Grundsteuer unter der Lupe

Immobilien: Da geht was gründlich schief

10.01.15 03:00 Uhr

Immobilien: Da geht was gründlich schief | finanzen.net

Die Grundsteuer kostet Eigentümer und Mieter jährlich Milliarden, dabei gibt es Zweifel, ob sie überhaupt verfassungsgemäß ist. Die Gründe, warum sie steigt oder fällt, sind bisweilen schwer zu verstehen.

von Markus Hinterberger, Euro am Sonntag

Andreas Schulz ist kein Mann, der sich und andere gern zum Narren hält. Doch das, was der Bürgermeister der nordhessischen Gemeinde Ebsdorfergrund getan hat, erinnert an einen Schildbürgerstreich. Einerseits hat er die Grundsteuer erhöht, andererseits schenkt er jedem der rund 8.900 Einwohner 15 Euro in Form eines Gutscheins. Das Geld können die Bürger dann in den örtlichen Geschäften einlösen. Der Grund für diese Maßnahme: der kommunale Finanzausgleich zwischen den hessischen Gemeinden.

Das Bundesland Hessen besteht, wie die meisten Flächenländer, aus großen und kleinen, armen und reichen Kommunen. Damit die reichen Gemeinden die ärmeren etwas unterstützen, gibt es den Finanzausgleich. Doch der sorgt unter anderem dafür, dass Gemeinden, die wie Ebsdorfergrund gut wirtschaften, bestraft werden, indem sie etwa ohne Not die Grundsteuer erhöhen müssen, um Geld aus dem Finanzausgleich zu bekommen und nicht draufzuzahlen. Die Bürger von Ebsdorfergrund können sich noch glücklich schätzen, sie bekommen wenigstens einen Teil der zu viel ­gezahlten Steuer wieder zurück.

Ein komplizierter Dreischritt
Die Grundsteuer, also das, was ­jeder, der hierzulande Wohneigentum oder Grund und Boden besitzt, zahlen muss, gibt es in verschiedenen Klassen. Für Besitzer von Wohn­immobilien und deren Mieter ist die Grundsteuer B interessant. Deshalb wird sie auch als "Volkssteuer" bezeichnet. Jahr für Jahr nehmen die Gemeinden rund zwölf Milliarden Euro durch sie ein. Sie wird als eine der wenigen Steuern von der jeweiligen Kommune, auf deren Gebiet die Fläche liegt, direkt erhoben. Und da Immobilien nicht zu bewegen sind, können sich die Steuerzahler der Abgabe auch nicht entziehen.

Doch damit nicht genug. Grundlage für die Berechnung der Grundsteuer ist der sogenannte Einheitswert. Der wird mit der Steuermesszahl multipliziert. Diese Zahl gibt an, wie das Grundstück bebaut ist. Für Einfamilienhäuser gilt der Faktor 2,6 Promille, für Zweifamilienhäuser der Faktor 3,1 und für Mehrparteienhäuser der Faktor 3,5 Promille. Das Ergebnis der Rechnung Einheitswert mal Steuermesszahl wird von der jeweiligen Kommune noch einmal mit dem prozentualen Hebe­satz multipliziert. Und dieser Faktor sorgt in Hessen und Teilen der Republik für Aufregung.

Der Hebesatz in Ebsdorfergrund liegt derzeit bei 270 Prozent. Eine ­Eigentumswohnung mit einem Einheitswert von 10.000 Euro in Ebsdorfergrund kostet also im Jahr 94,50 Euro Grundsteuer (10.000 Euro x 3,5 Promille x 270 Prozent). Das hessische Finanzministerium schlägt nun im Rahmen der Änderung des kommunalen Finanzausgleichs vor, den sogenannten Nivellierungshebesatz auf den landesweiten Durchschnitt von 365 Prozent zu erhöhen. Von diesem Hebesatz geht das Land bei der Berechnung der Zuweisungen im Finanzausgleich aus.

Die Folge: Gemeinden, deren Hebesätze unter den 365 Prozent liegen, verlieren Geld. Da die Kommune Ebsdorfergrund aber nicht reich ist, sondern nur sparsam wirtschaftet und laut Bürgermeister Schulz auf das Geld aus dem Ausgleich angewiesen ist, blieb der Verwaltung keine andere Wahl, als den Hebesatz und mit ihm die Steuer zu erhöhen.

Joachim Papendick, Vorsitzender des hessischen Bundes der Steuerzahler, hält diese noch nicht beschlossene neue Regelung im künftigen kommunalen Finanzausgleich seines Heimatbundeslandes für ­einen krassen Fehlanreiz. "Das wird bei der Grundsteuer zu einer weiteren Verschärfung der Steuererhöhungsspirale führen", sagt er. Aber für diesen Trend gibt es noch einen weiteren Treiber: Kommunen, die Miese machen, werden vom hessischen Innenministerium dazu angehalten, ihre Hebesätze zehn Prozent über dem landesweiten Durchschnitt der gleich großen Gemeinden festzulegen, andernfalls wird ihnen der Haushalt nicht genehmigt.

