Immobiliensektor: Neues Kredit-Gesetz muss her!
Der Staat greift zu stark in das Verhältnis von Banken zu Kunden ein. Deutlich wird das an der derzeitigen Regulierungswut rund um die Immobilien-Finanzierung.
von Jürgen Gros, Gastautor von Euro am Sonntag
Joseph Schumpeters Weitsicht ist oft gerühmt worden. In diesen Chor möchte ich - wenn auch aus unerfreulichem Anlass - einstimmen. Denn der Ökonom hat schon in seinem 1942 veröffentlichten Opus "Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie" vorhergesagt, dass die Gesellschaft ein immer größeres Regelungsbedürfnis entwickeln wird. Am Ende, prophezeite er, stehe ein demokratisch begründeter Sozialismus, der in Planwirtschaft mündet. Das klingt nach Klassenkampf, passt aber in gewisser Hinsicht auch auf Deutschland im Jahr 2016.
Es geht um das "Aufsichtsrechtergänzungsgesetz", das noch in dieser Legislaturperiode beschlossen werden soll. In einem ersten Entwurf hat das Bundesfinanzministerium Regeln definiert, die jedem, der den Erwerb einer Immobilie mit einem Kredit finanzieren will, einen Strich durch die Rechnung machen könnten. Denn sie zielen darauf ab, die Darlehensvergabe mithilfe eines staatlich vorgegebenen Kennzahlensystems zu steuern - und zu deckeln.
Der Gesetzentwurf verlangt etwa, dass das Verhältnis der Kredithöhe zum Wert der Sicherheit eine Obergrenze nicht überschreitet. Auch für die Relation von Gesamtverschuldung zur Einkommenshöhe und von Schuldendienst zum Einkommen sind Maximalwerte vorgesehen. Diese Hürden soll die Aufsichtsbehörde Bafin künftig immer dann aufstellen dürfen, wenn sie ein Heißlaufen des Immobilienmarkts befürchtet.
Der Staat schreibt den Bürgern damit faktisch vor, in welcher Höhe sie sich beim Hauskauf verschulden dürfen. Das ist nicht nur ein erheblicher Markteingriff, der wegen der nicht vorgesehenen parlamentarischen Kontrolle der Eingriffsmöglichkeiten verfassungsrechtliche Bedenken weckt. Damit werden auch Freiheitsrechte zugunsten eines fragwürdigen Kollektivismus gekappt.
Bedenklich ist zudem, dass viele Verbraucher bei Anwendung der Vorschriften ihren Traum vom Eigenheim werden aufgeben müssen. Denn zusätzliches Eigenkapital kann nicht jeder Bauherr aus dem Ärmel schütteln - zumal die vermurkste Umsetzung der EU-Wohnimmobilienkreditrichtlinie die Kreditaufnahme bereits heute erschwert. Damit wird vielen Bürgern eine Option zur Altersvorsorge genommen. Außerdem behindern die Regeln dringend benötigte Investitionen in Wohnraum. Sie manifestieren die niedrige deutsche Wohneigentumsquote von gerade einmal 52 Prozent.
Schaffung von Wohneigentum
wird von der Politik verhindert
Natürlich ist es wichtig, Risiken am Immobilienmarkt zu beherrschen. Doch das gewährleistet die geltende Rechtslage in Kombination mit einer konservativen Finanzierungskultur der Banken. Nicht umsonst prüft schon heute jeder Kreditberater die Einkommens- und Vermögensverhältnisse seiner Kunden akribisch. Das Ergebnis: Die Ausfallrate privater Immobilienkredite der bayerischen Volks- und Raiffeisenbanken lag 2015 bei nicht einmal 0,4 Prozent.
Geistiger Vater des Gesetzentwurfs ist der Ausschuss für Finanzstabilität. Er empfiehlt die Vorschriften, um "zukünftig denkbare systemische Risiken aus Wohnimmobilienfinanzierung" abwehren zu können. Solche Risiken sind derzeit allerdings nicht zu sehen. Zwar erzählt mancher Münchner Anekdoten über hochpreisige Immobilientransaktionen in seiner Stadt. Doch die Preisentwicklung in Deutschland insgesamt ist moderat: Zwischen 2008 und 2015 legte der Hauspreisindex im Schnitt nur um 2,6 Prozent pro Jahr zu. Andere Indikatoren zeigen ebenfalls keine Blase. Die Verschuldung privater Haushalte ist rückläufig und gemessen am verfügbaren Einkommen seit dem Jahr 2000 von 110 auf 90 Prozent gesunken. Anzeichen von Kreditexzessen und einem Verfall der Vergabestandards hat die Bundesbank bislang auch nicht festgestellt.
Das zeigt: Der deutsche Immobilienmarkt ist stabil. Der dirigistische Ansatz des Aufsichtsrechtergänzungsgesetzes schießt deshalb über das Ziel hinaus. Es droht eine weitere Einschränkung der Kreditvergabe, die wesentliche Politikziele wie die Schaffung von Wohneigentum konterkariert. Der Gesetzgeber sollte die Vorschläge daher grundsätzlich hinterfragen. Auch auf die Gefahr hin, dass es mit Schumpeters Weitsicht dann doch nicht so weit her ist.
Kurzvita
Jürgen Gros, Präsident des
Genossenschaftsverbands Bayern (GVB)
Der promovierte Politologe Gros ist seit 2015 Mitglied des Vorstands und seit August 2016 Präsident des GVB. Er vertritt die Interessen von 1294 genossenschaftlichen Unternehmen. Dazu zählen Volksbanken und Raiffeisenbanken sowie ländliche und gewerbliche Unternehmen mit insgesamt rund 52 000 Beschäftigten und 2,9 Millionen Mitgliedern. Damit bilden die bayerischen Genossenschaften eine der größten mittelständischen Wirtschaftsorganisationen im Freistaat.
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