Ausgespart?
Max ist neun Jahre alt und besucht die vierte Grundschulklasse. Er bekommt jede Woche drei Euro Taschengeld von seinen Eltern und manchmal drückt ihm sein Opa Heinz auch mal fünf Euro zwischendurch in die Hand. Das meiste Geld landet dann in seinem Sparschwein.
Denn Sparen, das hat ihm sein Opa schon früh beigebracht, ist wichtig. Einmal im Jahr, am 30. Oktober, bringt er sein Sparschwein zur Bank. An diesem Tag ist Weltspartag. Dort vermehrt es sich von ganz alleine, denn er bekommt Zinsen. Zumindest hat ihm das Herr Müller von seiner Bank so erklärt.
Das Sparbuch ist schon lange ein Geldvernichter geworden. Zinsen gibt es nicht mehr und die Inflation, wenn derzeit auch gering, nagt unerbittlich am Ersparten. Davon hat Opa Heinz seinem Enkel noch nichts erzählt. Er selber weiß es ja auch nicht besser und hofft, dass diese Phase vorübergeht. Denn auch das Ersparte von Opa Heinz liegt auf dem Sparkonto. Herr Müller von der Bank ist auch ratlos. Denn das was Max, Opa Heinz und Herr Müller zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen, es ist vermutlich der letzte Weltspartag in dieser Filiale. Denn die Bank muss Kosten sparen und wird viele Filialen in den nächsten Monaten schließen. Denn obwohl es in keinem Land der Welt so viele Sparkonten, Tagesgeldkonten, Festgeldkonten und Girokonten wie in Deutschland gibt, verdient die Bank damit kein Geld mehr.
Fristentransformation funktioniert nicht mehr
Das Geschäftsmodell der Banken beruht im Wesentlichen auf der Fristentransformation. Dadurch werden auf dem Finanzmarkt die unterschiedlichen Laufzeitinteressen von Schuldnern (Privatpersonen, Unternehmen, Staat) und Gläubigern (zum Beispiel Sparern) in Einklang gebracht. Die Aufgabe der Bankinstitute besteht bei der Fristentransformation darin, kurzfristig angenommene Geldanlagen in langfristige Kredite umzuwandeln. Unter normalen Umständen mit einer steilen Zinsstrukturkurve ist die Fristentransformation kein Problem. Der Bankkunde legt zum Beispiel tausend Euro auf sein Sparkonto und erhält dafür 1,5 Prozent Zinsen pro Jahr. Die Bank legt das Geld in mündelsichere Wertpapiere (deutsche Staatsanleihen) mit festem Zins in Höhe von vier Prozent und einer Laufzeit von fünf Jahren an und verdient eine Bruttozinsmarge von 2,5 Prozent. Seit Jahren herrschen aber keine normalen Umstände mehr im Zinsmarkt. Die Renditen deutscher Staatsanleihen sind über alle Laufzeiten hinweg negativ. Das Geschäftsmodell der Banken erodiert.
Die fetten Zinsjahre sind Geschichte
"Sparsam sein ist nicht in erster Linie eine national-ökonomische Funktion, sondern eine menschliche Haltung", so formulierte es Theodor Heuss, der erste deutsche Bundespräsident noch Anfang der 50er Jahre. In den Wiederaufbaujahren wurde Sparen eine deutsche Haltung. Der Bausparvertrag, die Lebensversicherung und das Sparkonto wurden die Bausteine von fast jedem Vermögensportfolio eines bundesdeutschen Haushalts. Der Zins ermöglichte es Normalbürgern, ein kleines Vermögen aufzubauen. Der Zins machte Millionen Menschen wohlhabend und half mit, dass in der Bundesrepublik Deutschland eine breite Mittelschicht entstand. Denn es lohnte sich sein Geld ohne große Risiken zurückzulegen. Noch in den 90er Jahren schrieben die deutschen Lebensversicherungen ihren Kunden im Schnitt bis zu sieben Prozent pro Jahr gut, der Garantiezins lag bei vier Prozent. Mittlerweile sind viele Versicherungen froh, wenn sie den aktuellen Garantiezins von 0,9 Prozent darstellen können. Nach Kosten bleibt dann nicht mehr viel übrig. Die fetten Jahre sind scheinbar endgültig vorbei.
Sparen ist wichtiger denn je
Dabei ist sparen heute wichtiger denn je. Bis 2001 galt in Deutschland noch der Grundsatz, dass die gesetzliche Rente den Lebensstandard im Alter sichern soll. Gespart wurde, um ein zusätzliches Vermögen aufzubauen, das man vererben konnte. Oder um sich über die Rente hinaus etwas zu gönnen. Aber nicht, weil sonst Armut drohte. Doch die damalige Bundesregierung senkte das Rentenniveau dramatisch ab. Wer heute ins Berufsleben eintritt, wird nach Berechnungen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung im Schnitt nur noch 42 Prozent seines Bruttolohns als Rente ausbezahlt bekommen. Damals, am Anfang des neuen Jahrtausends, gab es auch noch Zinsen und die Politik hoffte, dass die Privatwirtschaft mit Ihrer Kapitalbildung die Herausforderungen des demographischen Wandels besser stemmen könnte als die Umlagenfinanzierte Deutsche Rentenversicherung. Opa Heinz hatte noch Glück, auf seine Rente hatte die Reform kaum Auswirkungen. Max dagegen wird selber aktiv werden müssen.
Es gibt viele Alternativen zum Sparbuch
Selbstverständlich haben Banken längst Alternativen zum Zinssparen geschaffen. Investmentfonds, ETFs, Aktien - noch nie war Geldanlage abseits des Sparbuches in Deutschland so einfach. Allerdings muss man sich selber darum kümmern. Sein Geld einfach nur auf das Sparbuch oder Tagesgeldkonto zu legen reicht nicht mehr aus. Denn nicht die Zeit des Sparens ist vorbei, sondern die Zeit der Bequemlichkeit. Tatsächlich gibt es einen fundamentalen Unterschied zwischen Bank und Börse. Wer sein Geld in Aktien investiert, ist kein Sparer mehr, er wird Investor. Opa Heinz hat sich jetzt darum gekümmert. Er hat einen Teil seines Tagesgeldkontos in ein breit diversifiziertes Portfolio investiert. Er hatte zwar etwas Herzklopfen, aber er fühlt sich jetzt befreiter. Denn eigentlich braucht er sein Geld in Zukunft nicht. Seine Rente ist sicher. Auch für seinen Enkel Max ist er aktiv geworden. Auch Max hat jetzt ein eigenes Depot. Darauf überweist der Opa jeden Monat 25 Euro. Auf den Weltspartag und die Geschenke seiner Bank wird Max in Zukunft verzichten. Aber dafür ist die Finanzierung seines Führerscheins in neun Jahren gesichert.
von Markus Richert, CFP® und Seniorberater Vermögensverwaltung bei der Portfolio Concept Vermögensmanagement GmbH in Köln
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