Euro Magazin-Interview

Steuer-Gewerkschafts-Chef: "Steueroasen gibt es trotzdem noch"

18.10.17 12:30 Uhr

Steuer-Gewerkschafts-Chef: "Steueroasen gibt es trotzdem noch" | finanzen.net

2018 startet der internationale Informationsaustausch zu Bankkundendaten. Thomas Eigenthaler, Chef der Deutschen Steuer-Gewerkschaft, über mögliche Startschwierigkeiten und Schwarzgeld.

von Stefan Rullkötter, €uro Magazin

€uro: Wird der Informationsaustausch ab 2018 reibungslos laufen?
Thomas Eigenthaler: Es handelt sich um ein Riesenprojekt, mit dem Neuland betreten wird. Erfahrungsgemäß läuft so etwas nie völlig reibungslos ab. Entscheidend werden die Menge und Qualität der übermittelten Daten sein.

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Könnte es technische Probleme geben?
Ich erwarte bei rund 100 Ländern insgesamt eine Lieferung von mindestens 30 Millionen Datensätzen. Diese müssen beim Bundeszentralamt für Steuern ein "Clearing" durchlaufen. Es wird dabei primär um die Entsorgung von "Kleinmüll" und die exakte Zuordnung zu den deutschen Steuerzahlern gehen. Ich gehe derzeit davon aus, dass in den Finanzämtern der deutschen Bundesländer steuerlich verwertbare Daten erst Anfang 2019 eintreffen werden.

Wo könnte es denn konkret haken?
Von höchster Bedeutung wird es sein, die eintreffenden Daten korrekt dem richtigen Steuerzahler zuzuordnen. Wir haben in Deutschland ein Steuergeheimnis auf Basis der Abgabeordnung, der hier die höchste Sorgfaltsstufe vorgibt. Es muss unbedingt vermieden werden, dass im Steuerkonto "Schmitt" die Daten von "Schmidt" auftauchen. Auch ist die Gefahr groß, durch zwischenzeitlichen Wohnsitzwechsel oder Namenswechsel, zum Beispiel wegen einer Heirat, jemanden nicht zu finden.

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Schon im laufenden Jahr sollen 55 Staaten als "early adopters" mit dem Informationsaustausch beginnen. Bringt dieser Frühstart etwas?
Die early adopters werden die Funktion eines Probelaufs haben. Ich gehe derzeit davon aus, dass in den Finanzämtern der teilnehmenden Länder steuerlich verwertbare Daten erst ab Jahresanfang 2019 eintreffen werden.

Wird sich an den Arbeitsabläufen in den Finanzämtern, speziell in den Steuerfahndungs-Abteilungen, durch den Infoaustausch etwas ändern?
Die Daten gehen zunächst ganz normal an die Veranlagungsstellen der Finanzämter, also an die "steuerliche Hausarztpraxis". Die Steuerfahndung dürfte erst ins Spiel kommen, wenn es bei der Datenauswertung deutliche Anhaltspunkte gibt, dass in der Vergangenheit eines Steuerpflichtigen etwas nicht stimmte. Auch die Größenordnung spielt eine Rolle. Der Fiskus schießt nicht gleich mit Kanonen auf Spatzen.

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Wie hat sich der Schwarzgeldbestand der Deutschen zuletzt entwickelt?
Vor fünf Jahren hatte ich diese Zahl auf rund 400 Milliarden Euro geschätzt. Seither gab es aber gegenläufige Entwicklungen: mindestens 160 000 Selbstanzeigen, von denen ja immer noch welche eingehen. Zudem hat schon die Androhung des Informationsaustauschs hierzulande zu Legalisierungen geführt - und der sogenannte Hoeneß-Effekt zu mehr Steuerehrlichkeit.

Gibt es also keine Fluchtburgen mehr für unversteuertes Vermögen?
Steueroasen gibt es trotzdem noch: die Karibik mit ihren Briefkästen, der asiatische Raum, der nicht so genau hinschaut. "Abschleichwege" gibt es also genug. Auch kann Schwarzgeld in "schwarze Sachwerte" überführt werden, wo es ja keinen Datenaustausch gibt. Auch gibt es ja die Vernetzung mit Geldwäsche, wo man schwarzes Geld durch eine Überführung in eine weiße Zone durch den Kauf von Unternehmen und Immobilien überführen kann.

