Ihr Recht in 2022: Was sich für Sie in diesem Jahr alles ändert
Was die Ampelkoalition bei Altersvorsorge, Arbeit und Wohnen plant. Außerdem: 2022 gibt es höhere Zuschüsse für die Pflege, Corona-Erleichterungen - und der Garantiezins für Lebensversicherungen sinkt.
von Bernhard Bomke, Simone Gröneweg und Martin Reim, Euro am Sonntag
Die neue Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag eine Fülle von (Reform-)Plänen ausgebreitet. In Gesetzesform gegossen ist davon noch nichts. Dessen ungeachtet ist schon definitiv, dass sich 2022 vieles konkret ändert.
Regierungspläne
Die Ampelparteien setzen in dreifacher Hinsicht auf Aktien für die Altersvorsorge. Hintergrund ist der Wunsch, die langfristig hohen Börsenrenditen zu nutzen. Dabei soll es jeweils eigenständige Lösungen für gesetzliche Rentenversicherung (GRV), Riester-Rente und betriebliche Altersversorgung geben.
Gesetzliche Rente
Das gesetzliche Rentenniveau soll dauerhaft das Level von 48 Prozent (Verhältnis der Standardrente zum Durchschnittsverdienst aller Versicherten) nicht unterschreiten. Der Versicherungsbeitrag (derzeit 18,6 Prozent) steigt in dieser Legislaturperiode laut Koalitionsvertrag nicht über 20 Prozent. Überraschend: Der sogenannte Nachholfaktor in der Rentenberechnung wird reaktiviert. Die Rentenerhöhungen werden demnach 2022 geringer ausfallen als bislang angenommen. Nach ursprünglichen Berechnungen sollten Rentner ab 1. Juli im Westen 5,2 Prozent und im Osten sogar 5,9 Prozent mehr bekommen. Bundessozialminister Hubertus Heil (SPD) erwartet, dass sich beide Werte nun um 0,8 Prozentpunkte verringern werden.
Die GRV soll 2022 zehn Milliarden Euro aus Steuermitteln als Kapitalstock bekommen (2020 flossen in Form von Steuern und Beiträgen insgesamt 330 Milliarden Euro in die Rente). Der Vertragsentwurf spricht von einem "ersten Schritt" in eine "teilweise Kapitaldeckung der gesetzlichen Rentenversicherung", ohne mögliche weitere Schritte zu benennen. Es bleibt also offen, wie viel Geld hinzukommen und wie die Auszahlung laufen soll.
Riester-Rente
Bei der staatlich geförderten privaten Altersvorsorge via Riester ist das Koalitionspapier unkonkret. Es heißt nur: "Wir werden das Angebot eines öffentlich verantworteten Fonds mit einem effektiven und kostengünstigen Angebot mit Abwahlmöglichkeit prüfen. Daneben werden wir die gesetzliche Anerkennung privater Anlageprodukte mit höheren Renditen als Riester prüfen."
Aus dem Kontext ergibt sich, dass es um das sogenannte schwedische Modell mit leichten Modifikationen geht. Die Skandinavier müssen 2,5 Prozent ihres Einkommens in die "Prämienrente" einzahlen - rund 1.000 Fonds stehen zur Auswahl. Will man sich keiner der privaten Alternativen anvertrauen, was rund die Hälfte der Berechtigten tut, greift der Staatsfonds AP7. Er legt das Geld des Versicherten bis zu dessen 55. Geburtstag komplett in Aktien an. Ab 55 wird schrittweise in einen Rentenfonds mit geringerem Risiko umgeschichtet. Ausgezahlt wird schließlich ein lebenslang gleichbleibender Rentenzuschlag.
Betriebsrenten
In der betrieblichen Altersversorgung muss laut Koalitionsvertrag das sogenannte Sozialpartnermodell "nun umgesetzt werden". Im Jahr 2018 wurde dieses Projekt der damaligen Bundessozialministerin Andrea Nahles Gesetz, weshalb Experten auch von der "Nahles-Rente" sprechen. Sie erlaubt erstmals Betriebsrenten ohne Garantien, wodurch mehr Aktieninvestments möglich sind. In der Praxis gibt es die Nahles-Rente noch nirgendwo.
