldanlage von heute. Um als Anleger auf eine Zeitenwende und ein Umfeld mit negativen Realzinsen vorbereitet zu sein, scheint eine breite Streuung über verschiedene Vermögensklassen – insbesondere die Anlage in reale Werte – angebracht zu sein. Denn bei nicht vollständig gleichlaufenden (korrelierten) Wertpapieren kann der Anleger durch Diversifikation die Kursschwankungen seines Portfolios vermindern, ohne die Renditechancen zu schmälern (Risikodiversifikationseffekt). Risikoreduktion ohne Chancenverzicht– Diversifikation ist der einzige „Free Lunch“ an den Kapitalmärkten.
Um die Marktrisikoprämien verschiedenster Vermögensklassen in einem Umfeld mit negativen Realzinsen abzuschöpfen, können sich folgende Strategien anbieten:
Fixed-Income-Solutions: Anleihen, die gegen über Staatsanleihen hoher Bonität über einen Zinsaufschlag verfügen, sollten in einem Umfeld, das von Wachstum in den Emerging Markets sowie zumeist verbesserten Bilanz relationen bei den Unternehmen gekennzeichnet ist, profitieren. Dank der Risikoprämien sind die Realzinsen in diesem Segment derzeit deutlich positiv. Zu den Investmentmöglichkeiten zählen hier u. a. Unternehmensan leihen, Schwellenländeranleihen und Hochzinsanleihen. Auch Währungen als Anlageklasse erscheinen interessant, insbesondere Währungen der strukturstarken Wachstumsländer wie der chinesische Renminbi.
Aktien und Rohstoffe: Die Preise von realen Werten, wie Aktien, Rohstoffen und Immobilien, sind eng verknüpft mit der Entwicklung der Inflationsraten. Geht mit der Inflation eine Konjunkturüberhitzung einher, können Rohstoffe und Aktien von der steigenden Nachfrage zusätzlich profitieren. Gleichzeitig scheinen die Bewertungen von Aktien – gemessen an ihren Kurs-Gewinn-Verhältnissen und den vergleichsweise hohen Dividendenrenditen – attraktiv zu sein. Insofern kann zum Beispiel mit einer Dividendenstrategie bei Aktien, die auf ausschüttungsstarke Unternehmen setzt, ein netter „Kupon“ verdient werden. Zu den realen Werten zählen vor allem Investments in Aktien und Rohstoffe.
Multi-Asset und Absolute Return: Hohe Staatsschulden, politische Risiken und eine stärker vernetzte globalisierte Welt machen die Märkte anfälliger für (Extrem-)Risiken. Ein effizientes Risiko-Management scheint daher wichtiger denn je. Ebenso erscheint im aktuellen Kapitalmarktumfeld eine breite Streuung über reale Werte in einem Mischfonds, in dem der Portfoliomanager flexibel und reaktionsschnell Investmentchancen suchen kann, interessant. Neben einer Diversifikation über Mischfonds könnten sich auch „Absolute Return Produkte“ als Ergänzung zum Portfolio anbieten. Diese flexiblen Strategien im Anleihen- und im Aktiensegment, die sowohl auf steigende als auch auf fallende Kurse setzen können, haben die Möglichkeit, weitestgehend unabhängig von der Marktentwicklung eine positive Rendite zu erwirtschaften.
Eine neue Zeitenwende an den Kapitalmärkten scheint eingeleitet, in der die Geldanlage von heute nicht zu den Weltbildern von gestern passt. Eine Wende, auf die der Anleger vorbereitet sein sollte und die ihm gleichzeitig viele Investmentchancen eröffnet. Wichtig dabei für den Anleger erscheint: Wie erhalte ich möglichst hohe Realzinsen oder wie erhalte ich zumindest die Kaufkraft?
Autor: Dennis Nacken
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