Wie viel Schwarzgeld haben in Deutschland Steuerpflichtige derzeit noch im Ausland weltweit gebunkert?
Geschätzt 200 bis 250 Milliarden Euro dürften schon noch "im Feuer" stehen. Schwarzgeldanlagen sind übrigens auf deutschem Boden derzeit leichter als im Ausland: Wir haben ja in Deutschland die - anonyme - Abgeltungsteuer, wo das Finanzamt ja die Kontenstände zunächst mal nicht erfährt. Auch gibt es keinen "nationalen Datenaustausch". Die Abgeltungssteuer ist ein Schutzschild gegenüber dem Finanzamt.

Können Sie diese Entwicklung als Vorsitzender der Deutschen Steuer-Gewerkschaft akzeptieren?
Wir fordern die Einführung des Datenaustauschs direkt zum Finanzamt. Seit 1. Oktober werden ja die ausländischen Banken schlechter behandelt als die deutschen Banken. Mich wundert es, dass dies bislang nicht thematisiert wurde. Es handelt sich schließlich um eine Wettbewerbsverzerrung.

Mehr als 20 kleinere eidgenössische Geldhäuser haben ihre Geschäftsaufgabe mit der Einführung des Info-Austauschs begründet. Wird der Finanzplatz Schweiz weiter schrumpfen?
Davon gehe ich nicht aus. Die Sache ist schon seit Längerem bekannt. Die Banken hatten seither Gelegenheit, sich auf die neue Situation einzustellen, sich von undurchsichtigen Kunden zu lösen und sich neue Geschäftsfelder zu erkunden. Die Schweiz kann immer noch mit dem Thema "Sicherheit vor Kapitalverlust" punkten. Ich vermute aber, dass Gelder aus politisch unsicheren Ländern weiter am Finanzplatz Schweiz angelegt werden.

Das von Deutschen vererbte und verschenkte Vermögen steigt von Jahr zu Jahr. Sind auch Erben unversteuerter Auslandsvermögen vom Vollstart des Info-Austauschs direkt betroffen?
Wie schon bei den vielen Selbstanzeigen in der Vergangenheit kann es durchaus möglich sein, dass der Informationsaustausch zu einem Erbenproblem wird. Es dürfte zahlreiche ungeklärte Konten geben, wo der Inhaber bereits verstorben ist und Erben über das deutsche Finanzamt erst von einem ausländischen Konto erfahren.

Welche Folgen hat das für Betroffene?
Diese Erben müssen dann - natürlich unter Beachtung von Verjährungsvorschriften - für die Steuerschulden des Erblassers aufkommen. Bestraft werden können Erben aber nur, wenn man ihnen nachweisen kann, dass sie als Erben von der Steuerhinterziehung des Erblassers wussten und sich nicht beim Finanzamt gemeldet haben. In Betracht kommt dann Einkommensteuer plus Solidaritätszuschlag, aber auch eventuell Erbschaftsteuer. Und ein Problem sind auch die Zinsen auf nachzuzahlende Steuerbeträge: Der Zinssatz beträgt hier happige sechs Prozent pro Jahr.

Der Initiator des internationalen Informationsaustauschs war der scheidende Finanzminister Wolfgang Schäuble. Wird sein Nachfolger dieses Projekt mit derselben Verve vorantreiben?
Ein neuer Finanzminister muss diese Politik weiter verfolgen, weil es sich schließlich um ein Ergebnis völkerrechtlicher Vereinbarungen handelt. Deutschland kann es sich nicht erlauben, aus diesem Prozess wieder auszusteigen. Das wäre auch politisch nicht durchsetzbar. International wären wir sonst blamiert bis auf die Knochen.

Wie lautet Ihr Fazit zum Status quo beim Informationsaustausch?
Die rechtlichen Regelungen bestehen, jetzt müssen sie umgesetzt werden. Das ist aber nicht mehr Sache des Bundesfinanzministers, sondern des Apparats.

Kurzvita

Thomas Eigenthaler ist seit 2011 Vorsitzender der Deutschen Steuergewerkschaft, eine parteipolitisch unabhängige Interessenvertretung für das Personal der Finanzverwaltung der Bundesrepublik Deutschland mit rund 79000 Mitgliedern.

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Bildquellen: Marco Urban/Deutsche Steuer-Gewerkschaft DSTG, Maria Skaldina / Shutterstock.com