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Zertifikate: Selbst ist der Anleger

28.04.18 12:00 Uhr

Zertifikate: Selbst ist der Anleger | finanzen.net

Wie Anleger mit wenigen Klicks Zertifikate und Hebelprodukte zusammenbauen. Kurz darauf sind die Papiere emittiert und für jeden handelbar.

von Gian Hessami, €uro am Sonntag

Geht nicht, gibt’s nicht. Einen Zaun, ein Gartenhaus oder ein ganzes Vereinsheim selbst bauen? Das geht mit Werkzeugen und mit Material aus dem Baumarkt, wie jeder wohl aus der Werbung weiß. Das Motto "selbst bauen" hat sich aber auch die Zertifikatebranche auf die Fahnen geschrieben. Anleger können ihre Produkte auf verschiedenen Plattformen nach eigenen Vorstellungen zusammenzimmern und diese damit dann auch an den Markt bringen.



Seit Ende 2016 sind die Commerzbank und die Société Générale gemeinsam auf einer Plattform vertreten, über die Privat­anleger Bonus- und Discountzertifikate sowie Aktienanleihen und Optionsscheine konfigurieren können. Der Service ist über die Börse Stuttgart (wunschzertifikat.boerse-stuttgart.de) und auch über das Finanzportal Onvista (www.onvista.de/wunschzertifikat) zugänglich und basiert auf der Plattform Primegate, die der Commerzbank gehört. Zur Auswahl stehen rund 500 Basiswerte: Bluechip-Aktien aus Europa, den USA und Asien sowie die wichtigsten Leitindizes dieser Regionen.

Schritt für Schritt

Ein Beispiel: Zunächst wählt der Anleger unter "Produkt" die Kategorie "Discountzertifikat" und anschließend als Basiswert eine Aktie. Im dritten Schritt bestimmt er, auf welchem Kursniveau sich der Cap, also die Gewinn­obergrenze, befinden soll. Als Viertes gibt er noch die gewünschte Laufzeit des Produkts ein.



Die Plattform bietet eine Wahlmöglichkeit zwischen zwei Emittenten. Klickt der Anleger auf "Wunschzertifikat anfragen", erscheinen auf dem Bildschirm die aktuellen Preisindikationen von Commerzbank und Société Générale. Anleger können vergleichen, welche Preise die beiden Banken unabhängig voneinander fürs Produkt ermitteln, und kontinuierlich in Echtzeit aktualisieren. Dabei wird auch die maximal mögliche Rendite pro Jahr angezeigt.

Hat sich der Anleger für ein Produkt entschieden, klickt er den Button "Produkt emittieren". Anschließend gibt er seine Handynummer in ein Dialogfeld ein. Dann erhält er seinen persönlichen Emissionscode per SMS und trägt diesen auf der Onlineplattform ein.


Jetzt wird das maßgeschneiderte Discountzertifikat emittiert und ist bereits nach wenigen Minuten börslich oder ­außerbörslich handelbar. Mit der angezeigten Wertpapierkennnummer (ISIN) kann der Nutzer über seine Bank oder über seinen Broker eine Kauforder erteilen. Ist das Papier am Markt, können es aber auch andere Anleger handeln.

Wichtig zu wissen: Anleger gehen bei der Erstellung ihres Wunschprodukts keine Abnahmeverpflichtung ein. Auch müssen sie sich nicht registrieren oder personenbezogene Daten abgeben. Bei den Emissionen entstehen für Anleger keine zusätzlichen Kosten. Der Handel erfolgt zu den handelsüblichen Transaktionsentgelten.

Auch wenn sich die Nutzer Papiere selbst basteln können, gilt das eherne Investmentgesetz: Je höher die mögliche Rendite, desto größer ist das Verlust­risiko des Produkts. Daher ist klar, dass die Wunschzertifikate noch lange keine Wunschkonzerte sind.

Die Plattformen eignen sich jedoch dazu, durch die Eingabe verschiedener Kennzahlen ein Gefühl dafür zu bekommen, was die strukturierten Produkte können - und was nicht. So ist es möglich, bestimmte Szenarien durchzuspielen, um zu sehen, was einen als Anleger in welchem Fall erwartet.

Für Selbstentscheider

Die digitale Technik befreit Anleger keinesfalls davon, sich eine Marktmeinung zum jeweiligen Basiswert zu bilden und die Funktionsweise der Derivatetypen zu verstehen. In den vergangenen Jahren haben Börsen, Emittenten und der Deutsche Derivate Verband (DDV) mit Seminaren und Publikationen dazu beigetragen, Zertifikate und Hebelpapiere einem breiten Publikum zugänglich zu machen.

Interessierte können sich dazu einen ersten Eindruck auf deren Internetseiten verschaffen. Für Einsteiger dürften dabei vor allem Broschüren, Magazine und Flyer interessant sein, die die Funktionsweise sowie die damit verbundenen Chancen und Risiken der verschiedenen Papiere erläutern.

"Der transparente Wettbewerb unter den Emittenten kommt Anlegern zugute. Dabei legt die Börse Stuttgart größten Wert auf Neutralität", sagt Dirk Kruwinnus, Produktmanager bei der Börse Stuttgart. Das Wunschzertifikat richtet sich in erster Linie an aktive Privatanleger, die bereits Erfahrung mit strukturierten Produkten haben. Die beliebtesten Kategorien in Stuttgart sind Discountzertifikate, Bonus- und Capped-Bonuszertifikate sowie Aktienanleihen, zu den favorisierten Basiswerten gehören DAX, Daimler und Deutsche Bank.

