Genossenschaften: Unter dem Deckmantel der Solidarität
17.12.17 18:00 Uhr

Die rund 2000 Wohnungsgenossenschaften in Deutschland haben circa 2,2 Millionen Wohnungen im Bestand. Den guten Ruf der Genossen nutzen einige schwarze Schafe, um Anleger zu ködern und hohen Risiken auszusetzen.
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von Wolf Brandes, Gastautor für €uro am Sonntag
Genossenschaften haben einen guten Ruf. Einige schwarze Schafe sorgen jedoch immer wieder für Ärger. Verbraucher beklagen sich über unerlaubte Telefonakquise, Fallstricke bei einer Kündigung, und im schlimmsten Fall müssen sie mit dem Totalverlust rechnen.
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"3,85 Prozent Festzins p. a. - krisensicher & kostenfrei - Anlage mit Genossenschaftsanteilen", so lockte etwa die Eventus eG aus Stuttgart vor zwei Jahren im Internet neue Mitglieder. Nicht nur krisensicher, sondern generell sicher sei es, Geld bei der Wohnungsbaugenossenschaft anzulegen. Die Argumente lauteten unter anderem: "Keine Nachschusspflicht sowie jährliche Prüfung durch den Genossenschaftsverband."
Da kann nichts schiefgehen, dachten viele Verbraucher und vertrauten der Genossenschaft ihr Geld an. "Die Eventus eG ist der richtige Partner für kostenfreie Sachwertinvestitionen", so die Werbung. Scheinbar eine gute Alternative für Spargelder, für die Banken kaum noch etwas übrig haben. Es kam anders: Die Genossenschaft musste Mitte September 2017 Insolvenz anmelden, die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen den Vorstandschef, und den Anlegern droht der Verlust ihrer Einlagen.
Genossenschaften sind eine ausgezeichnete Idee. Seit zwei Jahren stehen sie auf der Liste der immateriellen Weltkulturgüter der UNESCO. 2018 wird das Raiffeisen-Jahr gefeiert, denn Ende März jährt sich der Geburtstag von Friedrich Wilhelm Raiffeisen - einem der Gründer der ersten Genossenschaften - zum 200. Mal. Genossenschaften sind überaus beliebt und weitverbreitet. Rund 8000 Genossenschaften mit mehr als 20 Millionen Mitgliedern werden in Deutschland gezählt, davon sind schätzungsweise 2000 als Wohnungsbaugenossenschaften organisiert. In vielen Fällen nehmen die Genossenschaften Geld an, verwalten dies in Form von Beteiligungen, oft mit dem Ziel, Wohnraum zu schaffen.
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Genossenschaftsbeteiligung wird auch vom Staat gefördert
Im Rahmen des 5. Vermögensbildungsgesetzes wird auch noch eine Förderung einer Genossenschaftsbeteiligung ermöglicht - bekannt unter dem Stichwort vermögenswirksame Leistungen (VL), die es erlaubt, sich an einer Wohnungsbaugenossenschaft zu beteiligen und regelmäßig zu investieren. Wer an Genossenschaften denkt, der denkt meist an nichts Unseriöses. In Umfragen werden sie mit positiven Attributen versehen: Solidarität, Partnerschaftlichkeit und Verantwortung.
Einige Wohnungsbaugenossenschaften jedoch haben offensichtlich weniger die Förderung ihrer Mitglieder als die Forderungen an ihre Mitglieder im Blick. Sie versuchen, mit aggressiven Verkaufsmethoden und ungebetenen Telefonanrufen Verbraucher über den Tisch zu ziehen. Mit Verweisen etwa auf eine staatliche Förderung bei vermögenswirksamen Leistungen wird das Bild einer guten Anlage gezeichnet, die sich später aber als Verlustgeschäft entpuppt. So ist zu erklären, dass sich Beschwerden über Wohnungsbaugenossenschaften bei den Verbraucherzentralen häufen.
Die Werbung für eine Genossenschaftsbeteiligung weist oft kein ausgewogenes Verhältnis von Vor- und Nachteilen auf. So wirbt beispielsweise die Genokap Wohnungsbaugenossenschaft mit Aussagen wie: "Sicherer geht es nicht - Ihr Geld unter staatlicher und genossenschaftlicher Aufsicht." In einem Werbevideo der Wohnungsbaugenossenschaft wird sogar behauptet: "Sicherer als die Bank von England." Ebenfalls typisch für diese Anlageform: Die Sachwertanlage in Wohnimmobilien wird als unkritisch angepriesen.
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Argument: "Dies ist eine besonders sichere Anlage, da diese eine gute Kapitalanlage darstellt." Unklar bleibt zum Teil auch die Berechnung des prozentualen Anlageerfolgs. So wird in Bezug auf die Förderversprechen unter "Ihre Vorteile auf einen Blick" die maximale Förderung in Höhe von 20 Prozent herausgestellt - ohne auf die Einkommensgrenzen zu verweisen.
