Konkurs eines Finanzwerts

Insolvenzverfahren über die Accessio AG

09.10.10 06:00 Uhr

Das Insolvenzverfahren über die Accessio AG, vormals Driver & Bengsch, ist eröffnet. Fraglich ist, ob Anleger ihr gesamtes Kapital wiedersehen

von Michael H. Schulz, Euro am Sonntag

Margarita E.* hat bei ihrer Geldanlage lange Zeit alles richtig gemacht. Vielleicht, weil ihr nichts anderes übrig blieb. Seit ihrem 46. Lebensjahr ist die heute 68-Jährige erwerbsunfähig und bezieht nur eine kleine Rente. Sie ging an die Börse, setzte aber nie alles auf eine Karte, sondern streute das Geld breit in Aktienfonds. Lange vor der Lehman-Pleite im September 2008 verkaufte die Frührentnerin ihre Fondsanteile mit Gewinn. Sie ging auf Nummer sicher und parkte ihr Geld auf einem hoch verzinsten Tagesgeldkonto des Wertpapierhandelshauses Driver & Bengsch, das bei der seriösen DAB Bank geführt wurde.

„Das Tagesgeldkonto war nur ein Lockvogelangebot“, meint Margarita E. rückblickend. Denn es folgten telefonische Offerten, das Geld je zur Hälfte in Tagesgeld und Genussscheine von Driver & Bengsch, der Magnum AG, später der Salvator AG und Cargofresh AG zu investieren. Weil sich der Berater das Vertrauen von Margarita E. erschlich und sie sich in Sicherheit wog, investierte sie in das Kombiprodukt. Zumal er ihr versprach, sie zu informieren, wenn etwas nicht in Ordnung sei. Und sie könne die Genüsse ja täglich an der Börse verkaufen. Das klang plausibel. Pustekuchen: „Der Verkauf­ des Driver-&-Bengsch-Genussscheins mit einem Kurs von 100 bei einem ­Limit von 100 wurde bewusst torpediert, indem er nicht zum Verkauf ­gestellt wurde“, sagt die Hamburgerin. Bei späteren Verkaufsversuchen habe man das Limit einfach weitergeführt, obwohl der Kurs bei 37 notierte. Wollte man nicht auf das Eigen­kapital verzichten? Klar ist, auf diese­ Weise verlor die Frührentnerin fast alles, was für ihre Altersvorsorge­ gedacht war. Sie fühlt sich betrogen.

So wie Margarita E. geht es nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Accessio AG, einer Tochtergesellschaft von Driver & Bengsch, am 17. September vielen Anlegern. Sie müssen bis zum 27. Oktober ihre Forderungen beim Insolvenzgericht Itzehoe geltend machen (Az. 28 IN 143/10). Wer sich anwaltlich vertreten lässt wie Margarita E., muss dem „verlorenen Geld frisches hinterherwerfen“, weil Anwälte für die Anmeldung der Ansprüche drei Prozent der Schadensumme verlangen. Nicht wenige ­haben Accessio auf Schadenersatz verklagt. Sie hoffen, dass die aufgezeichneten telefonischen Beratungsgespräche, die das Wertpapierhandelshaus nach eigenen Angaben „stets freiwillig zur Aufklärung einzelner Verfahren vor Gericht vorlegte“, ihnen die Beweisführung vereinfacht. Doch selbst Margarita E. muss einräumen, dass Driver & Bengsch kein einziges Protokoll vorlegte, mit dem sich eine fehlerhafte Beratung beweisen ließe. Im Gegenteil. Margarita E. gilt laut Telefonmitschnitt als „erfahrene Anlegerin“.

Auch Rechtsanwalt Thorsten Krause aus der auf Kapitalanlagerecht spezialisierten Kanzlei Lachmair & Kollegen in München bezweifelt, ob sich mit den Mitschnitten ­Beratungsfehler beweisen lassen. „Hinweise auf Risiken, die aus der wirtschaftlichen Verbundenheit des Wertpapierhauses mit den Emitten­ten der Genussscheine resultieren, dürften in vielen Fällen nur verklausuliert erfolgt sein“, meint Krause.

