Großer Test: Freiwillige Zusatzleistungen der Krankenkassen
Für Extraleistungen verlangen viele Kassen Zusatzbeiträge. Sehr zum Ärger der Versicherten. Euro am Sonntag hat getestet: Welche Kasse ist bei den Zusatzleistungen die beste.
von Erhard Drengemann, Euro am Sonntag
Längst schon hat die Kopfpauschale in die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) Einzug gehalten. War es bislang nur die kleine Gemeinsame Betriebskrankenkasse Köln (GBK), die neben dem politisch festgeschriebenen Einheitsbeitragssatz von 14,9 Prozent einen Zusatz-obolus von acht Euro erhob, brach Anfang dieser Woche der drittgrößte GKV-Anbieter, die DAK, das Stillhaltekartell und zog mit weiteren neun Kassen nach.
Deren Ankündigungen, Zusatzbeiträge zu erheben, stehen zwar noch unter dem Vorbehalt der Genehmigung durch die Aufsichtsbehörde, mit einer Ablehnung ist aber kaum zu rechnen, denn die Kassen stecken in der Finanzklemme. Bei einem Defizit von fast acht Milliarden Euro bleibt selbst nach Berücksichtigung staatlicher Zuschüsse immer noch eine Deckungslücke von vier Milliarden für die Kassen.
Damit scheint der Damm gegen Beitragserhöhungen gebrochen. Experten rechnen damit, dass in den nächsten Wochen etwa 30 Kassen ihre Versicherten ebenfalls zusätzlich finanziell zur Ader lassen werden. Im nächsten Jahr ist mit einer flächendeckenden Kopfpauschale zu rechnen. Bernd Raffelhüschen, Finanzwissenschaftler und Gesundheitsökonom an der Uni Freiburg: "Das ist in der Logik des Systems begründet und war von Anfang an so gewollt. Auf lange Sicht werden alle Kassen Zusatzbeiträge erheben." Knapp 60 Kassen haben für dieses Jahr allerdings die Erhebung eines Zusatzbeitrags ausgeschlossen.
Guido Leber, Bereichsleiter Krankenversicherung bei der Ratingagentur Assekurata, rechnet nun mit deutlichen Reaktionen der Mitglieder: "Kassen, die einen Zusatzbeitrag erheben, riskieren, dass ihre Versicherten zu einem günstigeren Anbieter wechseln."
Kein Wunder, ist doch das Portemonnaie für die meisten noch immer ein wesentlicher Entscheidungsmaßstab. Denn Durchschnittsverdiener trifft die Pauschale wesentlich härter als Besser- oder Topverdiener, da der Zusatzbeitrag auf einen variablen Beitrag aufgesattelt wird. Beispiel: Wer 1000 Euro im Monat verdient, zahlt 79 Euro Krankenversicherungsbeitrag (Arbeitnehmeranteil).
Großer Krankenkassen-Test: Zusatzleistungen der gesetzlichen Krankenversicherungen (PDF)
Ein Zusatzbeitrag von acht Euro lässt den Beitrag um fast zehn Prozent auf 87 Euro steigen. Für einen Durchschnittsverdiener mit 2500 Euro führt derselbe Betrag zu einem Beitragsanstieg um 4,05 Prozent. Bei einem Monatsbrutto von 5000 Euro bremst zum einen die Beitragsbemessungsgrenze (aktuell: 3750 Euro monatlich) und zum anderen der Skaleneffekt die Erhöhung auf 2,7 Punkte. Die Reaktionsmöglichkeiten sind für alle Betroffenen schnell und einfach: Sobald die Kasse den Zusatzbeitrag ankündigt, steht dem Mitglied ein Sonderkündigungsrecht zu. Nach zwei Monaten kann er dann zu einem anderen Anbieter wechseln.
€uro am Sonntag hat daher sofort nach Bekanntwerden den Zusatzbeitrag mit in die aktuelle Bewertung einfließen lassen und die Berechnung des Preis-Leistungs-Verhältnisses entsprechend modifiziert. Natürlich gilt dabei der oben schon angesprochene Änderungsvorbehalt - die Werte entsprechen den Ankündigungen der Kassen bei Redaktionsschluss am Donnerstag.