Wichtig ist zudem, dass der Kauf von Genossenschaftsanteilen kein üblicher VL-Sparvertrag ist, sondern eine besondere Art der Unternehmensbeteiligung. Solche Investitionen sind riskant, schlimmstenfalls droht der Totalverlust. Die Risiken verstecken oder verharmlosen die Anbieter gern.
Kundenfang am Telefon, keine Hinweise auf Risiken
In den Beschwerden vieler Verbraucher geht es auch um dreiste Vertriebsmethoden. So berichten sie, dass sie anfangs nicht einmal den Abschluss eines VL-Vertrags als Genossenschaftsbeteiligung wünschten, sondern eigentlich einen Kredit brauchten. Finanzvermittler boten jedoch den Beteiligungssparvertrag im Zusammenhang mit der Kreditanfrage an. Begründung: Mit Abschluss dieses Vertrags würde sich die Bonität verbessern, da man seine Sparbereitschaft signalisiere. Es konnte passieren, dass aus dem Kredit nichts wurde - die Genossenschaftsbeteiligung aber zustande kam.
Überraschende und unerwünschte Telefonanrufe zählen auch zu den Ärgernissen. Bei den Verbraucherzentralen hatten sich in der Vergangenheit Beschwerden über ungewollte Mitgliedschaften gehäuft. Die Genossenschaften hatten stets behauptet, am Telefon mündlich bevollmächtigt worden zu sein und so einen Beitritt rechtswirksam vollziehen zu können. Eine Ausnahmeregelung des Genossenschaftsgesetzes (GenG) hatte eine mündliche Bevollmächtigung zum Beitritt erlaubt. Doch diese Art von Kundenfang war selbst einigen genossenschaftlichen Verbänden zu viel. Mitte 2017 untersagte die Bundesregierung mit dem Gesetz zum Bürokratieabbau und zur Förderung der Transparenz bei Genossenschaften diese Praxis. Im Genossenschaftsgesetz steht nun der Satz: "Die Vollmacht zur Abgabe der Beitrittserklärung bedarf der Schriftform."
Den Genossenschaften werden aber immer noch Erleichterungen gewährt. So gibt es eine Ausnahmeregelung im Mitte 2015 in Kraft getretenen Vermögensanlagengesetz, wonach sie weiterhin Mittel bei ihren Mitgliedern einwerben können, ohne einen Risikohinweis oder einen Verkaufsprospekt veröffentlichen zu müssen. Einzige Ausnahme: Die Genossenschaft zahlt erfolgsabhängige Provisionen. Das jedoch ist schwer nachzuweisen - auch wenn es Hinweise gibt, wie eigene Vertriebsorganisationen und die Zusammenarbeit mit freien Vermittlern.
Geprüft werden Genossenschaften durch mehr als 40 genossenschaftliche Prüfverbände, eine direkte staatliche Aufsicht etwa durch die Bafin gibt es nicht. Die Aufsicht über die Prüfverbände wiederum haben die Länder, meistens sind dort Wirtschaftsministerien zuständig. Bei Tausenden von Genossenschaften ist klar, dass nicht jeder einzelne Prüfbericht durchgearbeitet werden kann.
Schwarze Schafe beschädigen den guten Ruf der Genossen
Genossenschaften als Weltkulturerbe stehen in einer Reihe mit dem argentinischen Tango, der tibetischen Oper und der kanarischen Pfeifsprache. Sie sind ausgezeichnet worden für Werte und Ideen wie Verantwortung und Solidarität. Man sollte aber nicht davon ausgehen, dass diese Ehrung alle Genossenschaften adelt. Gerade unter den vielen Wohnungsbaugenossenschaften scheint es einige wenige schwarze Schafe zu geben, die im grauen Kapitalmarkt unterwegs sind. Und den Ruf dieses Kulturerbes beschädigen.
Kurzvita
Wolf Brandes
Teamleiter Marktwächter der Verbraucherzentrale Hessen
Die erste berufliche Station nach dem Volkswirtschaftsstudium war für Brandes die Stiftung Warentest, danach hat er als Finanzjournalist bei Börse Online, "Capital" und "Financial Times Deutschland" für Anleger geschrieben.
Seit drei Jahren arbeitet Brandes als Finanzreferent und Teamleiter bei der Verbraucherzentrale Hessen. Das Projekt beobachtet den grauen Kapitalmarkt, warnt Verbraucher und nimmt unseriöse Anbieter ins Visier.
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Bildquellen: Jan Zappner/Raum11, Tobias Machhaus/Thinkstock