Altersvorsorge für Selbstständige
Alle neuen Selbstständigen sollen zur Altersvorsorge verpflichtet werden, wenn sie keinem obligatorischen Sicherungssystem unterliegen (etwa den berufsständischen Versorgungswerken, wie sie z. B. für Ärzte, Apotheker, Architekten oder Psychotherapeuten existieren). Dabei soll Wahlfreiheit gelten. Jeder muss Mitglied der gesetzlichen Rentenversicherung werden, der nicht im Rahmen eines "einfachen und unbürokratischen Opt-Outs" ein privates Vorsorgeprodukt wählt. "Dieses muss insolvenz- und pfändungssicher sein und zu einer Absicherung oberhalb des Grundsicherungsniveaus führen." Bei jeder Gründung gilt jeweils eine Karenzzeit von zwei Jahren.
Arbeit
Der Mindestlohn wird auf zwölf Euro pro Stunde erhöht. Derzeit liegt er bei 9,82 Euro. Die Minijobgrenze steigt von 450 auf 520 Euro im Monat, die Grenze für Midijobs von 1.300 auf 1.600 Euro.
Wohnen
Ziel sind jährlich 400.000 neue Wohnungen (davon 100.000 geförderte). Als Anreiz für mehr Wohnungsneubau wird die lineare Abschreibung von zwei auf drei Prozent im Jahr erhöht. Neu eingeführt wird eine Wohngemeinnützigkeit mit steuerlicher Förderung und Investitionszulagen. Die Mietpreisbremse (betrifft Neuvermietungen) wird bis 2029 verlängert. Die Kappungsgrenze (betrifft Bestandsmieten) auf angespannten Wohnungsmärkten sinkt von 15 auf elf Prozent binnen drei Jahren. Mietspiegel speisen sich künftig aus Daten von Mietverträgen der vergangenen sieben (bisher sechs) Jahre. Das soll den Anstieg der Mieten dämpfen.
CORONA
Gutscheine
Während der Corona-Pandemie fielen zahlreiche Konzerte und Aufführungen aus. Um eine Pleitewelle der Veranstalter zu verhindern, beschlossen Bundestag und Bundesrat 2020 eine Gutscheinregelung für ausgefallene Konzerte und Aufführungen. Für Tickets, die vor dem 8. März 2020 gebucht wurden, mussten Kunden einen Gutschein akzeptieren. Wer diesen bis Ende 2021 nicht einlöste, kann den Betrag seit dem 1. Januar 2022 zurückfordern.
Tipp: Wenden Sie sich dazu schriftlich an das Unternehmen, das den Gutschein ausgestellt hat. Sie haben einen Anspruch auf den vollen Eintrittspreis inklusive aller angefallenen Vorverkaufsgebühren. Nennen Sie in dem Schreiben den Wert und das Ausstellungsdatum des Gutscheins und verweisen Sie auf die gesetzliche Neuregelung. Grundsätzlich verjähren die Ansprüche nach drei Jahren. Sie haben also bis Ende 2023 Zeit dafür, die Auszahlung des Corona-Gutscheins einzufordern. Vorausgesetzt, der Veranstalter geht nicht pleite. Haben Sie das Ticket nach dem 8. März 2020 gekauft, müssen Sie weder einen Gutschein noch einen Ersatztermin akzeptieren und können sich den Ticketpreis erstatten lassen.
Kurzarbeitergeld
Die pandemiebedingten Ausnahmen werden von Ende 2021 bis Ende März 2022 verlängert. Das betrifft die Bezugsdauer und die Aufstockungsregeln.
Zuverdienst
Frührentner können auch in diesem Jahr deutlich mehr hinzuverdienen als üblich, bevor ihnen die Rente gekürzt wird. Dieser Teil des sogenannten Sozialschutzpakets, mit dem die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie gemindert werden sollen, wurde verlängert. Demnach bleiben maximal 46.060 Euro im Jahr anrechnungsfrei. Grundsätzlich liegt die Grenze bei lediglich 6.300 Euro.
Das soll den Wiedereinstieg für Menschen in Bereichen erleichtern, die dringend Personal suchen, etwa im Gesundheits- und Pflegebereich. Die Regelung ist jedoch nicht an Berufsfelder geknüpft und kann von allen Frührentnern genutzt werden.
