Legal Techs: So können Sie klagen, ohne zu leiden
Die Digitalisierung stellt den klassischen Anwalt infrage. Neue Rechtsdienstleister bieten Verfahren ohne Kostenrisiko. Die Vor- und Nachteile.
von Stefan Rullkötter, €uro am Sonntag
Jedes Mal, wenn ein Flieger ausfällt oder Verspätung hat, können betroffene Passagiere auf Gerichtsurteile zu ihren Gunsten hoffen. Ende Mai hat etwa der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden, dass auch bei Verspätungen von Anschlussflügen außerhalb der EU Anspruch auf Entschädigung besteht. Zwischenlandungen in Staaten außerhalb Europas änderten nichts daran, wenn sie Teil
einer einzigen Buchung waren und der Abflugort sich innerhalb der EU befindet, urteilte der EuGH (Az. C-537/17).
So schön verbraucherfreundliche Gerichtsentscheidungen für Passagiere sind, viele Betroffene setzten ihre Entschädigungsansprüche bisher nicht durch, weil sie diese gar nicht kennen oder den Zeitaufwand nebst den vorzuschießenden Gerichtskosten scheuen.
Auf dieser Bequemlichkeit und der Angst vor rechtlichen Unwägbarkeiten baut das Geschäftsmodell sogenannter Legal-Tech-Unternehmen auf: Sie reichen Beschwerdeschreiben und Klagen im Namen der von ihnen beauftragten Kunden ein, die im Gegenzug kein Kostenrisiko tragen. Nur wenn die Verfahren zu deren Gunsten ausgehen, was in der Regel mehrere Monate dauert, kassieren die Anbieter eine Provision - in den meisten Fällen sind das 25 Prozent der später durchgesetzten Entschädigungssumme.
Schneller Überblick zu Ansprüchen
Mit ein paar Klicks im Internet können Kunden ihre Ansprüche kostenlos prüfen lassen. Danach werden Klageschrift oder Beschwerdeschreiben digital erstellt und automatisch an den jeweiligen Sachverhalt angepasst.
Damit sich das für Legal Techs rechnet, konzentrierten sie sich in der Vergangenheit auf Streitfälle, die in der Rechtsprechung überschaubar und gefestigt sind. Hat ein Flugzeug beispiels- weise innerhalb der EU ohne "höhere Gewalt" bis zu drei Stunden Verspätung, stehen jedem Passagier bei Flugstrecken bis zu 1.500 Kilometer nach der EU-Fluggastverordnung 250 Euro Entschädigung zu. Ab drei Stunden Flugverspätung stehen ihnen sogar bis zu 600 Euro als Ersatzleistung zu.
Pionier bei der Durchsetzung der EU-weit einheitlichen Fluggastrechte war hierzulande Flightright. Der Anbieter führt eine Datenbank, die nahezu alle Flugverspätungen und -ausfälle erfasst - unabhängig davon, ob Tücken der Technik, schlechtes Flugwetter oder verspätete Catering-Lieferanten die Ursache für einen Airline-Lapsus sind.
Die automatisierten Abläufe ermöglichen es Legal Techs, mit wenig Personal eine Vielzahl von Fällen zu bearbeiten. Flightright führt im Namen von Passagieren aktuell europaweit rund 10 000 Verfahren wegen Flugverspätungen. Derzeit bearbeiten etwa 100 juristische Mitarbeiter Aufträge, die ohne Richter zum Abschluss gebracht werden.
Airlines lenken öfter freiwillig ein
Die Masse von Verfahren scheint die Fluggesellschaften zunehmend zu beeindrucken. "Früher musste fast jeder Fall vor Gericht", sagt Flightright-Geschäftsführer Sebastian Legler. "Die Airines wollten die Legal Techs offensichtlich mit dieser Taktik zermürben." Mittlerweile zahlten die Fluggesellschaften die Entschädigung oft ohne eingereichte Klagen aus. So sparen sie sich die Zivilprozesskosten, die in Deutschland die unterlegene Streitpartei vollumfänglich zu tragen hat.
Geht ein Fall vor Gericht, kooperieren die Rechtsportale mit Anwälten.
Im Bereich Fluggastrechte wurde inzwischen eine Vielzahl weiterer Legal Techs gegründet, die sich bei den geforderten Provisionen gegenseitig unterbieten. Firmen wie EUclaim, Fairplane, Refund.me oder Airhelp stehen bei der Rechtewahrnehmung für betroffene Fluggäste mit dem Marktführer in hartem Wettbewerb. Ende März verkündete Flightright die Übernahme des bisherigen Konkurrenten Flugrecht.de.
