Prokon: Die große Angst vor der Milliardenpleite
Weil Prokon langlebige Windkraftanlagen mit kurzfristig kündbaren Genussscheinen finanzierte, droht nun die Insolvenz. Was Anleger jetzt tun sollten.
von Michael H. Schulz, Euro am Sonntag
Hexenjagd, Schmierfinken, eine Presse, die für ihr Handeln keine Verantwortung übernimmt." Wütende Prokon-Anleger haben die Presse zum Feindbild erkoren. Aus ihrer Sicht haben Medien eine Kampagne gegen das Unternehmen für Projekte und Konzepte rund um erneuerbare Energien gestartet und mit ihren Verlustwarnungen die drohende Pleite herbeigeführt.
Alle Welt scheint sich gegen Prokon verschworen zu haben. "Sie sind hereingefallen. Aber nicht auf Prokon, Sie sind im Herdentrieb der gezielten Panikmache gezielter Kreise erlegen. Sie haben aus Angst vor dem Tod Selbstmord begangen", wettert ein Prokon-Jünger gegen Abtrünnige und beweist seine Nibelungentreue.
Scharenweise hatten Anleger in den vergangenen Tagen Prokon-Chef Carsten Rodbertus die Gefolgschaft verweigert und ihr Genussrechtskapital aus Angst vor Verlusten gekündigt. Weil Rodbertus einen Aderlass fürchtet, nahm er seine Anleger in Geiselhaft. "Wir müssen deutlich machen, dass uns die vielen überstürzten Kündigungen in eine sehr ernste Bedrängnis bringen", schrieb Rodbertus an Anleger.
Konkret drohte Rodbertus mit einer Planinsolvenz, falls Anleger fünf Prozent des Genussrechtskapitals oder umgerechnet 70 Millionen Euro abziehen sollten. Zudem setzte der Weltverbesserer Anlegern die Pistole auf die Brust und stellte ein Ultimatum, indem er von ihnen bis kommenden Montag eine Kündigungsverzichtserklärung erpressen will.
Als sei das nicht genug, warnte er vorsorglich: "Im Rahmen einer geplanten Insolvenz können und werden wir Rückzahlungen, die wegen angeblicher Falschberatung oder anderer an den Haaren herbeigezogener Argumente von Anwälten erzwungen werden, anfechten."
Grund genug für den Verbraucherzentrale Bundesverband, Prokon mit einer einstweiligen Verfügung beim Landgericht Itzehoe zu untersagen, mit der Angst der Anleger zu spielen und diese unzulässig unter Druck zu setzen.
Ohnehin haben die Einschüchterungsversuche geringen Erfolg. Bis vergangenen Donnerstag haben Anleger zuvor ausgesprochene Kündigungen ihrer Genussrechte in Höhe von rund zehn Millionen Euro zurückgenommen. Dem steht gekündigtes Genussrechtskapital von 230 Millionen Euro gegenüber. Das sind fast 15 Prozent des gesamten Genussrechtskapitals von 1,4 Milliarden.
Den Aderlass und eine mögliche Pleite hat Rodbertus selbst zu verantworten. Erst im Frühjahr 2013 führte er eine kurze Kündigungsfrist von vier Wochen ein. Was als Investitionsanreiz gedacht war, geht nun nach hinten los. Betriebswirtschaftlich ist es absurd, langlebige Windanlagen mit einer Nutzungs- und Abschreibungsdauer von 16 Jahren mit kurzfristig kündbaren Genussrechten zu finanzieren. Vor allem aber das Anlegern im Jahr 2008 unterbreitete Angebot, ihr langfristig in Geschlossenen Fondsanteilen gebundenes Kapital in Genussrechte umzuwandeln, entpuppt sich als irrsinnig.
Es gibt durchaus Parallelen zu den Offenen Immobilienfonds. Deren Liquidität reichte 2011 nicht aus, um die Auszahlungswünsche der Anleger zu bedienen, woraufhin sie in eine Schieflage gerieten. Erst seit zum Jahresbeginn 2013 eine gesetzliche Auszahlungsbeschränkung gilt, pendelten die Offenen Immobilienfonds wieder ins Gleichgewicht.
