Werder Bremen

Marco Bode: "Geld wird uns niemand schenken"

18.08.15 03:00 Uhr

Marco Bode: "Geld wird uns niemand schenken" | finanzen.net

Marco Bode, der frühere Profifußballer und jetzige Aufsichtsratschef von Werder Bremen, über Probleme, Chancen und Perspektiven des Bundesligavereins.

von Birgit Wetjen, Euro am Sonntag

"Marco Bode hat Abitur, der spielt" - so soll es einst Beate, die Frau von Werder Bremens Langzeitcoach Otto Rehhagel, entschieden haben. Aber auch ohne Abitur hätte Bode den Sprung in die Startelf wohl geschafft. Am Ende seiner Fußballerkarriere hatte er schließlich mehr als 500 Spiele für Werder bestritten, ohne jemals gelbgesperrt oder mit einer roten Karte vom Platz geflogen zu sein.

Für Rehhagel war er deshalb "der fairste Spieler nach dem Zweiten Weltkrieg". Seit Herbst 2014 ist Mr. Fairness nun Aufsichtsratschef des wirtschaftlich klammen Vereins. Zum Start der neuen Bundesligasaison verrät er, wie der Traditionsclub sportlich und finanziell wieder punkten will.

€uro am Sonntag: Herr Bode, Investoren müssen im aktuellen Zinstief Risiken in Kauf nehmen, um Rendite zu erzielen. Wie sieht es im Fußball aus?
Marco Bode:
Profivereine müssen immer Risiken eingehen. Einen Spieler für ein paar Millionen Euro zu verpflichten ist immer auch riskant, weil man nie weiß, ob es letztendlich auch wirklich passt. Der eine funktioniert woanders wunderbar, holt man ihn hierher, passt es nicht mehr so gut. Und umgekehrt. Fußballer sind eben Menschen, neben der fußballerischen Kompetenz muss auch der Charakter passen - zum Club, zum Trainer und zur Mannschaft. Das ist sehr komplex und immer auch riskant.

Hohe Risiken kann sich Werder Bremen nicht leisten. Der Verein hat drei Jahre in Folge ein hohes Defizit erwirtschaftet. Dieses Jahr droht ein weiteres Minus - das Eigenkapital von ehemals stattlichen 38 Millionen Euro dürfte dann aufgezehrt sein. Wie kommen Sie aus diesem Dilemma raus?
Wir haben über Jahre international gespielt, das waren Mehreinnahmen von mindestens 20 Millionen Euro. Bleibt der sportliche Erfolg aus, muss man konsolidieren, um Einnahmen und Ausgaben wieder ins Gleichgewicht zu kriegen. Das ist schmerzhaft und langwierig, aber wir werden hier in Bremen nicht den Weg gehen, uns hoch zu verschulden. An die Logik, mit ausreichend Investitionen kann man sich den Erfolg wieder kaufen, glaube ich auch nicht.

Woran glauben Sie denn?
Es ist wichtiger, sich so aufzustellen, dass man zu richtigen Entscheidungen kommt - in Bezug auf das Trainerteam, das Mannschaftsgefüge oder die Spielphilosophie. Geld spielt natürlich eine wichtige Rolle, aber fünf Millionen mehr oder weniger machen nicht den Unterschied zwischen Erfolg und Misserfolg. Wenn man bei den strategischen Entscheidungen richtig liegt, hier also Fehler minimiert, hat man eine gute Chance, nach vorn zu kommen. Das haben Vereine wie Gladbach oder Augsburg eindrucksvoll gezeigt. Die Teams haben sich ohne Superetats für internationale Wettbewerbe qualifiziert.

Mit fünf Millionen mehr hätte Werder aber vielleicht einen Spieler wie Franco Di Santo halten können, der drei Wochen vor Saisonbeginn zu Schalke 04 gewechselt ist …
Das kann ich nicht beurteilen. Wir sind mit unserem Angebot finanziell bis an die Schmerzgrenze gegangen und müssen akzeptieren, dass er sich für Schalke entschieden hat - wohl auch mit dem Ausblick, dort international zu spielen.