Mitunter wird den Verbrauchern auch eine Sofortentschädigung geboten: Ist die Rechtslage eindeutig, bekommen die Nutzer sofort ihr Geld. Für das "schnelle Geld" müssen Passagiere jedoch 40 bis 45 Prozent der Entschädigungssumme als Provision akzeptieren. Flightright will auch deshalb ab Sommer 2018 sein Geschäftsmodell erweitern und über das Feld der Fluggastrechte hinaus tätig werden.
Dabei ist zu beachten: Damit Legal Techs im Auftrag ihrer Kunden überhaupt rechtliche Schritte einleiten dürfen, muss ein zugelassener Rechtsanwalt die Firma betreiben. Alternativ können Portale mit einer Genehmigung nach dem Rechtsdienstleistungsgesetz betrieben werden. Marktführer Flightright agiert beispielsweise rein gewerberechtlich als Inkasso-Unternehmen.
Neue Rolle für Rechtsanwälte
Fest steht, dass die neuen Anbieter den etablierten Markt für Rechtsdienstleistungen gehörig durcheinanderwirbeln. "Legal Techs werden 80 Prozent der Anwaltsarbeit überflüssig machen - alles, was standardisierbar ist", meint etwa Jan-Eike Andresen, Inhaber des Dienstleisters MyRight, der sich auf
Ansprüche rund um "Dieselgate" konzentriert. Viele Dienstleistungen, die sich Rechtsanwälte derzeit noch teuer bezahlen lassen, werde es künftig deutlich billiger geben - oder gar umsonst.
"Bislang hat Legal Tech das Anwaltsgeschäft vor allem ergänzt", meint
dagegen Flightright-Gründer Philipp Kadelbach. "Wir haben Verbrauchern so die Möglichkeit gegeben, auch bei kleinteiligen Verfahren zu ihrem guten Recht zu kommen." Legal Techs werden nach seiner Prognose auch in anderen Fällen eine Rolle spielen - und in neuen Rechtsfeldern eine vollwertige Alternative zum klassischen Anwalt werden. "Der Marktanteil wird aber stark vom jeweiligen Rechtsgebiet abhängig sein".
Künftig könnten die neuen Rechtsdienste für Klienten auch Kündigungsschutzklagen oder einvernehmliche Scheidungen abwickeln. Voraussetzung ist jedoch, dass man die auftretenden Rechtsfragen mittels Software auch in Algorithmen abbilden kann.
Rechtsanwälte "aus Fleisch und Blut" werden sich in Zukunft auf Fälle, die von der Norm abweichen, und auf komplexe Sachverhalte konzentrieren müssen. Auch für individuelle Prozessführungsstrategien bleiben sie unentbehrlich. Für Mandanten muss diese Entwicklung kein Nachteil sein: Künftig dürfte es für viele Verbraucher einfacher und günstiger werden, berechtigte Ansprüche aller Art ohne allzu großen Zeitaufwand und ohne ein hohes Prozesskostenrisiko ganz bequem durchzusetzen.
Digitale Helfer für
fast alle Streitfälle:
Bahn-Buddy.de
Bei Zugverspätungen können Kunden bereits während der Fahrt Onlinetickets senden. Das Portal prüft, ob Entschädigungsansprüche bestehen. Im Erfolgsfall kostet das 1,99 Euro. Die Bahn überweist Entschädigungen direkt.
Flightright.DE
Der Marktführer unter den Fluggastrecht-
Portalen war vor acht Jahren Pionier für
Legal-Tech-Dienstleistungen in Deutschland und will ab Sommer 2018 sein Geschäftsmodell auf andere Rechtsgebiete ausweiten.
FragRobin.de
Das Portal verspricht Nutzern "persönliche
Sofort-Antworten für mehr als 100 Rechtsgebiete". Schwerpunkte sind Arbeits- ,Familien- und Verkehrsrecht. Eine mögliche Abfindungshöhe bei Kündigungen wird kostenlos ermittelt.
Geblitzt.de
Der Dienstleister ist auf Vergehen im Straßenverkehr spezialisiert. Betroffene können Bußgeldbescheide und Anhörungsbogen online einreichen. Der Anbieter entscheidet nach Erfolgsaussicht über eine Prozessfinanzierung.
MyRight.de
Der Legal-Tech-Anbieter konzentriert sich
auf Entschädigungsforderungen im VW-Abgasskandal und Bußgeldverfahren. "Innerhalb von zwei Minuten" sollen Ansprüche der Portalnutzer unverbindlich geprüft werden.
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