Der Anwalt sieht eine Mithaftung der DAB Bank. Zum einen, weil ein leitender Angestellter der Bank zugleich Aufsichtsratsmitglied des Wertpapierhandelshauses war und somit Kenntnisse vom Geschäftsgebaren hatte. Andererseits, weil die DAB Bank und Driver & Bengsch „sehr eng zusammenwirkten“.

Neben dem Vertrag über Depotführung und Wertpapiergeschäfte gab es auch Vertriebsrahmenverträge vom 16. Oktober 2002, womit das Wertpapierhandelshaus die Vermittlung von Finanzprodukten der Bank – gegen die Gewährung von Provision – übernimmt. Dies sind Indizien, die dazu führen können, dass die Zusammenarbeit als institutionelles Zusammenwirken klassifiziert wird. „So wird widerleglich vermutet, dass die Bank Kenntnis von der arglistigen Täuschung des An­legers durch den Vermittler hatte, ­wo­raus sich eine eigenständige Auskunftspflicht gegenüber den Kunden ergibt“, erklärt Anwalt Krause. Weil die Bank diese Pflicht verletzt habe, sei sie schadenersatzpflichtig.

Diese erweiterte Haftung für die auf den ersten Blick ordnungsgemäß handelnde Bank leitet sich laut Krause aus einem Urteil des Bundesgerichtshofes (BGH) zu verbundenen Geschäften ab (Az. XI ZR 6/04). Dazu zählt der BGH ständige Geschäftsbeziehungen in Form von Vertriebsvereinbarungen, eines Rahmenvertrags oder Vertriebsabsprachen.

Jene Gerichte, die sich aufgrund einiger weniger Klagen gegen die DAB Bank bisher mit der Materie beschäftigt haben, halten das aber für aussichtslos. In zwei vor dem Landgericht München anhängigen Klagen hat das Landgericht im Vorverfahren schriftlich darauf hingewiesen, dass eine gesamtschuldnerische Haftung „der DAB Bank nicht nachvollziehbar“ sei, erklärt Jürgen Eikenbusch von der DAB Bank. Beim Landgericht Itzehoe zog ein Betroffener die Kla- ge gegen die Bank wegen Aussichtslosigkeit unter Verzicht auf ­erneute Geltendmachung zurück (Az. 7 O 320/09).

Nicht damit abfinden mag sich Rechtsanwalt Thorsten Krause. Er will die Ansprüche aus Fehlberatung gegen Accessio beziehungsweise deren Haftpflichtversicherung und die DAB Bank in einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) bündeln. Betroffene treten dann ihre Ansprüche an die GbR ab, die als alleiniger Kläger auftritt. Vorausgesetzt, Gerichte lehnen diese Art der „Sammelklage“ nicht aus formellen Gründen ab, hat das den Vorteil, dass die Betroffenen als Zeugen gehört werden können.

Dem stehen aber Nachteile gegenüber. Weil das Ausfallrisiko auf die Gesamtheit der Kläger verteilt ist, ist es möglich, dass Betroffene auch ihre Forderungen nicht zu 100 Prozent ausbezahlt bekommen. Zur riskanten Klage wird die Sache für jeden einzelnen Gesellschafter, weil sie für die Verbindlichkeiten der GbR persönlich mit ihrem Vermögen haften. Und im Fall eines Sieges der Gegenseite kann diese die Kosten vom Verlierer des Rechtsstreits, also der GbR fordern – schlimmstenfalls von einem einzigen Gesellschafter. Auch die schlechte Vermögenslage der Mit­gesellschafter stellt ein Risiko dar, da die übrigen getreu dem Motto „Einer für alle, alle für einen“ für mögliche Verbindlichkeiten haften.

Das Risiko will Krause dadurch begrenzen, dass vor der Erhebung der Sammelklage die maximal zu erwartenden Beträge der Mandanten eingesammelt und auf einem Treuhandkonto gehalten werden. Somit müsste die GbR mit genügend Ver­mögen ausgestattet sein, damit ein Durchgriff auf den einzelnen Gesellschafter nicht erforderlich ist beziehungsweise der Gesellschafter dann von diesem Treuhandkonto eine Ausgleichszahlung erhält – ohne langwierig die anderen Gesellschafter in Anspruch zu nehmen. Margarita E. wäre das aber nicht zu empfehlen.

* Name von der Redaktion geändert