Neben der Commerzbank und der ­Société Générale bieten auch Vontobel (www.mein-zertifikat.de) und Unicredit (www.onemarkets.de unter "Tools" und dann "my.one direct") Plattformen an, über die man sich eigene Produkte zusammenbauen kann.

Hebel für Trader

Während Vontobel Anlagepapiere wie Aktienanleihen, Discountzertifikate und Capped-Bonuszertifikate offeriert, konzentriert sich Unicredit beim Konfigurator auf Hebelprodukte wie Knock-out-Papiere mit und ohne Laufzeitbegrenzung. "Unsere Zielgruppe sind eher kurzfristiger orientierte Trader", sagt Sebastian Bleser, Derivate­experte bei Unicredit.

Für ihn stellen spekulative Hebel­papiere bei "Selbstbauportalen" einen größeren Mehrwert dar als Teilschutzzertifikate. "In schwankungsintensiven Märkten kann es passieren, dass die Knock-out-Schwellen bestimmter Hebelpapiere reißen. Bis dann ähnliche Produkte mit neuen Knock-out-Schwellen auf herkömmliche Weise aufgelegt werden, können mitunter Tage vergehen", erläutert Bleser.

Schnell reagieren

Über die Internetplattform bauen sich Trader innerhalb von Minuten Hebelpapiere zusammen, die zu ihrer Markterwartung passen. An den Märkten können sich von jetzt auf gleich Chancen auftun, die schnell wieder verflogen sind - wenn man nicht schnell genug darauf reagiert.

Zu den meistgehandelten Basiswerten zählen beim Produktkonfigurator der Unicredit neben dem DAX die US-Indizes sowie deutsche Standardwerte. Anlegern stehen neben verschiedenen Indizes insgesamt 250 Einzelaktien zur Verfügung, auf die sie mit den Knock-­out-Produkten der Unicredit setzen können. Auch hier gilt: Die Emission eines Produkts ist für den Anleger keine Verpflichtung zum Kauf.

Den Banken, die Zertifikate und Hebelpapiere emittieren, bieten die Plattformen interessante Einsichten in die Vorlieben der Kunden. Sebastian Bleser nennt Anleger, die solche Portale nutzen, "smarte Produktmanager" - sie selbst wissen am besten, welche Papiere zu ihren Vorstellungen passen.

Produktportale für Zertifikate der Marke Eigenbau sind eine Innovation des digitalen Zeitalters. Sie leben die Philosophie, die auch Fintechs, moderne, onlinebasierte Finanzdienstleister, verfolgen: Die Finanzindustrie richtet sich nach den Bedürfnissen des Kunden - und nicht umgekehrt.

Innovationen gefragt

Den Zertifikatemarkt komplett ver­ändern konnten die jungen Selbstbauportale aber (noch) nicht. Über die Plattformen werden jeweils im Schnitt rund zehn Produkte täglich emittiert. Wenn man bedenkt, dass es am Markt circa 1,7 Millionen strukturierte Produkte gibt, ist dies nicht gerade viel.

Allerdings darf diese immense Anzahl auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass von all den vielen Papieren, die es am Markt gibt, nur ein vergleichsweise kleiner Teil tatsächlich irgendwann zwischen der Emission und dem Verfall gehandelt wird - schätzungsweise rund 15 bis 20 Prozent.

Die große Masse der von den Emittenten aufgelegten Produkte findet bei den Anlegern keinen Anklang. Soll heißen: Viele Millionen Euro, die die Banken für die Emission der verbrieften Derivate ausgeben, sind für die Katz.

Mit der Do-it-yourself-Strategie können die Emittenten also nicht nur ­Kunden anlocken, sondern auch Kosten sparen. Die Derivate-Industrie ist schließlich für ihre Innovationsfreude bekannt. So lautet auch hier die Devise: Geht nicht, gibt’s nicht.

Glossar: Zertifikate aus dem Online-Baukasten

Produkt

Anleger wählen über ein Menü das gewünschte Produkt aus. Zum Beispiel ein Discountzertifikat, ein Bonuszertifikat, eine Ak­tienanleihe, einen Optionsschein oder ein Knock-out-Papier. Der Produkttyp richtet sich nach der Markterwartung und der Risikobereitschaft der Nutzer. So eignen sich Hebelprodukte wie Optionsscheine und Knock-outs eher für spekulative Anleger.

Basiswert

Verbriefte Derivate beziehen sich auf einen Basiswert, etwa auf eine Aktie oder einen Aktien­index. Zu jedem Produkt können Nutzer einen bevorzugten Basiswert auswählen. Besonders beliebt sind hierzulande Bluechip-Aktien aus dem DAX oder der DAX selbst. Weitere populäre Indizes sind Euro Stoxx 50 und Dow Jones.

Emission

Haben sich Anleger ein Produkt selbst zusammengebaut, können sie es über das Portal per Mausklick an den Markt bringen. Bis zur tatsächlichen Emission fehlt dann nicht mehr viel. Nach wenigen ­Minuten ist das ­gewünschte Finanzprodukt mit eigener ISIN börslich oder direkt über den jeweiligen Emittenten handelbar.

Chartwerkzeug

Zertifikatebau-Portale bieten Tools an, mit denen Anleger vor der Emission verschiedene Szenarien durchspielen können. So stellen sie bei Discount­zertifikaten über das Portal der Commerzbank mit einem Regler die gewünschte Gewinn­obergrenze (Cap) ein. Anschließend sehen sie das entsprechende Auszahlungsprofil.

Diese Emittenten bieten Plattformen für Zertifikate-Bastler an (pdf)




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