Gesetzliche Pflege
Höhere Zuschüsse
Seit 1. Januar 2022 erhalten viele Pflegebedürftige einen höheren Zuschuss von ihrer Pflegeversicherung. Wie hoch er ausfällt, hängt von Pflegegrad und Leistungsart ab. Nur für Pflegebedürftige mit Pflegegrad 1 ändert sich nichts. Für sie bleibt es bei einem Entlastungsbetrag von 125 Euro im Monat.
Stationäre Pflege: Für Pflegebedürftige, die bis zu zwölf Monate Leistungen für vollstationäre Pflege bezogen haben, reduziert sich der Eigenanteil an den pflegebedingten Aufwendungen um fünf Prozent. Bei mehr als zwölf Monaten reduziert er sich um 25, bei mehr als 24 Monaten um 45, bei mehr als 36 Monaten um 70 Prozent. Die Einrichtungen stellen der Pflegekasse die höheren Kosten in Rechnung.
Pflege zu Hause: Hilft ein ambulanter Pflegedienst daheim, erhöht sich der Zuschuss für die sogenannten Pflegesachleistungen wie Hilfen bei Körperpflege, Ernährung und Bewegung. Er steigt um fünf Prozent auf folgende Beträge: Pflegegrad 2: 724 Euro (689 Euro); Pflegegrad 3: 1.363 Euro (1.298 Euro); Pflegegrad 4: 1.693 Euro (1.612 Euro); Pflegegrad 5: 2.095 Euro (1.995 Euro)
Kurzzeitpflege: Die Leistungen für eine zeitlich auf maximal acht Wochen begrenzte stationäre Heimunterbringung steigen um zehn Prozent von 1.612 Euro auf 1.774 Euro pro Kalenderjahr.
Zuschläge für spezielle Gruppen
Privat Krankenversicherte: Sie zahlen 2022 einen befristeten Corona-Zuschlag. Für Versicherte mit Beihilfeanspruch - vor allem Beamte - beträgt der monatliche Zuschlag 7,30 Euro; das sind 87,60 Euro im Jahr. Versicherte ohne Beihilfe wie Angestellte oder Selbstständige zahlen 3,40 Euro pro Monat, also 40,80 Euro im Jahr mehr. Bei privat versicherten Arbeitnehmern übernimmt der Arbeitgeber die Hälfte des Beitrags einschließlich Corona-Zuschlag.
Gesetzlich Krankenversicherte: Für Kinderlose ab 23 Jahren wird es ebenfalls etwas teurer. Ihr Zuschlag auf den Pflegebeitrag steigt von 0,25 auf 0,35 Prozent. Insgesamt ergibt sich so ein Pflegeversicherungsbeitrag von 3,40 Prozent des Bruttoeinkommens, maximal rund 164 Euro im Monat. Bei gesetzlich versicherten Arbeitnehmern beteiligen sich die Arbeitgeber nicht am Zuschlag für Kinderlose. Für Eltern liegt der Beitragssatz weiter bei 3,05 Prozent.
LEBENSVERSICHERUNGEN
Zum 1. Januar sank der gesetzliche Garantiezins der Lebensversicherungen von 0,90 auf 0,25 Prozent. Das betrifft zwar fast keine laufenden Policen, sondern nahezu ausschließlich Neuverträge, die mit diesem Garantiezins kalkuliert sind - dafür aber etliche Sparten: Kapitallebens- und private Rentenpolicen, geförderte Angebote à la Riester, Rürup und Betriebsrente, zudem beispielsweise Berufsunfähigkeitsversicherungen.
BETRIEBLICHE ALTERSVORSORGE
Wer eine betriebliche Altersvorsorge (bAV) im Rahmen einer Entgeltumwandlung abschließt, hat seit dem 1. Januar ein Anrecht auf einen Zuschuss vom Arbeitgeber. Bislang galt das nur für Neuverträge, künftig müssen auch Bestandsverträge unterstützt werden. Grundsätzlich sind 15 Prozent auf den Umwandlungsbetrag draufzulegen, wenn die bAV über eine Direktversicherung, eine Pensionskasse oder einen Pensionsfonds erfolgt. Das soll jene Sozialbeiträge ausgleichen, die der Arbeitgeber durch die bAV einspart. Doch kann der Arbeitgeber auch nachweisen, dass seine Einsparungen geringer liegen, und dann nur diesen Prozentsatz auszahlen.