Nachwuchsstürmer Davie Selke wechselte für acht Millionen Euro zum Zweitligisten RB Leipzig. Sind Verkäufe von Toptalenten Teil Ihrer Strategie?
Für mich ist es nicht Sinn und Zweck der Nachwuchsförderung, Spieler zu verkaufen, es ist aber manchmal unvermeidbar. Dass junge Spieler wie Davie Selke auch mal neue Herausforderungen suchen, ist normal. Und natürlich profitieren wir wirtschaftlich von solchen Transfers. Ziel unserer Nachwuchsarbeit ist es aber, unser Erstligateam zu verstärken.

Kann man allein über gute Nachwuchsarbeit in der Bundesliga bestehen, wenn andere Millionen in internationale Stars investieren?
Wir wollen keine fertigen Stars kaufen und können es auch nicht, zumal Ablösesummen und Spielergehälter vor allem durch die hohen TV-Einnahmen der Clubs in Großbritannien gerade explodieren. Da können wir als Werder Bremen nicht mithalten. Deshalb ist es unser Ziel, Spieler zu Stars oder wertvollen Spielern zu entwickeln. Jeder Nationalspieler war mal irgendwo Jugendspieler. Wir müssen deshalb schon im Jugendbereich attraktiv sein für Talente. Das letzte Jahr hat gezeigt, dass wir hier richtig liegen und mit unserem Leistungszentrum gute Arbeit leisten. Wir haben wieder das Image, dass man hier gut ausgebildet wird, sich gut entwickeln kann und auch die Chance hat, als junger Spieler in die Bundesliga zu kommen. Es klingt vielleicht komisch und ist auch weit weg, aber das große Vorbild für mich ist Barcelona, die es immer geschafft haben, auf Weltniveau zu spielen und die Hälfte des Teams aus der eigenen Nachwuchsförderung zu holen. Also, es ist möglich.

Für die zweite Hälfte des Teams nehmen die Katalanen aber viel Geld in die Hand …
Auch in der Bundesliga sind Vereine wie die Bayern, Dortmund oder Schalke wirtschaftlich Lichtjahre von uns entfernt. Und die Werksclubs mit Wolfsburg und Leverkusen haben auch ganz andere Möglichkeiten. Aber wir waren schon immer in einer Herausfordererrolle, auch in den 90er-Jahren, als ich gespielt habe, waren wir wirtschaftlich deutlich kleiner als zum Beispiel Bayern. Die Schere ist seitdem zwar weiter auseinandergegangen, es ist also schwieriger geworden, mit den Topteams zu konkurrieren. Aber wenn man die richtigen Schritte geht, kann man weiter nach vorne kommen und auch mal Fünfter oder Sechster werden und sich wieder für internationale Wettbewerbe qualifizieren.

Stars wie Ronaldo haben die Ablöse von annähernd 100 Millionen Euro längst wieder eingespielt. Kann es sich auch für Bremen rechnen, in einen Star zu investieren?
Wir können hier ganz sicher keinen Star über Merchandising finanzieren. Das können Manchester United oder Real Madrid, weil sie weltweite Vertriebswege haben. Auch die Bayern haben sich nach und nach diesen Status erarbeitet, das haben wir nicht. Real verkauft ja alleine schon eine Million Trikots von Ronaldo in China. Wenn wir einen Star holen, lässt sich aus dem Trikotverkauf keine Refinanzierung aufbauen.

Bayern München hat ein Büro in New York, der BVB in Singapur. Die Werksclubs Wolfsburg und Leverkusen leisten sich Doppelbanden im Stadion für die Vermarktung von Spielen in China oder Südamerika. Sehen Sie im Ausland auch für Werder wirtschaftliches Potenzial?
Es ist gut und wichtig, international präsent zu sein - und am besten, wenn man sich auch sportlich da präsentiert. Wir spielen zwar aktuell nicht international, aber die Marke Bundesliga ist weltweit bekannt, und insofern versuchen wir schon, internationale Kontakte zu knüpfen. Im vergangenen Jahr etwa waren wir zu Freundschaftsspielen in China. Man darf aber nicht glauben, dass man dort innerhalb kurzer Zeit zu einer bekannten Fußballmarke wird und einem chinesische Sponsoren gleich die Tür einrennen. Bis man einen wirtschaftlichen Nutzen ziehen kann, ist es ein weiter Weg. Und Topclubs wie Bayern oder Dortmund haben es eben auch ein bisschen leichter.

