Pflegeheime: Notwendige Marktbeschränkung
Vom „Megatrend Demografie“ sollten eigentlich auch die Betreiber von Pflegeheimen profitieren, schließlich wird die Bevölkerung in Deutschland immer älter.
von Axel Hölzer, Gastautor von Euro am Sonntag
Anfang Juli prangte auf dem Titel der Münchner „Abendzeitung“ die Schlagzeile „Pflege ist Folter“. Damit zitierte das Blatt den bundesweit anerkannten Pflegeexperten Claus Fussek — allerdings nicht ganz vollständig. Denn Fusseks Aussage, die sich auf sein neues Buch „Es ist genug“ bezieht, in dem er erschreckende Zustände in manchen deutschen Pflegeheimen geißelt, hieß „Schlechte Pflege ist Folter“. Hier stimme ich Fussek ganz klar zu: Es darf nicht sein, dass alte Menschen in Pflege nicht ausreichend zu trinken bekommen, mit Psychopharmaka ruhiggestellt oder gefesselt werden, weil zu wenig und nicht genügend qualifiziertes Personal vorhanden ist.
Andersherum gedacht müsste es dann doch den Betreibern von Pflegeheimen, die ihren Kunden qualitativ hochwertige Pflege bei guter Personalausstattung bieten, möglich sein, damit auch Geld zu verdienen. Schließlich gibt es den „Megatrend Demografie“, mit dem auch kräftig bei Investoren geworben wird. Das Angebot von Fonds, die teilweise oder ganz in Aktien anlegen, die von der demografischen Entwicklung, insbesondere der Überalterung der Gesellschaft, profitieren sollen, nimmt beständig zu.
Tatsächlich sind die Prognosen erst einmal beeindruckend. So dürfte die Zahl der Pflegebedürftigen in Deutschland bis 2030 auf rund 3,22 Millionen steigen, sich bis zum Jahr 2050 sogar auf rund 4,7 Millionen verdoppeln. Ein rasant wachsender Markt also. Doch auch einer, der sich für Investoren rentiert?
Unregulierte Kapazitäten
führen zu einem Überangebot
Die Fakten sprechen nicht dafür: Die Auslastung der Pflegeheime in Deutschland ist stetig gesunken. Von 89,8 Prozent in der stationären Pflege im Jahr 2001 etwa auf 86,6 Prozent 2009. Ursache dafür war vor allem ein starker Aufbau von Neukapazitäten — besonders im privaten Segment, denn Sozialimmobilien galten als sicheres Investment. Dieses Pflegeplatzwachstum von gut 5,5 Prozent pro Jahr über eine Dekade hinweg ist nun ausgerechnet der Faktor, der den Betrieb der Heime an den Rand der Rentabilität oder ins Minus treibt. Denn aus den Investitionskosten errechnen sich die Belegungsparameter, die für eine auskömmliche Rendite sorgen. Derzeit ist dies in der Pflege ein Bereich zwischen 90 und 95 Prozent Bettenbelegung.
Die Bedingungen, mit denen die Pflegebranche — unabhängig, ob öffentlicher oder privater Träger — arbeiten muss, sind keineswegs optimal. So sind etwa die Verbraucherpreise von 1999 bis 2011 um rund 21 Prozent gestiegen. Die Pflegesätze, die Heimbetreiber mit den Pflegekassen und den Sozialhilfeträgern aushandeln müssen, sowie die Entgelte für Unterkunft und Verpflegung legten in dieser Zeit nur um 16 Prozent zu. Auch der Lohnanstieg fiel deutlich höher aus als das Plus bei den Verbraucherpreisen. Dabei macht das Personal, das einerseits per gesetzlich vorgegebenem Schlüssel, andererseits schon zum Erhalt einer Qualitätspflege vorhanden sein muss, mehr als 50 Prozent der Kosten für die Betreiber aus.
Bei diesen Prognosen ist schon die Annahme berücksichtigt, dass durch eine gesündere Lebensweise oder technische Hilfsmittel viele Menschen nicht oder viel später als heute pflegebedürftig werden. Andererseits gibt es keine Anzeichen, dass sich der Status quo der Pflegebedürfnisse signifikant ändern würde. Und die Demenzkrankheit — Haupttreiber stationärer Aufnahmen in Pflegeeinrichtungen — wird allen medizinischen Fortschritten zum Trotz auch in den nächsten Jahren nicht medikamentös zu behandeln sein.
Eine Lösung des Kostendilemmas wäre die Freigabe der Preise. Schon jetzt gibt es zahlreiche Pflegeanbieter, die für die Versorgung der Kunden weit mehr verlangen, als Pflegekassen und Sozialhilfeträger auf der anderen Seite erstatten. Die Differenz trägt der zu Pflegende selbst — oder, und das ist in der Praxis eher die Regel, die Angehörigen. Die Folge wäre allerdings, dass sich viele Betreiber auf die Sparte der Luxuspflege konzentrieren und die breite Masse der Bevölkerung um die verbleibenden Plätze zu bezahlbaren Konditionen ringen muss. Eine Entwicklung, die in Deutschland gesellschaftlich nicht gewollt und damit politisch auch nicht umsetzbar ist.
Das europäische Ausland
macht es erfolgreich vor
Die Alternative — und diese halte ich für ebenso sinnvoll wie verwirklichbar — ist die Lizenzierung von Pflegeheimplätzen. Die Bedarfsplanung durch die öffentliche Hand wird in anderen Segmenten des Gesundheitswesens längst praktiziert und akzeptiert, etwa beim Aus- und Neubau von Kliniken oder bei der Zulassung von Kassenärzten. Für eine Lizenzvergabe für neue Pflegeheime, ausgerichtet am regionalen Bedarf, sprechen auch die positiven Erfahrungen, die im europäischen Ausland gemacht wurden. In Frankreich, Spanien und Italien schaffen es private Betreiber dadurch, Qualität des Angebots mit Rentabilität zu verbinden.
Es mag verwundern, dass ausgerechnet ein überzeugter Marktwirtschaftler Zugangsbeschränkungen zu einer Branche fordert — die darüber hinaus auch sein Unternehmen treffen könnten. Doch längst hat die Politik mit ihren Vorgaben etwa in Sachen Baustandards und Personal den freien Markt bei Pflegeheimen ausgehebelt und damit eine Asymme-trie geschaffen, die mit unternehmerischem Risiko nicht mehr auszugleichen ist. Deshalb muss die Politik auch dafür sorgen, dass solche Einrichtungen wirtschaftlich betrieben werden können. Kurzfristig sehe ich das in Deutschland nur durch eine Lizenzierungspflicht für neue Heime. Das macht nicht nur die Branche für Investoren wieder interessant. Vor allem ermöglicht es eine humane, besser an den Bedürfnissen der Patienten ausgerichtete Pflege.
zur Person:
Axel Hölzer,
Vorsitzender der
Geschäftsführung der Cura Seniorenwohn- und
Pflegeheime
Der studierte Betriebswirt Hölzer arbeitete von 1988 bis 1995 in der Unternehmensberatung Arthur Andersen. 1995 trat Hölzer als Finanzdirektor in die Marseille-Kliniken AG ein, von 2002 bis 2010 war er dort Vorstandsvorsitzender. Seit 2012 ist er Geschäftsführer bei Cura.
Der Cura-Konzern betreibt bundesweit 50 Einrichtungen mit 7500 Betten für stationäre Pflege und Rehabilitation. Zur Cura-Gruppe mit rund 5100 Mitarbeitern gehört unter anderem auch die börsennotierte Maternus-Kliniken AG, die über 23 Häuser verfügt.