Keine Kreditklemme mehr: Wieder Tritt gefasst
Im Euroraum löst sich die Kreditklemme und die Geldschöpfung funktioniert wieder. Gut für Aktien und Anleihen vom Alten Kontinent.
von Max Holzer, Gastautor von Euro am Sonntag
Es war eine Nachricht, auf die viele Marktbeobachter lange und sehnsüchtig gewartet haben: Der Kreditkanal in der Eurozone beginnt sich zu öffnen. Wie die Europäische Zentralbank (EZB) in ihrem vierteljährlichen Lending Survey mitteilte, haben die Geldhäuser im Euroraum ihre Standards für die Vergabe von Darlehen gelockert. Doch nicht nur das, auch die Nachfrage der Unternehmen nach Krediten steigt wieder. Mit anderen Worten: Die lähmende Kreditklemme löst sich sukzessive auf. Auch der Anstieg der Geldmenge M1, also des umlaufenden Bargelds, und der täglich fälligen Sichteinlagen zeigt, dass der Geldschöpfungsprozess im Euroraum wieder zu funktionieren scheint.
Warum ist das eine so gute Nachricht, wo doch Börsianer gerade vor allem von chinesischen Wachstumssorgen umgetrieben werden? Weil ein zentrales Problem der Wirtschaft im Euroraum - die schwache Darlehensvergabe der Banken - an Bedeutung verliert. Lange Zeit konnten die Banken, vor allem in der Peripherie, wegen der Folgen der Finanzkrise nicht genug Darlehen ausreichen. Zudem war die Wirtschaft so geschwächt, dass die Nachfrage einbrach.
Die Situation hat sich grundlegend geändert. Die Banken haben die Krisenfolgen weitgehend bereinigt. Ihre Kapitaldecken reichen wieder aus, um die Wirtschaft mit Krediten zu versorgen. Und die Unternehmen benötigen das Geld zum Ausbau von Produktionsstätten und zur Investition in aussichtsreiche Projekte und neue Technologien. Der sich öffnende Kreditkanal ist ein Zeichen, dass eines der umstrittensten geldpolitischen Experimente in der Geschichte des Euroraums offenbar erfolgreich ist: die expansive Geldpolitik.
Die Lage in der Peripherie der
Eurozone entspannt sich
Was bedeutet das für die Kapitalmärkte? Vor allem in den Peripheriestaaten entspannt sich die Lage. Deren Kapitalmärkte waren lange Zeit besonders gebeutelt. Nun sehen wir erhebliche volkswirtschaftliche Verbesserungen etwa in Italien oder in Spanien, die beide wieder auf Wachstumskurs sind. Das ist interessant für Anleiheinvestoren, die in Südeuropa Papiere mit einem Renditevorteil gegenüber spärlich verzinsten Bundesanleihen kaufen können.
Vor allem Aktieninvestoren bietet die Gemengelage aber Chancen. Frühindikatoren wie die Einkaufsmanagerindizes belegen eine Erholung der Wirtschaft - in Kernländern und Peripheriestaaten. Das hat mehrere Gründe. Nicht nur die verbesserte Kreditvergabe spielt den Unternehmen in die Karten. Unterstützend kommen der günstige Ölpreis, der die Kostenbasis vor allem bei energieintensiven Industrieunternehmen niedrig hält, und die weiter expansive Geldpolitik der EZB hinzu. Letztere sorgt dafür, dass der Euro zum Dollar schwach bleibt und Güter der Eurozone Wettbewerbsvorteile genießen. Zudem hebt die Stimmung, dass mit der vorläufigen Einigung in der Griechenland-Krise ein Belastungsfaktor gewichen ist.
Die Gewinne der Unternehmen
ziehen wieder an
Das sollte zur Folge haben, dass die Gewinne vieler Unternehmen anziehen und die Investoren auf die Zukunft der Wirtschaft vertrauen. Zuletzt haben viele Analysten ihre Gewinnschätzungen angehoben. Doch nach wie vor liegen die Gewinne um fast 30 Prozent unter dem vor der Finanzkrise erreichten Hoch. Es ist zu erwarten, dass sich diese Schere in den nächsten Quartalen schrittweise schließt. Mit steigenden Unternehmensgewinnen eröffnet sich dem Aktienmarkt Spielraum nach oben. Erste Anzeichen dafür wurden im zweiten Quartal sichtbar - etwa 67 Prozent der Unternehmen konnten bei Umsatz und Gewinn die Erwartungen übertreffen. Insgesamt sollte sich das Gewinnwachstum 2015 auf etwa zehn Prozent summieren. Es sprechen damit gute Gründe für europäische Aktien - den jüngsten China-Turbulenzen zum Trotz.
Unterm Strich bedeutet das für Anleger, dass derzeit im Euroraum kaum ein Weg an der Aktie vorbeiführt und auch in den Anleihebereich mittlerweile wieder etwas mehr Bewegung gekommen ist. In einem ausreichend diversifizierten Portfolio sollten aktuell Wertpapiere vom Alten Kontinent nicht fehlen.
Kurzvita
Max Holzer,
Leiter der
Asset Allocation bei Union Investment
Der studierte Wirtschaftsinformatiker leitet seit 2004 das Portfoliomanagement der Multi-Asset-, Garantie-, Rohstoff- und Wandelanleihefonds von Union Investment. Zudem legt sein Bereich die Strategie für die Asset Allocation der Union-Investment-Gruppe fest.
Union Investment ist die Fondsgesellschaft der Volks- und Raiffeisenbanken und mit aktuell über 250 Milliarden Euro verwaltetem Vermögen einer der größten deutschen Vermögensverwalter.
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