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Achtung Etikettenschwindel! Das Wirrwar mit den Ökosiegeln

10.02.18 01:00 Uhr

Achtung Etikettenschwindel! Das Wirrwar mit den Ökosiegeln | finanzen.net

Wer nachhaltig einkaufen will, hat es angesichts vieler Siegel und Ausnahmen schwer. Ein Wegweiser für den Alltag.

von Maren Lohrer, Euro am Sonntag

Bio? Logisch! Fairtrade? Gern! Werden Konsumenten befragt, so finden viele nachhaltige Waren großartig. Dass dennoch diese Produkte selten im Einkaufskorb landen, haben Marktforscher der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) ermittelt. Zwar sei den Menschen klar, dass ihr Lebensstil der Umwelt und den Produzenten große Probleme bereitet, so der Sozialpsychologe Harald Welzer. Zugleich würden sie auf diesen nicht verzichten wollen. Ist Nachhaltigkeit also nur ein Lippenbekenntnis?



Unser Konsumverhalten hat Auswirkungen auf das Leben anderer Menschen und auf die Natur. Als Verbraucher haben wir es in der Hand, wie gerecht es auf der Welt zugeht - so lautet zumindest die grüne Theorie. Aber ist das tatsächlich so? Und wie kommt der Verbraucher zu einer Entscheidung?

Warum greifen laut GfK-Haushalts­panel selbst nachhaltig sehr bewusste Haushalte nur relativ selten zu Bio- oder Fairtrade-Qualität? Neben der mangelnden Verfügbarkeit wirkt der höhere Preis oft als Kaufbremse. Zudem ist es für Verbraucher schwer, wirklich nachhaltig zu handeln. Grund: "Verbraucher können firmeneigene Informationen zur nachhaltigen Geschäftspolitik nur schwer von wenig glaubwürdigen Werbeaussagen unterscheiden", sagt Edda Müller, Vorsitzende von Transparency International Deutschland.


Die Flut von Siegeln und Labeln lässt sich nur schwer überblicken, hinzu kommen schlichtweg Fälle von Etikettenschwindel. Beispiel Weidemilch: Klingt nachhaltig, nach glücklichen ­Kühen auf saftigen Wiesen. Doch: "Der Begriff 'Weidemilch' ist lebensmittelrechtlich nicht geregelt", sagt Stephanie Wetzel, Projektkoordinatorin Lebensmittelklarheit beim Verbraucherzen­trale Bundesverband (VZBV). "Weidemilch wird zurzeit mit Preisaufschlägen von 30 Prozent und mehr erfolgreich vermarktet", so Achim Spiller von der Georg-August-Universität Göttingen.

So gibt es in Deutschland Molkereien, die ihrer "Weidemilch" keine strengen Kriterien zugrunde legen und allein auf den relativ hohen Anteil an Grünlandbetrieben in ihrem Einzugsgebiet verweisen. Besondere Wettbewerbsvorteile genießen Molkereien, die ihre Standardmilch ohne Umstellung der Produktion unter dem Begriff vermarkten. Hier besteht also großes Täuschungs­potenzial.


So kämpfen der VZBV und weitere Verbraucherorganisationen wie Foodwatch dafür, dass Kunden klarer informiert werden. Was die Organisationen fordern, sollte eigentlich selbstverständ­lich sein: größere Schrift bei den Inhaltsstoffen, verständliche Nährwertangaben und keine potenziell irreführenden Produktbezeichnungen.

Erlaubt ist,
was nicht verboten ist

An Beispielen für Etikettenschwindel mangelt es nicht. Neben besagter "Weidemilch" von Kühen, die Weiden höchstens aus dem Stallfenster sehen können, gibt es auch Instant-Nudelsuppe "Thai Chef Ente" ohne Ente. Oder Ziegenkäse, der zu 85 Prozent aus Kuhmilch besteht. Oder Maracujasaftschorle, die nur ein Prozent Maracuja enthält.

Warum können sich Hersteller solche irreführenden Etiketten erlauben? Ganz einfach: Weil es nicht verboten ist. Viele Hersteller halten sich an Leitlinien, die irgendwann einmal festgelegt wurden. So enthält das Lebensmittelbuch Regeln dafür, was Lebensmittel enthalten dürfen. Es ist eine Sammlung von Leitsätzen, in denen über 2.000 Lebensmittel und deren Beschaffenheit beschrieben werden. Sie sind nicht rechtsverbindlich. Verbrauchern bleibt also nur, die kleingedruckten Zutatenlisten auf der Rückseite zu lesen. Dort muss stehen, was im Produkt steckt.