Davon ist Prokon weit entfernt. Das Unternehmen stellt alle bisherigen Anlageskandale in den Schatten. Mit 75.300 Genussrechtsinhabern, die 1,4 Milliarden Euro investierten, ist Prokon der Platzhirsch unter den Emittenten von Genussscheinen. Für Anleger steht viel auf dem Spiel. Zum Vergleich: Bei der Pleite von Phönix Kapitaldienst 2005 betrug der Gesamtschaden von rund 30.000 Anlegern fast 600 Millionen Euro.
Prokon-Investoren sind Freiwild
Zwar eignet sich das nachgewiesene Schneeballsystem von Phönix nur bedingt zum Vergleich, doch auch bei dem Windkraftanlagenfinanzierer geht die Staatsanwaltschaft Lübeck zwei Strafanzeigen wegen Betrugs nach. Der große Unterschied ist allerdings, dass der Gesetzgeber Phönix-Anleger nicht allein ließ - sie können auf die Entschädigungseinrichtung EDW hoffen. Prokon-Anleger hingegen sind mangels staatlicher Aufsicht ganz auf sich gestellt. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) prüft den Prospekt bislang nur formell, nicht aber das Geschäftsmodell.
Und das warf schon lange Fragen auf. Woher das Geld für die Zinsen kam, ließ sich nicht genau sagen. Wer Prokon als Genussrechtsinhaber Geld gab, wurde zum nachrangigen Gläubiger und erhielt im Gegenzug zum Beispiel Rückzahlungsansprüche, nicht jedoch Eigentums- und Mitspracherechte (siehe Glossar). "Wir sollten zumindest für die Zukunft sicherstellen, dass Privatanleger nicht weiter in diese Risikoprodukte reingelockt werden können", sagt Dorothea Mohn, Teamleiterin beim Verbraucherzentrale Bundesverband.
Als der Gesetzgeber zum 22. Juli 2013 mit dem Kapitalanlagegesetzbuch den grauen Kapitalmarkt einer Aufsicht unterwarf, hatte er nicht vorrangig Genussscheine auf dem Radar. Ins Visier rückten die geschlossenen Fonds über die sich Anleger etwa an Immobilien oder Windparks beteiligen.
Doch der Gesetzgeber wird nachbessern. "Das Bundesministerium der Finanzen nimmt den Fall Prokon zum Anlass, die Bafin um einen risikoorientierten Ansatz zu bitten, damit diese künftige Regulierung so früh wie möglich greifen kann", erklärte das Ministerium auf Anfrage.
Für Prokon-Anleger kommt es nun darauf an, besonnen zu bleiben. Es ist nicht notwendig, panikartig Genussrechte zu kündigen und sich das Kapital samt Zinsen auszahlen zu lassen. Im Insolvenzfall kann das einen Bumerangeffekt haben. Denn ein Insolvenzverwalter könnte die Kündigung wegen Verschiebung von Vermögensteilen vor der Pleite zulasten anderer Gläubiger anfechten. Anleger müssten das Kapital dann in die Insolvenzmasse zurückzahlen.
Anleger rüsten sich für die Pleite
Doch einfach stillzuhalten ist auch keine Lösung. Entscheidend ist, dass sich Anleger "für den Insolvenzfall rüsten und ihre Forderungsposition verbessern", rät Anwalt Marc Gericke von der Kanzlei Göddecke aus Siegburg. Den Hebel setzt er bei der Beratung zu den Genussrechtsbedingungen an, einer Art allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB).
Da für diese das allgemeine Transparenzgebot gilt, erwartet Gericke, "dass wir vor Gericht mit Erfolg begründen können, dass Prokon den Anlegern intransparente Vertragsklauseln aufgetischt hat". Eine Klage gegen die Vertragsklauseln erscheint demnach erfolgversprechend.
Zudem sei es "rechtlich nicht haltbar, dass Zinszahlungen dann ausgesetzt werden, wenn Anleger nicht widersprechen", sagt Rechtsanwältin Anja Appelt von KAP Rechtsanwälte aus München.
Ein weiterer Ansatzpunkt, sich schadlos zu halten, sind Schadenersatzansprüche, die sich aus dem Jonglieren mit Zahlen ergeben.
