Pflege

Pflegeversicherung: Röslers nächste Milliardenreform

18.12.10 06:00 Uhr

Die Pflegeversicherung ist zum Pflegefall geworden. Die Kosten werden steigen, die Beiträge wohl auch.

von Claudia Marwede-Dengg, Euro am Sonntag

Jung, dynamisch, zupackend – Bun­desgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) gibt gern den Prob­lemlöser. Nach der heftig kritisierten Gesundheitsreform packt er jetzt die Pflegeversicherung an. Auch hier sind Reformen dringend notwendig, spätestens ab 2014 droht eine Finanzierungslücke.
Bereits im Koalitionsvertrag hatten sich Union und FDP darauf ge­einigt, die bisher umlagefinanzierte Pflegeversicherung durch zusätzliche Mittel stabiler zu machen. Dazu will Schwarz-Gelb eine neue kapitalgedeckte Säule einführen, die „verpflichtend, individualisiert und generationengerecht“ ausgestaltet werden soll. Was das zu bedeuten hat, ist noch völlig unklar.

Fest steht nur: Wie bei der Gesundheitsreform wird es vor allem für ­Arbeitnehmer teurer. Das versteckt sich hinter dem harmlosen Wörtchen „individualisiert“. Nach Berechnun­gen von Bernd Raffelhüschen und Tobias Hackmann vom Forschungszen­trum Generationenverträge an der Freiburger Universität würden im Schnitt 15 Euro pro Monat zusätzlich reichen, um die Finanzierung der Pflegeversicherung bis 2030 zu sichern – vorausgesetzt, jeder Arbeitnehmer und Ruheständler leistet seinen Obolus und die Beiträge bleiben stabil. Momentan liegt der Beitragssatz bei 1,95 Prozent des Arbeitseinkommens. Arbeitgeber und Arbeitnehmer tragen jeweils die Hälfte. Kinderlose zahlen 0,25 Prozent mehr. Rentner müssen den kompletten Betrag aus eigener Tasche finanzieren. Dabei wird es wohl nicht bleiben.


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Doch über Geld möchte der Gesundheitsminister erst reden, wenn alle anderen Problemfelder beackert wurden. Er tut dies aus politischem Kalkül. Immerhin stehen 2011 sieben Landtagswahlen ins Haus. Und weil die von der FDP versprochene Steuersenkung vorerst ausfällt, stoßen zusätzliche Beiträge für die ­Pflegeversicherung bei den Wählern auf wenig Verständnis. Zumindest dann, wenn es dafür nicht mehr Leistungen gibt.

Rösler hat daher in der vergangenen Woche einen „Pflegedialog“ mit Kassen, Pflegeverbänden und Experten gestartet, der sich mit allen Facetten des Themas beschäftigen wird. „Mit der Diskussion über notwendige und sinnvolle Änderungen bei der Pflege soll eine Grundlage für die weiteren Beratungen in der Koalition gelegt werden“, skizziert der Minister seine Strategie.
Im ersten Schritt ging es um den Bedarf an qualifizierten Pflegekräften und darum, wie dem heute schon herrschenden Pflegenotstand beizukommen sei. In 15 Jahren, so schätzt das Statistische Bundesamt, werden 152 000 Fachkräfte fehlen.

Um den Beruf attraktiver zu machen, müssten vor allem die derzeit sehr mageren Löhne angehoben werden. Höhere Kosten sind damit programmiert. Da die Menschen immer älter und folglich auch gebrechlicher werden, steigt die Zahl der Pflegebedürftigen von 2,2 Millionen im Jahr 2007 wohl auf 3,4 Millionen im Jahr 2030. Das entspricht einer Steigerung von über 50 Prozent.

Damit nicht genug, die Pflegebedürftigen werden zudem immer älter. Waren 2007 rund 54 Prozent der Menschen, die Pflege brauchten, 80 Jahre und älter, könnten es im Jahr 2030 rund 65 Prozent sein. Also stellen sich Rösler und seine Mitdiskutanten die Frage, was die Pflegeversicherung künftig leisten soll. Das bedeutet nicht weniger, als dass sie Pflege völlig neu definieren wollen: Derzeit gibt es drei Stufen. Gradmesser sind körperliche Gebrechen und die Frage, in welchem Umfang der Patient Hilfe braucht, um sein Leben wie gewohnt weiterzuführen. Geistige Behinderungen oder Demenz blieben bislang außen vor. Bereits unter der Großen Koalition hatten Experten fünf neue Stufen vorgeschlagen, um auch diese Erkrankungen zu berücksichtigen. Nun will Rösler den Patienten mehr Einfluss geben. Wer Pflege braucht, soll selbst darüber bestimmen, wie selbstständig er bleiben will. Das führt aber dazu, dass mehr abgesichert werden muss, weil die Pflegebedürftigkeit in Zukunft weiter gefasst wird als bisher.

„Wenn der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff geklärt ist, werden auch die künftigen Kosten klarer“, sagt Florian Lanz, Sprecher des Spitzenverbands der gesetzlichen Krankenversicherung. „Wie hoch die Kosten sein werden, hängt davon ab, welche Leistungen die Pflegeversicherung künftig bezahlen wird.“ Der Spitzenverband habe verschiedene Szenarien durchgerechnet. Abhängig von einer breiten oder einer engen Definition der Pflege kommt der Verband auf Zusatzkosten, die mehrere 100 Millionen Euro bis über zwei Milliarden Euro betragen könnten.

Wie die Finanzierung erfolgt – ob über höhere Beiträge oder über einen Zusatzbeitrag – und ob private Krankenversicherungen individuelle Pflegetarife anbieten dürfen, ist derzeit offen. Für den 16. Dezember hat Rösler erneut zum Gespräch geladen: Thema ist dann der Aufbau einer Kapitalrücklage. Im Lauf des Frühjahrs 2011, so schätzen Experten, liegen dann auch erste Eckpunkte der Pflegereform vor.

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