Sprudelnde Einnahmen erwarten Experten bei der Inlandsvermarktung. Leverkusen oder Schalke bieten in ihren Stadien kostenloses WLAN an. Inwieweit haben Sie Big Data auf dem Schirm?
Das ist auf jeden Fall auch hier ein Thema. Die Verwendung von Daten, Zahlen und Statistiken spielt im Kerngeschäft, also im Fußball, eine immer wichtigere Rolle. Im Laufe eines Spiels werden sehr viele Daten gewonnen, die uns - richtig analysiert und interpretiert - beim Scouting oder bei der Verletzungsprävention helfen können. Wir beschäftigen uns aber auch intensiv mit neuen und kreativen Formen der Werbung, Kommunikation und Vermarktung und sind dabei, Strategien zu entwickeln, zum Beispiel für die Kommunikation über Smartphones. Aber das hat viele Facetten. Zum einen ist längst nicht alles, was möglich ist, auch machbar, allein schon wegen der Rechte an Daten oder Bewegtbildern. Und auch nicht alles ist wünschenswert. Es kann ja nicht darum gehen, die Fans zu schröpfen und ihnen penetrant noch ein Trikot oder Tool anzubieten. Wir wollen ja mit den Fans kommunizieren und echten Mehrwert bieten.

Als Sie im vergangenen Jahr den Vorsitz des Aufsichtsrats übernahmen, hing der Haussegen in der Werder-Familie schief. Gerüchten zufolge haben Bremer Unternehmer finanzielle Unterstützung in Aussicht gestellt, wenn Willi Lemke seinen Posten räumt. Spüren Sie Druck aus der Wirtschaft?
Ich empfinde gar keinen Druck aus der Bremer Wirtschaft. Ich habe nie daran geglaubt, dass jemand mit den Millionen daherkommt, sobald ich Aufsichtsratsvorsitzender bin und nicht Willi Lemke. Niemand wird Werder Geld geben, weil er mich sympathisch findet. Und das ist ja auch nicht geschehen. Grundsätzlich genießt Werder eine sehr hohe Wertigkeit in der Wirtschaft, der Stadt und der gesamten Region. Es gibt eine ungeheuer hohe Identifikation mit dem Verein. Das ist großartig, aber dennoch wird uns niemand Geld schenken.

Im Gegenteil, die Bremer Landesregierung will der Deutschen Fußball Liga die Kosten für Polizeieinsätze bei sogenannten Risikospielen in Rechnung stellen. Befürchten Sie, dass der Verein die Zeche zahlen muss?
Bremen ist ein Stadtstaat und muss bei Risikospielen Verstärkung aus Niedersachsen anfordern, die dem Land in Rechnung gestellt wird. Ich persönlich halte den Bremer Vorstoß dennoch für falsch und ärgerlich, zumal der Verein immer Vorreiter war in Sachen Prävention und es bereits einen Kompromiss zwischen Politik und Bundesliga gab. Aber das ist Demokratie. In der Sache ist jedoch noch nichts entschieden. Die Rechnungen gingen zunächst an die DFL. Möglich, dass dort der Gedanke aufkommt, sie an uns weiterzuleiten. Insofern könnte uns das wirtschaftlich treffen. Ich bin aber optimistisch, dass eine Lösung gefunden wird.

Ihr bisheriger Sponsor Tipico bündelt sein Engagement bei den Bayern, mit der Targobank ging ein weiterer wichtiger Sponsor verloren. Noch wurde die Lücke nicht geschlossen. Warum ist die Sponsorensuche für einen Verein wie Bremen so schwer?
Unternehmen verfolgen im Sponsoring grundsätzlich unterschiedliche Ziele. Ein wichtiges Thema im Fußball ist ganz sicher Awareness, wie es im Marketing-Deutsch heißt. Da geht es darum, wie viele Stunden bin ich TV-relevant präsent, wie lange ist meine Bande sichtbar - also nur nackte Zahlen. Und dann geht es darüber hinaus um den Imagetransfer. Die Grundidee von Sponsoring ist ja, von den Marken und Sympathiewerten des Vereins zu profitieren.