Viele Unternehmen sind an einem nachhaltigen Image ihrer Produkte interessiert. Ein ökologisch hergestelltes oder fair gehandeltes Produkt rechtfertigt einen höheren Preis, das gute Gewissen wird mitverkauft. Angenehmer Nebeneffekt: Wenn glaubhaft gemacht wird, dass gewisse Standards freiwillig von der Wirtschaft eingehalten werden, dann ist die Politik womöglich großzügiger mit strengen Regulierungen.

Bio, ohne Gentechnik, glutenfrei, ­regional oder Fairtrade: Siegel sollen Konsumenten die Kaufentscheidung ­erleichtern, im besten Fall für Transparenz sorgen. Dies gelingt beispielsweise bei Lebensmitteln, die mit dem Zusatz "Bio" oder "Öko" versehen werden. Denn sie müssen die EU-Öko-Verordnung einhalten und werden streng kontrolliert. Das europaweite EU-Bio-Logo erleichtert es also, "echte" Bioprodukte sofort zu erkennen, denn das Zeichen muss auf jedem vorverpackten ökologisch erzeugten Lebensmittel stehen.

Doch daneben existieren ähnliche Formulierungen, die auf Verpackungen von konventionellen Produkten prangen. "Naturnah", "aus kontrolliertem Anbau", "alternativ" oder "integrierter Pflanzenanbau" - mit diesen Begriffen soll auch der Eindruck von Bioware vermittelt werden.

Meist liegt es beim Verbraucher, sich auf die langwierige Suche zu begeben, welche Kriterien für die Vergabe eines Zeichens erfüllt sein müssen und wie die Einhaltung dieser Kriterien überprüft wird. Doch das ist zu aufwendig.

"Viele Siegel und Zeichen auf Lebensmitteln sind wenig aussagekräftig", sagt Sophie Herr, Teamleiterin Lebensmittel beim VZBV, und fordert daher "Klasse statt Masse". "Analog zum Bio-Siegel sollte es nur einige wenige, dafür verlässliche, einheitliche und gesetzlich verankerte Siegel zu den wichtigsten Einkaufskriterien geben, beispielsweise zu Nachhaltigkeitsaspekten und Tierschutz", sagt Lebensmittelexpertin Herr. So ließe sich mehr Orientierung für die Verbraucher schaffen, die sich dann wirklich für Nachhaltigkeit entscheiden könnten.

Alles Logo, oder was?!

Label und Lobby: Bio, Öko, Fair Trade, natürlich oder alternativ - eine Unzahl an Siegeln und Bezeichnungen buhlt um den bewussten Konsumenten. Doch wer weiß schon, was sie bedeuten? Eine Auswahl bekannter und vertrauenswürdiger Siegel.

Der blaue Engel prangt seit 1978 vor allem auf umweltschonenden Papierprodukten und Haushaltszubehör. Getestet wird, wie ein Produkt im Vergleich zu anderen abschneidet.
www.blauer-­engel.de

Das europäische Umweltzeichen (kurz Euroblume) vergibt die EU-Kommission seit 1992 für Alltagswaren, ausgenommen sind Lebensmittel und Medikamente.
www.eu- ecolabel.de

Das Bio-Siegel wurde bereits 2010 vom EU-Bio-Siegel abgelöst. Da es aber sehr bekannt ist, verwenden es viele Hersteller für Lebensmittel parallel weiter.
www.oekoland bau.de/bio-siegel

Das EU-Bio-Logo (Euro-Blatt) ist Pflicht für vorverpackte Lebensmittel, die "bio", "öko" oder "aus kontrolliert biologischem Anbau" genannt werden.
www.ec.europa.eu/agriculture/organic

Demeter bedeutet Ökolandbau nach strengeren Kriterien als die EU-Standards. Das Label berücksichtigt auch Kreislaufwirtschaft oder faire Handelspartnerschaften.
www.demeter.de

Gepa setzt seit 1975 auf fairen Handel mit der Dritten Welt. Das Logo ist vor allem auf Kaffee zu sehen, kennzeichnet aber auch andere Produkte. Fair heißt nicht automatisch "bio".
www.gepa.de

TourCert steht für umwelt- und sozialverträgliche Reisen. Ein unabhängiger und ehrenamtlicher Rat berücksichtigt die Nachhaltigkeitsleistung des gesamten Unternehmens.
www.tourcert.org

Fairtrade ist ein eingetragenes Markenzeichen und kennzeichnet fair gehandelte Produkte, nicht alle sind "bio". Insgesamt gibt es 20 Produkt­kategorien.
www.fairtrade-­deutschland.de








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