Prokon braucht frisches Geld oder muss die stillen Reserven flüssig machen. Doch wie hoch die Vermögenswerte der 314 Windkraftanlagen, des Biomasseheizkraftwerks und des Sägewerks sind, lässt sich nicht genau beziffern. Denn einen von Wirtschaftsprüfern bestätigten Jahresabschluss für 2012 gibt es noch nicht. Schätzungen gehen von 450 bis 500 Millionen Euro aus. Doch das reicht nicht, um alle Ansprüche zu bedienen.
Glossar:
Genussscheine
Wer ein Genussrecht kauft, besitzt kein Eigentum, sondern überlässt dem Emittenten Kapital. Die Zwitterpapiere besitzen Eigenschaften einer Anleihe und einer Aktie. Wie bei einer Anleihe haben Gläubiger einen Anspruch auf eine Vergütung. Die Ausschüttung ist allerdings ähnlich wie eine Dividende von Aktiengesellschaften an den Unternehmensgewinn gekoppelt. Geld an Anleger fließt nur, wenn die Kasse gefüllt ist. Da es keine gesetzliche Vorgabe für die Ausgestaltung gibt, kann der Emittent die Rechte der Genussscheininhaber in den Bedingungen frei regeln. Auch haften die Gläubiger, ohne ein Mitspracherecht zu haben.
Investor-Info
Genussscheine & Co
Fünf Angebote im Check
Ob erneuerbare Energien oder Filmfinanzierung, viele Mittelständler emittieren Genussscheine oder besorgen sich Geld über Nachrangdarlehen von Anlegern. Doch nicht alle Angebote und Geschäftsmodelle sind für Anleger attraktiv.
EEV
Bessere Rahmenbedingungen
Die Erneuerbare Energien Versorgung (EEV) hat ein ähnliches Geschäftsmodell wie Prokon Regenerative Energien, wirtschaftet aber nachhaltiger. Um langlebige Projekte rund um erneuerbare Energien wie Windkraftanlagen unabhängig von Banken zu finanzieren, setzt EEV auf Namensgenussrechte. Eine kurzfristige Kündigung der Papiere ist im Gegensatz zu Prokon ausgeschlossen: "Eine schriftliche Kündigung durch den Genussrechtsinhaber ist mit einer Frist von zwölf Monaten erstmals zum Ablauf des vollen fünften Beteiligungsjahres möglich." Innerhalb von sechs Monaten nach der Kündigung zahlt EEV das Kapital zum Buchwert aus. Die EEV bietet eine Grundverzinsung von sechs Prozent plus eine Beteiligung am Jahresüberschuss in Höhe von drei Prozent an. Sechs Prozent Zinsen zahlte EEV bereits aus. Das Geld dafür stammt aus dem Umsatz von etwa 14 Millionen Euro des Biomassekraftwerks
"Papenburg". Überschüsse fließen in eine Rücklage.
Screenvest
Anleger im falschen Film
Damit Produzenten Filme drehen können, bedienen sie sich aus vielen Töpfen. In der Vergangenheit stellten Anleger über Geschlossene Medienfonds Eigenkapital zur Verfügung. Dank der Abschreibung der Herstellungskosten konnten sie sich gegenüber dem Finanzamt arm rechnen. Wirtschaftlich gerechnet hat sich das nicht. Screenvest mit Sitz in Grünwald bei München will das mit Genussscheinen ändern - obwohl der Emittent das Verlustrisiko voll auf Genussscheininhaber abwälzt. Dafür müssen Anleger allerdings mindestens 200.000 Euro mitbringen. Gemeinsam mit Bavaria Film Partners will man
60 Millionen Euro von Anlegern einsammeln. Der in Aussicht gestellte Zins in Höhe von 6,2 Prozent ist eine zu geringe Prämie für das Risiko. Das Genussrechtskapital können Anleger nicht kündigen.
German Pellets
Gut Holz für Anleger?
Auch gegen den europaweit größten Holzpelletshersteller lag der Staatsanwaltschaft Schwerin 2013 eine Anzeige wegen Betrugsverdacht vor, die allerdings von einem neidischen Wettbewerber stammte. Genussscheine verzinsen sich mit acht Prozent. Das Volumen ist mit 50 Millionen Euro ziemlich hoch. Frühestens nach fünf Jahren können Anleger mit einer Frist von sechs Monaten zum Jahresende
kündigen. Gutes Bonitätsrating von Creditreform.