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Immobilien-Experte: "Strategisch richtig auf den Brexit reagieren"

31.07.16 08:00 Uhr

Immobilien-Experte: "Strategisch richtig auf den Brexit reagieren" | finanzen.net

Die Ungewissheit, die Großbritannien nach dem Brexit umgibt, wird auch auf den europäischen Immobilienmärkten zu spüren sein. Claus Thomas, Deutschlandchef von LaSalle Investment Management, erklärt die Folgen für Investoren.

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von Stefan Rullkötter, €uro Magazin

€uro: Welche Immobilienstandorte sind von der Brexit-Entscheidung am meisten betroffen?
Claus Thomas: Mittelfristig werden die Länder, die am meisten Handel mit Großbritannien treiben, eher betroffen sein. Zu diesen zählen unter anderem Irland und Deutschland. Das wird sich auf die Nachfrage nach Logistik-Immobilien in diesen Ländern auswirken. Hafenstädte wie Rotterdam, Antwerpen und Dublin könnten mittelfristig ebenfalls rückläufige Aktivitäten notieren, wenngleich die Stärke der Weltwirtschaft insgesamt mehr Einfluss darauf hat.

Werden diese Entwicklungen bei Immobilien-Investitionen Einfluss auf die Standort-Wahl haben?
Im Allgemeinen wird sich die Risikotoleranz nicht ändern. Ich gehe jedenfalls davon aus, dass sowohl Nutzer als auch Investoren ihre vor dem Brexit entwickelten Business-Pläne weiter vorantreiben werden. Auf risiko-angepasster Basis ist das Eingehen geringer Vermietungs-, Renovierungs- oder Entwicklungs-Risiken in den stärkeren Nutzermärkten weiterhin zu empfehlen.

Welche Städte profitierten, wenn London nicht mehr EU-Territorium sein sollte?
Auch wenn die Veränderung wohl nicht weitreichend sein dürfte, so sollte der Gegenwind, der Londons Finanzmärkten außerhalb der EU entgegenschlägt, Städte wie Frankfurt, Paris, Dublin und in geringerem Maße Amsterdam und Madrid beflügeln. Zur Verdeutlichung: Wenn beispielsweise 5.000 Arbeitsplätze von London City und/oder Canary Wharf in das Büroviertel La Défense in Paris umzögen, würde die Leerstandsquote in La Défense - konservativ geschätzt - um ca. 2%-Punkte sinken - ein ganz beträchtlicher Impuls für diesen 3,4 Mio m² umfassenden Büroflächenmarkt. Dies wird freilich nicht über Nacht geschehen.

Wie könnte der Immobilien-Standort London seinen Status wahren?
Ein zentrales Thema bei der Lösung der Zukunft von London sind die sogenannten "Passporting"-Rechte, die Möglichkeit also, Finanzprodukte- und Dienstleistungen innerhalb der EU frei anbieten zu dürfen. Die Klärung dieser Frage wird noch einige Zeit lang ein politisches und rechtliches Gerangel mit sich bringen.

Welche Tendenz sehen Sie für den Büroimmoblienmarkt?
Unabhängig von dem möglichen Aufwertungspotential infolge des Brexit für Städte wie Paris oder Frankfurt, erlebt die Nachfrage nach Büroflächen in ganz Europa in Städten mit positiven Entwicklungstendenzen in punkto Demografie, Technologie und Urbanisierung (DTU) eine starke Renaissance. Sinkende Leerstandsquoten haben ein deutliches Mietpreiswachstum in einer steigenden Anzahl von Büromärkten zur Folge.

Und wie steht es um Einzelhandels- und Logistikimmobilien?
Die verbesserte Konsumentenstimmung schlägt sich auch auf die Performance des Einzelhandels nieder und mündet letztlich auch in ein Mietpreiswachstum bei Einzelhandels- und Logistikimmobilien. Wir stellen jedoch fest, dass der stärker werdende Wettbewerb aus dem Multi-Channel-Einzelhandel eine zunehmende Begrenzung des realen Mietpreiswachstums auf Spitzenlagen in Europa zur Folge hat.