Zusatzbeiträge auf der einen Seite, Bonuszahlungen auf der anderen. Immerhin vier Kassen, die HKK (60 Euro jährlich), die BKK ALP plus (70 Euro jährlich), die IKK Südwest (100 Euro jährlich) und die G?+?V BKK (72 Euro pro Jahr) zeigen, dass es auch anders geht. Sie schütten Bonuszahlungen an ihre Mitglieder aus. Auch das wurde beim Rating der Zusatzleistungen entsprechend berücksichtigt.
Trotz Kopfpauschale: Wichtiger als die - noch - moderaten Zu- oder Abschläge sind allemal die Leistungen der Kasse. Auf den Prüfstand kamen im dritten Teil der Serie über die Leistungen der GKV-Anbieter die Zusatzleistungen, welche die Kassen ihren Mitgliedern bieten.
Maßstab ist der gesetzlich vorgeschriebene Leistungskatalog. Der ist fix und muss von allen Anbietern angeboten werden. Nur wer dessen Grenzen übersteigt, kann im Test mit Zusatzleistung punkten und eine gute Note erzielen. Dazu gehören die Unterstützung von Angehörigen bei der häuslichen Pflege, Haushaltshilfen, Hospizleistungen, Vorsorgeuntersuchungen, Schutzimpfungen, besondere Leistungen am Kurort, RehaBeratung und Rooming-in.
Viele Differenzierungsmöglichkeiten gibt es im Bereich "weitere freiwillige Leistungen" (siehe Tabelle). Vergleichsweise gut sind hier die Krankenkassen, die entsprechende Angebote machen. Das waren im Test nur knapp 30 Prozent von 125 Probanden. Obwohl die Angaben freiwillig waren, nutzten diese Kassen die Gelegenheit, Punkte zu sammeln. Die Palette ist unterschiedlich: Von Kuren im EU-Ausland über Haut- und Mammografie-Screening, Reiseschutzimpfungen, Mama-Care und Baby-Care, Aktivkuren, Raucherentwöhnungskursen, Burn-out- und Sturzprävention reicht das Angebot.
In Anbetracht dieser Unterschiede warnt Guido Leber: "Bei der Wahl der Kasse sollte nicht nur der Beitrag im Fokus stehen. Die angebotenen Serviceleistungen und Unterstützung im Krankheitsfall sind für die Kunden im Zweifelsfall wichtiger." Dennoch rechnen die Experten von Assekurata mit einer Wechselwelle. Nach einer aktuellen Umfrage der Kölner Ratingagentur wollen 29,9 Prozent der befragten GKV-Mitglieder wechseln, wenn ihre Kasse einen Zusatzbeitrag erhebt. Dass es bei den acht Euro kaum bleiben wird, scheint ausgemacht. Bernd Raffelhüschen: "Der Zusatzbeitrag wird langfristig steigen. Und da man die Kassen mit Bedürftigkeitsprüfungen nicht überfrachten kann, wird man den pauschalen Betrag von acht Euro nach oben anpassen müssen."
Das ist schon jetzt denkbar: Die Obergrenze beträgt derzeit ein Prozent des beitragsrelevanten Einkommens. Aktuell möglich wären also bis zu 37,50 Euro monatlich. Ein Zusatzbeitrag in dieser Größenordnung ließe die Wechselbereitschaft der Kunden noch einmal steigen.
Der Assekurata-Erhebung zufolge wären dann 59,7 Prozent bereit zu wechseln. Christoph Sönnichsen, Chef von Assekurata: "Erhebliche Wanderungsbewegungen, die wiederum Kosten erzeugen und Verunsicherung bringen, sind nicht zu unterschätzen."
Immerhin: Gut ein Fünftel (20,3 Prozent) aller Befragten werden sich auch dann nicht verschrecken lassen und ihrer bisherigen Kasse treu bleiben. Auf dem Weg zur Kopfpauschale sind vom neuen Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler also noch viele Stolpersteine aus dem Weg zu räumen. Da haben es Versicherte leichter: Ihnen bleibt das Sonderkündigungsrecht. Das werden sicher viele nutzen. Schon allein, um zu besseren Zusatzleistungen zu kommen.
Weitere News
Bildquellen: Lisa S. / Shutterstock.com