Angesichts dieser Regeln verwundert es nicht, dass in Hessen - immerhin einem der Geberländer im Länderfinanzausgleich - die Hebesätze für die Grundsteuer am stärksten steigen. €uro am Sonntag hat auf Basis einer Erhebung des Deutschen Industrie- und Handelskammer­tages (DIHK) die Landkreise herausgefunden, in denen die Grundsteuerhebesätze im vergangenen Jahr am stärksten gestiegen sind. Neben Hessen sind besonders Nordrhein-Westfalen, Teile Niedersachsens und Baden-Württembergs betroffen. Mit einem durchschnittlichen Hebesatz von 476 Prozent ist Nordrhein-Westfalen das in Sachen Grundsteuer teuerste Flächenland. Hier liegen mit Haltern am See und Selm die beiden Gemeinden, die mit jeweils 825 Prozent die höchsten Hebesätze der Republik haben. Die Hebesätze der drei Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen sind höher als die der Flächenländer. Besonders Berlin liegt mit 810 Prozent bundesweit auf Platz 3. Die Erhebung zeigt auch: Im Osten der Republik stieg die Grundsteuer 2014 kaum.

Warten auf Karlsruhe
Neben den Hebesätzen stört die Steuerexperten der Einheitswert. Er basiert im Westen des Landes auf Zahlen aus dem Jahr 1964, im Osten der Republik sogar auf Zahlen aus dem Jahr 1935. Hintergrund: Es ist enorm aufwendig, jedes Grundstück in Deutschland zu bewerten. Daher behilft sich der Fiskus mit 51 beziehungsweise 80 Jahre alten Zahlen, die im Laufe der Jahrzehnte fortgeschrieben wurden. Das mag plausibel klingen, aber gerade bei Neubauten kann es laut Bund der Steuerzahler zu enormen Verzerrungen kommen.

Kein Wunder, dass sich das Bundesverfassungsgericht mit der Grund­steuer beschäftigt. Ursprünglich wollten sich die Richter Ende 2014 äußern. Doch bislang gab es keine Nachrichten aus Karlsruhe. Und selbst wenn die obersten Richter die Grundsteuer verwerfen, bis die Verwaltungen ein neues Recht geschaffen oder das bestehende verfassungskonform gestaltet haben, werden Jahre vergehen. "Bund, Länder und Kommunen schieben die überfällige Reform der Grundsteuer seit 25 Jahren vor sich her", so Steuerzahlerpräsident Reiner Holznagel. Für Steuerzahler in den betroffenen Gemeinden heißt das abwarten und zahlen. Denn Bürgermeister wie ­Andreas Schulz werden eher die Ausnahme bleiben.

Promille und Prozente
Wie die Grundsteuer erhoben wird
In Deutschland gibt es zwei Arten der Grundsteuer. Die agrarische, sie wird auf Ackerflächen und Forste erhoben, und die bauliche, die auf ­bebaute Grundstücke erhoben wird. Grundlage, um die Grundsteuer zu berechnen, ist der Einheitswert. Er wurde für jedes Grundstück in der Vergangenheit festgelegt und bisweilen etwas angepasst. Für den Westen gelten Werte aus dem Jahr 1964, für den Osten aus dem Jahr 1935. Der Einheitswert wird mit der Steuermesszahl multipliziert. Diese gibt an, wie das Grundstück bebaut ist. Für Einfamilienhäuser gilt der Faktor 2,6 Promille, für Zweifamilienhäuser der Faktor 3,1 und für Mehrparteienhäuser der Faktor 3,5 Promille. Das Ergebnis der Rechnung Einheitswert mal Steuermesszahl wird von der jeweiligen Kommune noch einmal mit dem prozentualen Hebesatz multipliziert.

Merseburg:
Die Kleinstadt in Sachsen-Anhalt ist eine von bundesweit vier Städten, in denen der Grundsteuerhebesatz 2014 gesunken ist, und zwar um rund 15 Prozent.

Bad Nauheim:
In der Kurgemeinde nördlich von Frankfurt ist der Grundsteuer­hebesatz um 220 Prozentpunkte auf 560 Prozent gestiegen, ein Plus von zwei Dritteln.

Oberursel:
Die 45 000-Einwohner- Gemeinde im Taunus ist die Heimat vieler Banker, die im nahen Frankfurt arbeiten. 2014 wurde der Grundsteuerhebesatz um die Hälfte erhöht.

Gießen:
Hier müssen die Einwohner seit 2014 bei der Grundsteuer tiefer in die Tasche greifen. Der Hebesatz stieg um 220 Prozentpunkte. Gießen verzeichnet damit gemeinsam mit Bad Nauheim die höchste Steigerung.

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