Euro am Sonntag

Schuldeninflation: Eiszeit in der Weltwirtschaft

13.03.16 03:00 Uhr

Schuldeninflation: Eiszeit in der Weltwirtschaft | finanzen.net

Der streitbare Ökonom und Erfolgsautor Daniel Stelter ist ein scharfer Kritiker der Schuldenpolitik der Notenbanken. Welche Gefahren der Wirtschaft weltweit drohen.

von Daniel Stelter, Gastautor von Euro am Sonntag

Dem Weltfinanzsystem drohte 2008 der Zusammenbruch. Nur durch beherztes Eingreifen haben Notenbanken und Staaten den Kollaps und damit eine neue Weltwirtschaftskrise verhindert. Seither wird die Krise mit immer billigerem Geld der Notenbanken unterdrückt, ohne die eigentliche Ursache, die Überschuldung der westlichen Welt, zu bekämpfen. Damit setzen wir die Politik fort, die uns erst in die Krise geführt hat.



Vordergründig mag das als Erfolg erscheinen. In Wahrheit ist die Wirkung fatal. Die Bereinigung der Wirtschaft durch Rezessionen bleibt aus. Fehlinvestitionen und nicht wettbewerbsfähige Strukturen und Unternehmen bleiben am Markt. Überkapazitäten und die Notwendigkeit, Liquidität zu beschaffen, wirken deflationär. Die Schulden haben ein historisch einmaliges und immer untragbareres Niveau erreicht. In der Folge ist das Wachstum gering. Wir erleben eine Depression, die sich langsam, aber kontinuierlich verschärft.

Der ehemalige US-Finanzminister Larry Summers nennt es säkulare Sta­gnation, das griffigere Bild ist die "Eiszeit". Der Ruf nach noch mehr billigem Geld, Negativzinsen, damit einhergehenden Bargeldverboten und direkter Finanzierung von Staaten durch die ­Notenbanken unterstreicht, dass wir inmitten einer Zeitenwende stehen. Niedrige Zinsen heute erfordern noch niedrigere Zinsen morgen, um das Schuldengebäude vor dem Einsturz zu bewahren.

Die meisten Kredite dienten
keinem produktiven Zweck

Unternehmen und Privatleute machen bereitwillig von dem billigen Geld Gebrauch - jedoch nicht um zu investieren. Bis zu 90 Prozent der neu vergebenen Kredite dienten keinem produktiven Zweck. Stattdessen wurde konsumiert und spekuliert. Mit immer mehr "Leverage" haben wir uns gegenseitig vorhandene Assets wie Aktien, Anleihen, Immobilien und Kunst zu immer höheren Preisen verkauft. Hier liegt die eigentliche Ursache für gestiegene Vermögen und Ungleichheit.


Die Schuldenlast abzubauen, ohne die Wirtschaft in die Depression zu stürzen, ist ungleich schwerer als vor 80 Jahren, weil die Verschuldung höher liegt, mehr Regionen der Welt umfasst und die ­ fundamentale Entwicklung deutlich schlechter ist. Schrumpfende Erwerbsbevölkerungen und schwache Produkti­vitätsfortschritte senken das Potenzial­wachstum. Zudem ist der Weg des "Deleveraging" schmerzhaft sowie ­politisch und sozial schwer vermittelbar. Politik und Notenbanken versuchen einen dritten, vermeintlich schmerzfreien Weg zu finden: die heimliche Entwertung der Schulden durch Inflation. Wenn erforderlich, sollen die Notenbanken das Geld vom Helikopter abwerfen, um Inflation zu erzielen.

Stellt sich die Frage, ob Politik, Schuldner und Gesellschaften die Eiszeit so lange durchhalten, bis es gelingt eine "gesunde" Inflation zu erreichen, die Schulden und Forderungen vernichtet. Je länger die Eiszeit andauert, desto größer wird die Versuchung, durch einseitige Maßnahmen die eigene Situation zu verbessern. Währungskriege und Protektionismus sind bereits seit 2008 zunehmend im Gange. Erst haben die USA die eigene Währung deutlich geschwächt, dann die Japaner, dann die Europäer, nun scheint China dem Druck auf Dauer nicht widerstehen zu können.