… dann müsste Werder Bremen ja ein idealer Partner der Wirtschaft sein. Laut der Fußballmonitor-Studie von Repucom wird der Verein von gut zwei von drei Fußballinteressierten als sympathisch oder sogar sehr sympathisch empfunden …
Das sind wir ja auch. Unser früherer Trikotsponsor Kik hat die Partnerschaft als sein erfolgreichstes Investment überhaupt bezeichnet, weil er seine Bekanntheits- und Sympathiewerte durch uns dramatisch steigern konnte. Unsere Sponsoringeinnahmen sind über die vergangenen Jahre sogar leicht gestiegen, während der Sponsoringmarkt insgesamt eher stagniert.

Werder Bremen ist traditionell stark sozial engagiert. Trikotsponsoren aber waren oder sind umstrittene Unternehmen wie der Billig-Textildiscounter Kik oder der Geflügelzüchter Wiesenhof. Warum ist es so schwer, einen Sponsor zu finden, der zu Ihren Werten passt?
Das nehme ich anders wahr. Wir müssen uns nicht an dem Thema Wiesenhof festbeißen, aber ich will auch nicht ausweichen: Wiesenhof ist ein Unternehmen, das sich absolut mit diesen Werten identifiziert und deshalb haben sie auch die Partnerschaft zu uns gesucht. Sie wollten offen und transparent mit dieser Problematik umgehen …
… aber ein Ökobetrieb ist das ja nun nicht.
Wiesenhof hat auch eine Ökomarke, aber das ist nicht das Hauptgeschäft. Ich wäre der Letzte, mit dem man darüber nicht diskutieren könnte, ob Tierhaltung, wie sie in unserer Gesellschaft praktiziert wird, optimal ist. Aber wenn man Millionen von Menschen ernähren will, muss man sich fragen: Geht das anders, wenn man Fleisch essen will? Man kann weder uns noch Wiesenhof vorwerfen, dass wir das Thema kleinhalten oder leugnen. Im Gegenteil, man muss solche Fragen offen diskutieren.

Als Schachspieler sind Sie es gewohnt, strategisch zu denken. Gibt es für Bremen einen Masterplan?
Schach und Fußball sind jeweils Kombinationen aus Strategie und Intuition. Nur rational oder nur aus dem Bauch heraus zu entscheiden führt zu keinem guten Ergebnis. Der Psychologe und Wirtschaftsnobelpreisträger Daniel Kahneman hat sich mit dem Thema Entscheidungen bei Unsicherheit beschäftigt. Sein Buch "Schnelles Denken, langsames Denken" ist eines meiner Lieblingsbücher. Es gibt einen gewissen Plan, den wir da verfolgen. Aber wir müssen auch flexibel und kreativ sein und ab und zu auch mal aus dem Bauch heraus entscheiden. Ich persönlich bin übrigens auch ein großer Anhänger der Beppo-Straßenkehrer-Strategie. In Michael Endes Buch "Momo" verrät der alte Straßenkehrer sein Geheimnis: Anstatt sich permanent an weit entfernt liegenden Zielen zu messen, geht er mit Freude und Elan Schritt für Schritt.

Vielseitiger Linksfuß
Marco Bode, geboren 1969 in Osterode am Harz, hat für Werder Bremen mehr als 500 Spiele absolviert und dabei mehrere Titel gewonnen (u. a. Deutscher Meister 1993). Mit 101 Treffern ist er Werders Rekordtorschütze. Bode lief zudem 40-mal als Nationalspieler auf, 1996 wurde er mit der Mannschaft Europameister.
2002 beendete er seine Profikarriere. Danach arbeitete er zunächst als Reporter. Heute ist er unternehmerisch tätig, entwickelt Film- und Marketingkonzepte und ist Gründer und Teilhaber der Hamburger Delta Systems GmbH.

Bildquellen: Carsten Heidmann/SV Werder Bremen