Tipp: Arbeitnehmer müssen nicht selbst aktiv werden. Sofern sie aber von ihrem Chef noch nicht über die neuen Regeln informiert wurden, sollten sie ihn beziehungsweise die Personalabteilung ansprechen.
Familien
Vielen Trennungskindern steht etwas mehr Unterhalt zu. Am 1. Januar traten höhere Bedarfssätze in Kraft, die in der dafür verbindlichen Düsseldorfer Tabelle stehen. Allerdings liegt die Erhöhung in vielen Fällen unter einem Prozent, wie das Düsseldorfer Oberlandesgericht mitteilte.
Der Bedarfssatz der Studenten, die nicht bei ihren Eltern oder einem Elternteil leben, bleibt gegenüber dem Vorjahr mit 860 Euro unverändert.
Die Selbstbehalte, also das Minimum, das den Unterhaltspflichtigen zugestanden wird, bleiben ebenfalls unverändert. Bei höheren als den veranschlagten Wohnkosten kann der Selbstbehalt im Einzelfall erhöht werden.
Neubauförderung
Die Förderung für das Effizienzhaus 55 wird eingestellt. Anträge kann man aber noch bis 31. Januar 2022 stellen, allerdings nur unter der Voraussetzung, dass bereits mindestens eine Entwurfsplanung für das Haus vorliegt. Ein Energieberater muss darüber hinaus bestätigen, dass der neue Bau dem Energiestandard Effizienzhaus 55 entspricht (entsprechende Fachleute sind im Internet unter energie-effizienzexperten.de zu finden).
Tipp: Betroffene können versuchen, den ursprünglich als Effizienzhaus 55 vorgesehenen Neubau auf den weiterhin geförderten Effizienzhaus-40-Standard zu bringen. Oder sie entscheiden sich für den gesetzlichen Mindeststandard.
Damit verzichten sie auf die Förderung, drücken aber auch ihre Baukosten. Allerdings nehmen sie für die Zukunft auch höhere Energiekosten in Kauf und senken den Wert des Hauses. Hier lohnt es sich, professionellen Rat einzuholen.
Verbraucher
Mehr Rechte bei Reklamationen
Zum 1. Januar setzte der Gesetzgeber eine EU-Richtlinie um, die die Rechtslage für Käufer verbessert. Bisher haften Händler zwei Jahre lang für Mängel an einer gekauften Sache. Lediglich innerhalb der ersten sechs Monate haben Verbraucher einen Beweislastvorteil: Zeigt sich dann ein Fehler, gilt die Vermutung, dass der Mangel schon beim Kauf in der Ware steckte. Das neue Gesetz verlängert diese Frist auf zwölf Monate. Es betrifft Käufe ab 1. Januar 2022.
Generell verjähren Reklamationsrechte weiterhin zwei Jahre nach Kauf. Doch galt bislang: Trat ein Mangel am Ende dieser Frist auf und reklamierte der Kunde nicht sofort, konnte der Händler Reparatur oder Ersatz verweigern. Das hat sich jetzt geändert. Verjährung tritt nicht vor Ablauf von vier Monaten nach Auftreten des Mangels ein. Händler haften also bis zu 28 Monate.
Ebenfalls ab Januar greift eine Aktualisierungspflicht für Software, um die Funktionalität zu garantieren oder Sicherheitslücken zu verhindern - egal ob bei Computern oder Gebrauchsgegenständen. Adressat ist der Verkäufer, nicht der Hersteller.
Einfacher online kündigen
Ab 1. Juli 2022 müssen Unternehmen ihre Website mit einem Kündigungsbutton für Onlineverträge ausstatten. Er muss leicht zugänglich und gut sichtbar auf der Internetseite platziert sein.
Post erhöht Porto
Die Deutsche Post erhöhte zum Jahreswechsel einige Preise. Das Porto für den Standardbrief stieg von 80 auf 85 Cent, für die Postkarte von 60 auf 70 Cent. Außerdem gingen die Preise für Einschreiben um je 15 Cent auf 2,65 (Standard) und 2,35 Euro (Einwurf) nach oben.
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