Die Alternativen zur Inflation sind wenig erquicklich. Schuldenschnitte, Pleiten und Vermögensabgaben werden dann unumgänglich. Die neuen Regelungen zur Gläubigerbeteiligung bei Bankensanierungen geben einen Vorgeschmack, in welche Richtung es gehen könnte. Allein für Banken der Eurozone wird der Kapitalbedarf auf eine Billion Euro geschätzt. Kommt es zu erheb­lichen Forderungsausfällen, geht dies nicht spurlos an den Vermögenden vorbei. Denn ebenso wie die Schulden der Welt gestiegen sind, sind auch die Vermögen gewachsen. Sinken Erstere, so schrumpfen auch Letztere.

Aber auch die Inflation ist nicht frei von Gefahren. Jeder kennt das Bild von der Ketchup-Sauerei, die entsteht, wenn man die Flasche lang genug schüttelt. Alle Hyperinflationen haben sich innerhalb von wenigen Monaten abgespielt. Fehlt das Vertrauen in Geld, fällt dessen Wert rasch auf seinen intrinsischen Wert: null. Diese dramatische Beschreibung macht klar, weshalb ich in meinem neuen Buch den unauflösbaren Zusammenhang zwischen Überschuldung und Stagnation so stark hervorhebe. Doch die Politik spielt weiter auf Zeit und hofft auf ein Wunder. Deshalb sollten wir uns auf die Eiszeit und deren Folgen einstellen.

Bill Gross, der legendäre Bondkönig, verglich die Lage an den Kapitalmärkten kürzlich mit einer langen Bergwanderung. Nach 30 Jahren Anstieg, immer wieder unterbrochen durch kleinere Rückschläge, sei man nun am Gipfel angelangt. Damit ist das mit einem Absturz verbundene Risiko deutlich gewachsen. Dauert es in einem normalen Kapitalmarktumfeld sechs Jahre, um einen Verlust von 30 Prozent wieder aufzuholen, so dauert es in einem Umfeld mit drei Prozent jährlichem Ertrag zwölf Jahre.

Als Anleger müssen wir daraus unsere eigenen Schlüsse ziehen. Vor dem Hintergrund der beschriebenen Szenarien wird die aktive Auswahl von Aktien oder Anleihen eine größere Bedeutung erlangen. Es gibt keine Patentrezepte, auch nicht die in Mode gekommenen Indexfonds. Sie sind zwar kostengünstig, folgen aber nur einer mehr oder weniger smarten Gewichtung eines Index.

Fallen die Preise, erweisen
sich die Schulden als tödlich

Im beschriebenen Umfeld kann das Ziel nur sein, im globalen Vergleichsmaßstab und kaufkraftbereinigt sein Vermögen zu erhalten. Der Return of Capital sollte vor dem Return on Capital stehen. Und der Zusatz "global" ist wichtig, weil es nichts nützt, in Euro reich zu sein, wenn für diese Euro im Rest der Welt nichts gekauft werden kann.

Dieses Ziel erreichen wir Anleger nur, wenn wir uns auf verschiedene Szenarien einstellen: Deflation, Inflation, Schuldenschnitte, Zahlungsausfälle, Vermögensabgaben und Kombinationen davon. Besonders schwer wird es sein, den Wetterumschwung von Deflation auf Inflation - so er denn eintritt - zu bewältigen. Keinesfalls darf man auf nur ein Szenario setzen, zum Beispiel mit Blick auf die "sichere" Inflation mit vielen Schulden Immobilien kaufen. Fallen die Preise, erweisen sich Schulden als tödlich. Gewinnt die Deflation die Oberhand, kollabieren die Vermögenswerte auf breiter Front.

Die Antwort liegt nicht in exotischen Anlageklassen wie Kunst, Wein und ­Oldtimern. Sie liegt auch nicht in der Streuobstwiese um die Ecke. Sie liegt, so banal es klingt, in einem disziplinierten Ansatz der internationalen Diversifikation, der zu niedrigsten Kosten umgesetzt wird. Wie in der Eiszeit kommt es nun vor allem darauf an, nicht zu ­erfrieren.

Kurzvita

Daniel Stelter, Gründer des
Thinktanks Beyond the Obvious

Von 1990 bis 2013 war Stelter Unternehmensberater bei der Boston Consulting Group (BCG). Von 2003 bis 2011 verantwortete er weltweit das Geschäft der BCG-Praxisgruppe Corporate Development (Strategie und Cor­porate Finance). Seit 2007 berät Stelter inter­nationale Unternehmen und ist zudem Autor sehr erfolgreicher ­Bücher zu volkswirtschaftlichen Themen.

Bildquellen: Beyond the Obvious, MarcelClemens / Shutterstock.com