Welche Investment-Empfehlungen geben Sie auf dieser Fakten-Basis?
Wichtigster Punkt bei der Überprüfung unserer Investitions-Empfehlungen für Kontinentaleuropa ist die Feststellung, dass wichtige kontinentaleuropäische Märkte sich derzeit in der Erholungs- oder Expansions-Phase ihres Nutzerzyklus befinden. Deutschland und Schweden liegen an der Spitze, doch Spanien hat 2016 die größten Fortschritte gemacht. In Deutschland und Schweden sind die Kapitalmärkte ebenfalls sehr stark und in der übrigen Eurozone gewinnen sie an Stärke. In Frankreich sind wichtige Sozialreformen im Gange und könnten das gebremste Konjunkturwachstum wieder in Schwung bringen, sollten sie zum Tragen kommen.

Welche Rolle spielt dabei die Zins-Entwicklung?
In Anbetracht der aktuellen Auswirkungen der quantitativen Lockerung und der negativen Zinsen auf die Ertragsfähigkeit bei einer zunehmenden Anzahl festverzinslicher Produkte gehen wir davon aus, dass die Nachfrage einheimischer und internationaler Investoren nach kontinentaleuropäischen Immobilien in den nächsten Jahren ungebrochen sein wird. Der Wettbewerb um ertragsgenerierende Core-Immobilien wird voraussichtlich stark bleiben. Es würde mich auch nicht überraschen, wenn in den nächsten Jahren in immer mehr Ländern ein Sinken der Renditen für die besten Spitzen-Immobilien unter die 3%-Marke zu beobachten sein wird.

Was bedeutet das konkret?
Vor diesem Hintergrund geben wir folgende Investitions-Empfehlungen:

• Urbane und/ oder dominante Einkaufszentren bieten defensive Ertragsprofile. Diese risikofreie Strategie könnte ergänzt werden um Büroimmobilien in Central-Business-District-Randlagen in Paris und in den Top5-Märkten von Deutschland sowie in Mailand.

• Investoren mit einem langfristigen Investitions-Horizont und Appetit auf moderate Risiken werden urbane Logistikflächen ins Visier nehmen. Der Sektor verfügt über relativ hohe Renditen und die zugrundeliegenden Grundstückswerte werden voraussichtlich steigen, wenn die Bevölkerung dieser Städte wächst und das Stadtgefüge sich ausweitet. Eine Exit-Strategie könnte eine spätere Umwandlung in Wohnimmobilien oder andere Nutzungsformen sein.

• Eine Build-to-core or Refurbish-to-core-Strategie in beständige Lagen einiger ausgewählter Städte steht an der Spitze der Liste unserer Empfehlungen. DTU ("Demographics, Technology and Urbanization")-reiche Städte verfügen über ein gutes Bevölkerungswachstum, einen großen Kreis möglicher Mieter und die Fähigkeit, sowohl Geschäftsreisende als auch Touristen anzuziehen. Potenzial haben insbesondere die Wohnimmobilien-Märkte von Berlin und den Niederlanden sowie in Destination- und Convenience-Einkaufszentren in Kontinentaleuropa. Zu empfehlen ist außerdem die Vorfinanzierung von Büroimmobilien in den stärksten Lagen der DTU-reichen Städte, wodurch Planungs-Risiken gemindert werden

• Relativiert werden können mögliche Verwerfungs-Effekte des Brexit-Votums auf die kontinentaleuropäischen Märkte durch die Entwicklung einer Buy-the-Correction-Strategie. Mittelfristig wird der anhaltende Druck auf die Renditen von Staatsanleihen und Zinsen in Verbindung mit anderen Risikoquellen wie Überbauung, übermäßige Fremdfinanzierung oder gar weitere geopolitische Schocks zwangsläufig zu Marktturbulenzen führen. Diese werden einige kontinentaleuropäische Märkte schwächen und diese anfällig machen für mögliche Einbrüche oder Korrekturen. Für die Märkte, bei denen Investoren an eine langfristige Outperformance glauben, empfehlen wir, den richtigen Zeitpunkt für die Ausführung speziell zugeschnittener Strategien mit höherem Risiko abzuwarten, wie der Erwerb notleidender Immobilien oder die Rekapitalisierung von Kreditnehmern.

Kurzvita
Claus Thomas ist seit 2015 Deutschland-Chef bei der Immobilien-Beratung LaSalle Investment Management. Bereits seit 1991 ist er in leitenden Funktionen bei der JLL-Tochterfirma tätig

Bildquellen: 123RF, Lasalle Investment Deutschland